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18_DasBuchfüvAlie Heft 1

gekommen. Fünfzig Kronen in Papier gab man dem schwarzen Kracek
dafür, daß er schwieg, und drohte ihm, wenn er rede, werde man
ihn henken lassen. Das war allerdings halb im Spaß, halb im Ernst
gesagt.
Mit dem langen Unteroffizier Wanjotkin, vor dessen lockerem
Handgelenk die ganze Batterie zitterte, begann er ein Gespräch. Er
hatte mit dem blatternarbigen Burschen Freundschaft geschlossen und
unterhielt einen Tauschhandel mit ihm in Zigaretten und Sliwowitz.
Da sah er seinen ehemaligen Herrn daherreiten.
„Schau, der Franzerl!" sagte Kallnein, ein stattlicher Vierziger,
und ließ seinen Braunen halten. „No, wie steht's im Weidhof?"
Kracek rückte seinen Hut. Ohne dem Herrn voll ins Gesicht zu
sehen, die Augen auf die Amethystnadel, die Kallnein im Halstuch
trug, richtend, verzog er den Mund zu einem Grinsen und wies
nach der Kirche. „Dort sind sie, Herr. Mutter und Tochter."
Der Bauer lachte. „Hab' ich nach dem Mädel gefragt, Kracek?
No — ich wollt' nur wissen, was die Arbeit macht?"
„Die Arbeit möcht' gehn. Die Arbeit schon. Ist ja dafür ge-
sorgt, daß die Ställ' nicht zu eng sind. Die paar Stier' noch und
wenig Muttervieh —"
„Weiß ich! Hat arg dran gemußt, der Nachbar. Warum hat
er sich auch gespreizt, den Stab ins Haus zu nehmen? Nun fackeln
sie nicht. Ich bin halt besser dran. Und wie steht's mit dem
Keresztes? Hat er geschrieben seither?"
„Nein. Die Post läßt ja nichts durch."
„Ja, die sind schlau! Waren auch immer zu vertrauensselig, als
der Doppeladler noch überm Posthaus hing. War ein großer Fehler.
Nun haben sie das Nachsehen in Wien. Nun, und die neuen Herren?
Was sagt Kuchinka dazu?"
„Er redet nicht davon, aber seine Laune ist übel genug."
„Kein Wunder! Es wurmt ihn; im stillen wünscht er die Russen
zum Geier."
„Ist nicht der einzige hier, der so denkt."
„Nein; aber von den Kurzsichtigen einer, der sich in neue Ver-
hältnisse nicht schicken kann." Er deutete mit der Reitpeitsche nach
den jüdischen Familien, die seit Wochen in elenden Feldhütten am
Weg hausten. „Können einem leid tun, die armen Narren, daß sie
noch hoffen, es könnt' anders werden. Nach Ungarn werden die
neuen Herren noch kommen. Sie sind den Magyaren übel gewogen,
seit die auf Tarnow zweiundvierziger Bomben geworfen haben. Die
Weibsleut', sagst du, winseln beim Pfarrer? Wird ihnen nichts
nützen." Er lachte auf. „Halt die Augen offen, Kracek!" Damit
ritt er im Schritt weiter. Nach der Kirche, aus der Gesang schallte,
warf er einen Blick. „Immer bet, Bozöna, bet! Hast du Glück,
wirst du schaun, wie sie dein Bürschel gefangen hier durchschleppen,
wie die vielen anderen. — Platz da!" rief er einem Juden zu, der
sich vor sein Pferd stellte; es war der alte Tabulettkrämer Schlojme
Chaijm. „Platz, Mensch!"
Der Alte mit dem blutleeren, wachsgelben Gesicht hob die Hände
hoch. „Haben Sie Erbarmen, Herr! Gott is gerecht —"
„Aus dem Wege!" schrie ihn der Großbauer an; die Peitsche zuckte
in seiner Hand; plötzlich ließ er sie sinken. Der alte Jude stand schon
dicht vor dem Pferd, als ihn ein junges Weib mit einem Ruck fort-
riß. Ihre Augen sprühten den Großbauern haßerfüllt an.
Kallnein sah sie scharf an. „Das ist aus der Tochter geworden?"
Daß man so was nicht früher sah! Schön war das Mädchen. Ver-
teufelt schön. Seine Stimmung schlug um. Die junge Jüdin führte
ihren Vater weg. Deutlich sah man ihren Augen an, daß sie sagten:
„Bettle nicht vor dem; hol dir hier zu allem Elend und Jammer
nicht noch Schläge."
Eugen Kallnein holte aus der Westentasche eine zerknüllte Bank-
note. „Nimm das fürs erste!" Er warf das Papier dem Alten zu.
„Alles mögliche Gesindel stellt sich einem in den Weg, ich habe dich
nicht erkannt, Chaijm."
Der Jude versuchte, dem Herrn die Hand zu küssen, aber das
Pferd tänzelte. Die Tochter war weggelaufen.
Kallnein lachte. „He! ein flinker Vogel das! Wie heißt deine
Tochter, Chaijm?"
Ehe der Alte antworten konnte, ließ Kallnein seinen Braunen
angehen. Aus der offenen Kirchentür kamen die Andächtigen her-
aus, Mädchen, Frauen, Männer und Greise. Es war kein fest-
täglicher Anblick, Gottes Hand lastete schwer auf den Heimgesuchten.

