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Das Bubenstück von Serajewo zog seine düsteren
Kreise über den Erdball, und in banger Erwartung
verfolgten die Volker das frevle Spiel der Macht-
haber an Seine, Newa und Themse. Noch war
die Entscheidung nicht gefallen. Auf den Deutschen
Kaiser, Europas Friedenshort in mancher schweren
Krise, richteten sich jetzt aller Blicke, und als dennoch
das furchtbare Ereignis wie ein züngelnder Blitz
herniedersauste, da hallte ein Schrei der Ent-
rüstung durch Deutschlands Gaue von den Vogesen
bis zur Memel, und der scharfe, blitzende Stahl
flog aus der Scheide. Der deutsche Zorn brach los,
und jeder einzelne schwor sich zu, daß diesmal die
deutsche Klinge nicht früher wieder gesenkt werden
dürfe, bis die Gegner zermalmt im Staube lägen.
Dann aber sollte ihnen furchtbar der Ruf des alten
Semnonenfürsten Brennus in die Ohren gellen:
Vas viotis! Wehe den Besiegten!
- - Vas 8uch für-Ms- -
Auch Rudolf Warkentin hatte den noch druck-
feuchten Maueranschlag gelesen, der den Kriegs-
ausbruch verkündete, und wie von Furien gehetzt
eilte er nach Hause.
In dieser Stunde trabten dort oben an der Grenze
schon Kosakenpferde durch die stille Dorfstraße, in
deren letztem Hause seine Lieben weilten. Und er
war hier und konnte nicht helfen!
Aber vielleicht bot sich doch noch die Gelegen-
heit dazu, denn heute konnte immerhin schon die
Nachricht über den Erfolg seiner neuesten Arbeit
eingetroffen sein. Wenn diesmal das Glück ihm
hold war, dann war er binnen einer Stunde im
Besitz der Mittel, die ihm die Reise zu den Seinen
ermöglichten.
Wankenden Schrittes betrat Warkentin sein
dürftiges Zimmer, und im nächsten Augenblick
stürzte er wie ein vom Blitz gefällter Baum zu
.t' —. - tzEst 4
Boden. Auf dem Tische hatten seine scharfen
Augen den bekannten braunen Umschlag erblickt,
dessen sein Verlag sich zu bedienen pflegte, wenn
er ein unbrauchbares Manuskript zurückgab.
Wie lange Warkentin in dumpser Betäubung
auf dem verblichenen Teppich gelegen, wußte er
nicht, aber schon schlichen die Schatten der Däm-
merung durch das öde Gemach, als er sich ächzend
erhob. Mit bebenden Händen entnahm er dem
Wandschränkchen die kleine Photographie, die Frau
und Kind darstellte, und legte sie auf den Tisch
neben den dicken, braunen Umschlag. Den brauchte
er nicht zu öffnen, denn er wußte, daß das Schreiben
darin ihm nur erneut seine Unzulänglichkeit vor
Augen führte. Er war eben stumpf geworden und
leistete das nicht mehr, was er früher geleistet hatte.
Zn körperlicher Arbeit war er nicht zu ge-
brauchen, das hatte er hundertmal gehört, und als
Vie von den Deutschen eroberte vestung Namur. Nach einer kchotograptne der berliner Illustrations-Sesellschast m. b. h. in Serlin. (5-
er vor wenigen Stunden seine Dienste als Frei-
williger im Landsturm angeboten, wurde ihm be-
dauernd eröffnet, er sei zu alt dazu.
Ob Frau und Kind ihn wohl sehr vermissen
würden, wenn er sich schnell und geräuschlos aus
dieser Welt schlich, die ihm nur herbe Enttäuschungen
gebracht? — Wohl kaum! Die Frau war jung,
das Kind noch zu klein, um den Verlust des Vaters
allzu schmerzlich zu empfinden.
Schwerfällig erhob sich Warkentin, und seine
Blicke musterten noch einmal die ärmliche Zimmer-
einrichtung, als ob er sich den Anblick fest einprägen
wollte, bevor er das kleine Gemach für immer ver-
ließ. Dann öffnete er entschlossen die Tür.
Da merkte er, daß ihm die Kopfbedeckung fehlte.
Der Hut war wohl unter das schmale Kinderbettchen
gerollt, als er vorhin zu Boden stürzte. Er kehrte
zurück, um ihn zu suchen.
Es war schon so dunkel, daß Warkentin nur die
schattenhaften Umrisse der Gegenstände im Zimmer
erkennen konnte, und als er suchend umhertastete,
hielt er plötzlich ein weiches Ding in der Hand.
Ein kleiner, zerfetzter Filzschuh war's, — und
wild ausschluchzend sank der sarkc Mann in die
Knie und Preßte seine Lippen auf den alten Schuh,
den sein Kind, seine kleine Eva getragen.
