Hefts
DasBuchfüLAlle
17Z
wollte: das war vorbei, vorüber, und tonnte nicht wiederkehren.
Lund dachte über Barloffs Worte nach, als er allein auf dem harten
Sofa sah. Er hörte den leicht erregten Klang seiner Stimme und
fühlte tief, daß Paul Barloff im Recht war, seine erzieherisch war-
nenden Worte abzuwehren. Wenn es auch in verschleierter Form
geschehen war, so warnte er doch deutlich genug vor Jngeborq
Nissen. Asmus Lund
durfte sich sagen, daß ihn
keine Regung niederen
Neides bewege; zu sagen,
daß er Inge keinem an¬
dern gönne, dazu besah
er kein Recht. Aber er
sah lange und grübelte
sich Unheil zusammen.
Darüber war er gewih,
dah seine Unkenrufe nichts
nützen konnten. Paul
Barloff stand unter den:
Baum, dessen Früchte
Gutes uud Böses erken¬
nen lehrten, und fand,
dah sie lockten. —
Barloff kehrte nach¬
denklich durch den melan¬
cholischen Dämmer des
Novemberabends heim;
es graute ihm vor den
öden Räumen im alten
Herzogsschloh; in einem
kleinen Teil der über¬
geräumigen Wohnung
suchte. er durch neue
Möbel behaglichere Stim¬
mung zu schaffen, als
er sie in Asmus Lunds
Diogenestonne gefunden;
aber wenn in den langen
Kreuzgängen schwärzliche
Fledermäuse hin und
wider glitten, fühlte er
die ganze Trostlosigkeit
seines einsamen Daseins.
Paul schlenderte ziel¬
los durch die Stadt. Im
trüben Licht spärlicher
Petroleumlaternen wirk¬
ten die Strahen noch
enger und verschlafener
als am Tag; nur die
Fenster der „Krone" am
Marktplatz, hinter denen
die „Gewaltigen" sahen,
gaben dem Platz einiges
Leben. Heute sah An¬
dreas Nissen nicht unter
den Zechern, er hockte
daheim mit der wappen¬
geschmückten Decke um
die Knie und trank Bur¬
gunder. Neben ihm sah,
wie vor Tagen, die blonde
Inge, von der Asmus
Lund sagte, dah der Dämon von Dürhus ihre Stirn streife. Weih
Gott, Lund war ein Narr. . .
Ohne es zu wvlleu, kam Paul an den Hafen; die Gassen führten
ja alle dort hinunter. Noch leerer als sonst war der winzige Hafen;
nur ein einziger Ewer lag knarrend am Bollwerk; ein Schiffer zog
die Nachtlaterne auf - ein Fünfziger nut groher Hakennase, die
schmalen Lippen priemschwarz; ein strohgelber Rundbart, der das
Kinn frei lieh, rahmte das verwitterte Gesicht. Barloff kannte ihn,
es war der Küstenfahrer Lorenz Bune, der mit seiner „Annemarie"
VM. 1917.
zwischen Hamburg und Esbjerg pendelte; erst gestern war er wegen
einer Vormundschaftsache bei ihm auf dem Gericht gewesen. Er-
kannte ihm nicht gleich Bescheid geben, weil die verlegten Akten erst
gesucht werden muhten; heute war Paul unterrichtet und redete
den Schiffer an: „'n Abend, Herr Bune, weil es der Zufall will,
dah ich Sie sehe, kann ich Ihnen den zweiten Weg sparen."
„Mär' mir lieb, Herr
Amtsrichter, morgen gehe
ich so wieder in See.
Wollen Sie ein bihchen
an Deck kommen? Unten
in der Koje ist gerade
Raum für zwei."
Barloff stieg auf einer
schmalen Leiter in das
enge Loch mit niedrigen
Deckbalken und der leise
pendelndenHängelampe;
er war noch nie in einem
solchen Schiffsraum ge-
wesen, blickte neugierig
um und sah eine Rum-
flasche auf dem Tisch.