Pfarrer Wallnöfer, Ungar von Geburt, war aus dem Kloster der
„weißen Geistlichen" nach Radomysl gekommen als ein noch junger
Hirt und Lehrer, der sich mit seiner Bildung und vaterländischen
Gesinnung den Besten seines Standes zur Seite stellen durfte. Er
liebte seine galizischen Gläubigen und fühlte sich heimisch in dem Ort,
der manchem anderen als schlimmer Posten galt. Keinem im Orte
war das gewaltige Erlebnis des Kriegsbeginns mehr ins Herz ge-
drungen. Als Freiwilliger wäre er am liebsten zu Habsburgs Fahnen
geeilt, hätte das Skapulier mit der Degenkoppel vertauscht; aber
er hoffte seinen Posten auch so zu verteidigen und war geblieben.
Ein Grenzwächter war er so gut wie jene Tapferen, die mit ihrem
Leib einen Wall um das heimtückisch überfallene Vaterland bildeten.
Weil er dem Kosakenführer entgegenzutreten wagte, spürte er die
Not des Krieges als einer der ersten. Sein Pfarrhaus war ein aus-
geräucherter Schutthaufen; kein Stein stand mehr auf dem anderen.
Aber das Gotteshaus war unversehrt geblieben. Es stand noch,
und der zerlöcherte Turm ragte wie in glücklichen Friedenstagen
zum blaugrauen Osterhimmel. Seit Wochen während des heutigen
Gottesdienstes zum ersten Male wagte sich die Sonne wieder her-
vor und schien durch die bunten Glasfenster hoffnungspendend aus
die betenden Menschen. Ein gutes Zeichen. Ein Wunder fast.
Pfarrer Wallnöfer gehörte nicht nur zu den tiefgläubig überzeugt
Hoffenden, er wußte Vertrauen und hoffenden Mut auch in den
Herzen seiner Hörer zu wecken. Vor allem glaubte er an die Waffen
des Vaterlandes. Darüber redete er heute zu dem Häuflein der
Geschlagenen: „Das große Sterben, das wir mit Schaudern sehen,
darf uns nicht irre machen. Wir bedürfen der Geduld, denn harte
Proben sind uns noch auferlegt. So tief uns all das vergossene Blut
schmerzt, wir glauben an seine Wunderkraft. Die Saat unserer
Zukunft wird in diesen Tagen mit Blut gedüngt, damit sie in Herr-
lichkeit aufgehe."
Getröstet gingen seine Treuen aus der Kirche. Mancher unter
ihnen lernte erst in diesem Kriege wieder glauben und beten,
vertrauen und sich gedulden. Die Weidhoferin und ihre Tochter
Bozena gehörten immer zu denen, die in der Kirche zu finden waren.
Auch Radim Kuchinka fehlte ehedem nicht; erst seit Wochen wußte
er immer Entschuldigungen zu finden. Er könne die Russen nicht
im Haus allein lassen; auch sei auf die Dienstleute kein Verlaß.
Außer den Russen trieb sich unsicheres Gesindel neben den Unglück-
lichen im Orte herum. „Geh du für mich!" pflegte er sonst zu
seiner Frau zu sagen, und heute hatte er sich offen geweigert, mit-
zugehen. Er war ohne Mut und Glauben. Von Tag zu Tag mußte
die Frau mitansehen, wie der starke Mann zermürbte, der eine
Hoffnung um die andere verlor.
Die Weidhofbäuerin ging mit Bozöna als eine der letzten aus
dem Gotteshaus. Eugen Kallnein war abgesessen und führte sein
Pferd auf und ab. Uber den Sattel hinweg beobachtete er die
beiden Frauen, mit einer Wendung stand er dicht vor ihnen. Er
griff nach der Mütze, und Frau Kuchinka dankte. Sie wäre auch
stehen geblieben, aber Bozena tat, als sähe sie den Nachbar nicht.
„Wir müssen uns eilen," sagte sie zur Mutter. „Die Fremden
schimpfen, wenn sie ihr Essen nicht rechtzeitig haben."
Der Kallnein grüßte. „Man darf den Nachbar nicht vor den Kopf
stoßen, Bozöna. Leicht werden wir ihn noch brauchen können."
„Den? Lieber überhaupt keine Hilf'. Ich glaube daran, was
der Herr Pfarrer gesagt hat. Geduld sollen wir haben, Gott wird
Österreichs Fahnen nicht verlassen. Als er es sagte, fiel der erste
Sonnenstrahl auf die heilige Mutter Gottes."
Die Bäuerin nickte. Ja, das war wahr. Aber wenn sie an die
Not dachte, mußte man da nicht aufseufzen? Lange durfte es nicht
mehr dauern mit der Heimsuchung.
„Hilfe vom Kallnein?" sagte Vozsna. „Merkst du nicht, Mutter,
daß er's mit den Russen hält? Immer sieht man ihn mit den Offi-
zieren. Gemocht hab' ich ihn nie, das weißt du; seit ich ihn aber
so seh', wie er sich nach dem Wind dreht, graut mir vor ihm."
Die Mutter schwieg. Die Bozsna hatte ja recht.
Eugen Kallnein runzelte die Brauen. Waren denn die Weiber
alle aus Rand und Band? Das war die zweite heut, die ihn so giftig
ansah. Erst die Jüdin und nun die Bozöna. Es mußte wohl noch
ärger kommen, daß sie sich duckten. Sie waren alle zu dumm, um
zu begreifen, daß mit dem Fall von Przemysl die letzte Hoffnung
dahin war. Fester als je saß der Russe im Sattel; er war Herr
 
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