Wenige Minuten später erhellte die Lampe mit
mattem Schein das dürftige Gemach. Mit raschem
Schnitt trennte Warkentin den braunen Umschlag
auf und überflog mit brennenden Augen die saubere
Maschinenschrift des Begleitbriefes.
Da stand es schwarz aus weiß, daß der Verlag
zur Annahme der Arbeit gern bereit sei, wenn der
Verfasser einige näher bezeichnete Härten mildern
wollte. Mit freudigem Herzen nahm der Mann,
der noch vor wenigen Augenblicken mutlos sein
Leben sortwerfen wollte, am Tische Platz, und seine
Feder slog über das Papier.
Vor ihm aber stand der alte, niedergetretene
Schuh seines Kindes, der ihm wieder den Weg
gezeigt hatte in das Leben, zu den Seinen zurück.
Zu derselben Stunde trabten dort oben an der
russischen Grenze wieder die Kosakenpferde durch
die stille Dorfstraße — diesmal auf der Flucht,
denn die preußischen Ulanen waren hinter ihnen her.
Im letzten Hause lagen die Bewohner auf den
Knien mW dankten Gott.
veEisg und das Wetter,
von L. ZaNenllen-wewer.
(Nachdruck verboten I
D^Die Naturereignisse sind stärker als der Mensch,
MuM beeinflussen in gutem oder bösem Sinne alle
8WM seine Unternehmungen und haben daher auch
großen Einfluß auf den Krieg. Alle die mo-
dernen wissenschaftlichen und technischen Errungen-
schaften, die heute im Kriege verwendet werden,
heben die Abhängigkeit vom Wetter nicht auf. Aller-
dings hat man sich insofern von den Einflüssen des
Klimas und der Jahreszeit freigemacht, als die Ar-
meen nicht mehr wie früher Winterquartiere beziehen,
in denen sie monatelang ruhig sitzen, um erst zum
Frühjahr wieder mit dem Kriege zu beginnen;
vielmehr wird der Krieg heutzutage ohne Rücksicht
auf Winter und Kälte weitergeführt. Allerdings
war während des letzten russisch-japanischen Feld-
zuges die Kälte in der Mandschurei so schrecklich,
daß sowohl die Russen wie die Japaner not-
gedrungen einen Stillstand der Operationen ein-
treten lassen mußten.
Das Bubenstück von Serajewo zog seine düsteren
Kreise über den Erdball, und in banger Erwartung
verfolgten die Volker das frevle Spiel der Macht-
haber an Seine, Newa und Themse. Noch war
die Entscheidung nicht gefallen. Auf den Deutschen
Kaiser, Europas Friedenshort in mancher schweren
Krise, richteten sich jetzt aller Blicke, und als dennoch
das furchtbare Ereignis wie ein züngelnder Blitz
herniedersauste, da hallte ein Schrei der Ent-
rüstung durch Deutschlands Gaue von den Vogesen
bis zur Memel, und der scharfe, blitzende Stahl
flog aus der Scheide. Der deutsche Zorn brach los,
und jeder einzelne schwor sich zu, daß diesmal die
deutsche Klinge nicht früher wieder gesenkt werden
dürfe, bis die Gegner zermalmt im Staube lägen.
Dann aber sollte ihnen furchtbar der Ruf des alten
Semnonenfürsten Brennus in die Ohren gellen:
Vas viotis! Wehe den Besiegten!
- - Vas 8uch für-Ms- -
Auch Rudolf Warkentin hatte den noch druck-
feuchten Maueranschlag gelesen, der den Kriegs-
ausbruch verkündete, und wie von Furien gehetzt
eilte er nach Hause.
In dieser Stunde trabten dort oben an der Grenze
schon Kosakenpferde durch die stille Dorfstraße, in
deren letztem Hause seine Lieben weilten. Und er
war hier und konnte nicht helfen!
Aber vielleicht bot sich doch noch die Gelegen-
heit dazu, denn heute konnte immerhin schon die
Nachricht über den Erfolg seiner neuesten Arbeit
eingetroffen sein. Wenn diesmal das Glück ihm
hold war, dann war er binnen einer Stunde im
Besitz der Mittel, die ihm die Reise zu den Seinen
ermöglichten.
Wankenden Schrittes betrat Warkentin sein
dürftiges Zimmer, und im nächsten Augenblick
stürzte er wie ein vom Blitz gefällter Baum zu
.t' —. - tzEst 4
Boden. Auf dem Tische hatten seine scharfen
Augen den bekannten braunen Umschlag erblickt,
dessen sein Verlag sich zu bedienen pflegte, wenn
er ein unbrauchbares Manuskript zurückgab.