„Einen kleinen Grog,
Herr Amtsrichter, das ist
so Sitte bei uns. Also,
die Vormundschaftsache
hat ihre Richtigkeit? Es
freut mich, das gleich so zu
erfahren, unsereins geht
nicht gern aufs Amt."
„Wir beihen doch
nicht," meinte Paul gut-
gelaunt.
„Nein, das soll wohl
sein, 's ist auch nur so
'ne Gewohnheit aus der
Dänenzeit. Die Hardes-
vögte waren immer gleich
mit dem Brüggen bei der
Hand."
Paul kounte den star-
ken Grog nicht so rasch
leeren wie Lorenz Bune,
der sein Glas zum zwei-
tenmal füllte und behag-
lich seine kurze Pfeife
austeckte. Er blies den
Rauch durch die Zähne
und begann: „Ja, die
Dänenzeit, Herr Amts-
richter! Was mein Beruf
ist, da müht' ich sie wohl
zurückwünschen, denn die
Fracht auf Kopenhagen
war nicht schlecht, und
heute werden wir Ewers-
leute ja von den grohen
Dampfern langsam tot-
gemacht. Wir an der
Westküste denken aber
doch anders als die in
Nordschleswig; ich meine,
das Reich ist doch wie eine gute Versicherung, wenn man auch hohe
Prämien zahlen muh."
„Am liebsten hättet ihr wohl euren Herzog wieder gehabt,"
meinte Paul.
Der Alte schob die Pfeife iu deu andern Mundwinkel: „Es schmeckt
auf beiden Seiten, Herr Amtsrichter. Der Herzog war einer von den
Unfern, und wir Schleswig-Holsteiner halten uns gerne zusammen.
Ich bin was in der Welt herumgekommen, kann ich sagen: so viel
Flicklappen wie in Deutschland wird man nicht leicht wo anders
Phot. Kosei.
! Kaiser Karl Franz Joseph. tz;
Als Kaiser von Österreich Karl I. s!
Als König von Ungarn Karl IV.
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wollte: das war vorbei, vorüber, und tonnte nicht wiederkehren.
Lund dachte über Barloffs Worte nach, als er allein auf dem harten
Sofa sah. Er hörte den leicht erregten Klang seiner Stimme und
fühlte tief, daß Paul Barloff im Recht war, seine erzieherisch war-
nenden Worte abzuwehren. Wenn es auch in verschleierter Form
geschehen war, so warnte er doch deutlich genug vor Jngeborq
Nissen. Asmus Lund
durfte sich sagen, daß ihn
keine Regung niederen
Neides bewege; zu sagen,
daß er Inge keinem an¬
dern gönne, dazu besah
er kein Recht. Aber er
sah lange und grübelte
sich Unheil zusammen.
Darüber war er gewih,
dah seine Unkenrufe nichts
nützen konnten. Paul
Barloff stand unter den:
Baum, dessen Früchte
Gutes uud Böses erken¬
nen lehrten, und fand,
dah sie lockten. —
Barloff kehrte nach¬
denklich durch den melan¬
cholischen Dämmer des
Novemberabends heim;
es graute ihm vor den
öden Räumen im alten
Herzogsschloh; in einem
kleinen Teil der über¬
geräumigen Wohnung
suchte. er durch neue
Möbel behaglichere Stim¬
mung zu schaffen, als
er sie in Asmus Lunds
Diogenestonne gefunden;
aber wenn in den langen
Kreuzgängen schwärzliche
Fledermäuse hin und
wider glitten, fühlte er
die ganze Trostlosigkeit
seines einsamen Daseins.
Paul schlenderte ziel¬
los durch die Stadt. Im
trüben Licht spärlicher
Petroleumlaternen wirk¬
ten die Strahen noch
enger und verschlafener
als am Tag; nur die
Fenster der „Krone" am
Marktplatz, hinter denen
die „Gewaltigen" sahen,
gaben dem Platz einiges
Leben. Heute sah An¬
dreas Nissen nicht unter
den Zechern, er hockte
daheim mit der wappen¬
geschmückten Decke um
die Knie und trank Bur¬
gunder. Neben ihm sah,
wie vor Tagen, die blonde
Inge, von der Asmus
Lund sagte, dah der Dämon von Dürhus ihre Stirn streife. Weih
Gott, Lund war ein Narr. . .