Wie lange Warkentin in dumpser Betäubung
auf dem verblichenen Teppich gelegen, wußte er
nicht, aber schon schlichen die Schatten der Däm-
merung durch das öde Gemach, als er sich ächzend
erhob. Mit bebenden Händen entnahm er dem
Wandschränkchen die kleine Photographie, die Frau
und Kind darstellte, und legte sie auf den Tisch
neben den dicken, braunen Umschlag. Den brauchte
er nicht zu öffnen, denn er wußte, daß das Schreiben
darin ihm nur erneut seine Unzulänglichkeit vor
Augen führte. Er war eben stumpf geworden und
leistete das nicht mehr, was er früher geleistet hatte.
Zn körperlicher Arbeit war er nicht zu ge-
brauchen, das hatte er hundertmal gehört, und als
Vie von den Deutschen eroberte vestung Namur. Nach einer kchotograptne der berliner Illustrations-Sesellschast m. b. h. in Serlin. (5-
er vor wenigen Stunden seine Dienste als Frei-
williger im Landsturm angeboten, wurde ihm be-
dauernd eröffnet, er sei zu alt dazu.
Ob Frau und Kind ihn wohl sehr vermissen
würden, wenn er sich schnell und geräuschlos aus
dieser Welt schlich, die ihm nur herbe Enttäuschungen
gebracht? — Wohl kaum! Die Frau war jung,
das Kind noch zu klein, um den Verlust des Vaters
allzu schmerzlich zu empfinden.
Schwerfällig erhob sich Warkentin, und seine
Blicke musterten noch einmal die ärmliche Zimmer-
einrichtung, als ob er sich den Anblick fest einprägen
wollte, bevor er das kleine Gemach für immer ver-
ließ. Dann öffnete er entschlossen die Tür.
Da merkte er, daß ihm die Kopfbedeckung fehlte.
Der Hut war wohl unter das schmale Kinderbettchen
gerollt, als er vorhin zu Boden stürzte. Er kehrte
zurück, um ihn zu suchen.
Es war schon so dunkel, daß Warkentin nur die
schattenhaften Umrisse der Gegenstände im Zimmer
erkennen konnte, und als er suchend umhertastete,
hielt er plötzlich ein weiches Ding in der Hand.
Ein kleiner, zerfetzter Filzschuh war's, — und
wild ausschluchzend sank der sarkc Mann in die
Knie und Preßte seine Lippen auf den alten Schuh,
den sein Kind, seine kleine Eva getragen.
Wenige Minuten später erhellte die Lampe mit
mattem Schein das dürftige Gemach. Mit raschem
Schnitt trennte Warkentin den braunen Umschlag
auf und überflog mit brennenden Augen die saubere
Maschinenschrift des Begleitbriefes.
Da stand es schwarz aus weiß, daß der Verlag
zur Annahme der Arbeit gern bereit sei, wenn der
Verfasser einige näher bezeichnete Härten mildern
wollte. Mit freudigem Herzen nahm der Mann,
der noch vor wenigen Augenblicken mutlos sein
Leben sortwerfen wollte, am Tische Platz, und seine
Feder slog über das Papier.
Vor ihm aber stand der alte, niedergetretene
Schuh seines Kindes, der ihm wieder den Weg
gezeigt hatte in das Leben, zu den Seinen zurück.
Zu derselben Stunde trabten dort oben an der
russischen Grenze wieder die Kosakenpferde durch
die stille Dorfstraße — diesmal auf der Flucht,
denn die preußischen Ulanen waren hinter ihnen her.
Im letzten Hause lagen die Bewohner auf den
Knien mW dankten Gott.
veEisg und das Wetter,
von L. ZaNenllen-wewer.
(Nachdruck verboten I
D^Die Naturereignisse sind stärker als der Mensch,
MuM beeinflussen in gutem oder bösem Sinne alle
8WM seine Unternehmungen und haben daher auch
großen Einfluß auf den Krieg. Alle die mo-
dernen wissenschaftlichen und technischen Errungen-
schaften, die heute im Kriege verwendet werden,
heben die Abhängigkeit vom Wetter nicht auf. Aller-
dings hat man sich insofern von den Einflüssen des
Klimas und der Jahreszeit freigemacht, als die Ar-
meen nicht mehr wie früher Winterquartiere beziehen,
in denen sie monatelang ruhig sitzen, um erst zum
Frühjahr wieder mit dem Kriege zu beginnen;
vielmehr wird der Krieg heutzutage ohne Rücksicht
auf Winter und Kälte weitergeführt. Allerdings
war während des letzten russisch-japanischen Feld-
zuges die Kälte in der Mandschurei so schrecklich,
daß sowohl die Russen wie die Japaner not-
gedrungen einen Stillstand der Operationen ein-
treten lassen mußten.