Ohne es zu wvlleu, kam Paul an den Hafen; die Gassen führten
ja alle dort hinunter. Noch leerer als sonst war der winzige Hafen;
nur ein einziger Ewer lag knarrend am Bollwerk; ein Schiffer zog
die Nachtlaterne auf - ein Fünfziger nut groher Hakennase, die
schmalen Lippen priemschwarz; ein strohgelber Rundbart, der das
Kinn frei lieh, rahmte das verwitterte Gesicht. Barloff kannte ihn,
es war der Küstenfahrer Lorenz Bune, der mit seiner „Annemarie"
VM. 1917.
zwischen Hamburg und Esbjerg pendelte; erst gestern war er wegen
einer Vormundschaftsache bei ihm auf dem Gericht gewesen. Er-
kannte ihm nicht gleich Bescheid geben, weil die verlegten Akten erst
gesucht werden muhten; heute war Paul unterrichtet und redete
den Schiffer an: „'n Abend, Herr Bune, weil es der Zufall will,
dah ich Sie sehe, kann ich Ihnen den zweiten Weg sparen."
„Mär' mir lieb, Herr
Amtsrichter, morgen gehe
ich so wieder in See.
Wollen Sie ein bihchen
an Deck kommen? Unten
in der Koje ist gerade
Raum für zwei."
Barloff stieg auf einer
schmalen Leiter in das
enge Loch mit niedrigen
Deckbalken und der leise
pendelndenHängelampe;
er war noch nie in einem
solchen Schiffsraum ge-
wesen, blickte neugierig
um und sah eine Rum-
flasche auf dem Tisch.
„Einen kleinen Grog,
Herr Amtsrichter, das ist
so Sitte bei uns. Also,
die Vormundschaftsache
hat ihre Richtigkeit? Es
freut mich, das gleich so zu
erfahren, unsereins geht
nicht gern aufs Amt."
„Wir beihen doch
nicht," meinte Paul gut-
gelaunt.
„Nein, das soll wohl
sein, 's ist auch nur so
'ne Gewohnheit aus der
Dänenzeit. Die Hardes-
vögte waren immer gleich
mit dem Brüggen bei der
Hand."
Paul kounte den star-
ken Grog nicht so rasch
leeren wie Lorenz Bune,
der sein Glas zum zwei-
tenmal füllte und behag-
lich seine kurze Pfeife
austeckte. Er blies den
Rauch durch die Zähne
und begann: „Ja, die
Dänenzeit, Herr Amts-
richter! Was mein Beruf
ist, da müht' ich sie wohl
zurückwünschen, denn die
Fracht auf Kopenhagen
war nicht schlecht, und
heute werden wir Ewers-
leute ja von den grohen
Dampfern langsam tot-
gemacht. Wir an der
Westküste denken aber
doch anders als die in
Nordschleswig; ich meine,
das Reich ist doch wie eine gute Versicherung, wenn man auch hohe
Prämien zahlen muh."
„Am liebsten hättet ihr wohl euren Herzog wieder gehabt,"
meinte Paul.
Der Alte schob die Pfeife iu deu andern Mundwinkel: „Es schmeckt
auf beiden Seiten, Herr Amtsrichter. Der Herzog war einer von den
Unfern, und wir Schleswig-Holsteiner halten uns gerne zusammen.
Ich bin was in der Welt herumgekommen, kann ich sagen: so viel
Flicklappen wie in Deutschland wird man nicht leicht wo anders
Phot. Kosei.
! Kaiser Karl Franz Joseph. tz;
Als Kaiser von Österreich Karl I. s!
Als König von Ungarn Karl IV.