Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

(Schluß.)

M ist das Recht der Stärkeren, sagen ^>ie doch Gewalt statt
Recht, um wahr zu sein- Doch lassen Sie mich deut-

Empfang amerikanischer Truppen vor dem Invalidendom in Paris.

Wanjka versandte
eine Unzahl Briefe
fröhlichen Inhalts,
in denen er seinen
Petersburger und
sonstigen Bekannten
seine bevorstehende
Wiederverheiratung
mit Wera Les chinsky
kundgab.
Nach der feier-
lichenTrauungszere-
monie in der Genfer
russischen Kirche, der
die ganze ansässige
Kolonie und der
Konsul beiwohnten,
reisten die drei Neu-
vereinten, um weite-
ren gesellschaftlichen
Pflichten rch ch zu ent-
gehen, nach St. Mo-
ritz; Wanjka Konde-
r eff hättedieRiviera

licher, an einem Beispiel, zeigen, was ich damit sagen will; statt
allgemeine Worte wollen wir Tatsachen sprechen lassen. Ich er-
innere Sie an das Attentat auf den Moskauer Gouverneur. Nie-
mand, der vor sich selber in Ehren bestehen will, niemand, dem es
um Wahrheit zu tun ist, wird bestreiten können, daß in der Person
des Gouverneurs die Macht unwürdigen Händen anvertraut war,
und daß sie durch ihn unerhört mißbraucht ward. Aber auch ihr,
die Bewahrer, die Hüter des Rechtes, auch ihr wußtet es und habt
dem zugesehen; keiner aber fand sich unter euch, der den Mut auf-
brachte, aus Furcht ums eigene Wohlergehen fand sich niemand, der
gewagt hätte, dem Vorgesetzten entgegenzutreten, sich gegen einen
Menschen aufzulehnen, der seine Macht mißbrauchte. Das Volk er-
trug lange Zeit geduldig dies unerträgliche Joch; dann aber erhob
sich aus seinem Schoße ein Mann, der, eurem Beispiel folgend, der
Gewalt mit ihren eigenen Mitteln begegnete. Nun frage ich Sie,
den Richter, was ist aus diesem Menschen, was ist aus dem Studenten
Dimitri Okinschewitsch geworden?"
Kondereff wollte offen und ehrlich zugeben, daß er über das
Schicksal des Täters nichts wisse, kannte er doch nur den Gang der
Verhandlungen, die nach dem Tod des Gouverneurs in Petersburg
geschehen waren. Er zögerte, wenn auch ohne klaren Grund; irgend
etwas in seinem Inneren trieb ihn dazu, nicht zu sagen, was er
hätte sagen müssen. Der Argwohn, Wera könnte ihn im stillen ver-
dächtigen, er sei sich selbst der Rechtlichkeit seines Standpunkts nicht
gewiß, trieb ihm die
Worte über die Lip¬
pen: „Okinschewitsch
war ein Rebell, ein
Mörder, und ihm
wurde nach Gesetz
und Recht der Tod
durch den Strang."
Wera schwieg.
Er sah, wie übe'- ihr
Gesicht ein irres,
bittendes, verzerrtes
Lächeln huschte, sah,
wie sie wankte; und
im sicheren Gefühl,
dasUnnennbare, das
sich bisher noch in
ihrem Herzen gegen
ihn und seinen Man¬
neswillen aufgelehnt
hatte, endgültig be¬
siegt zu haben, faßte
er sie unter den
Arm und geleitete sie
die steingehauene
Treppe hinunter in
Bonivards Kerker.

Ihre Schritte verklangen dumpf in dem aus dem Bergrumpf
ausgehauenen Gemach. Wanjka Kondereff lehnte sich an die zer-
borstene Säule, an deren Schaft gebunden einst die zur Folterung
Verurteilten unter der Geißel verbluteten. Er konnte den Gedanken
nicht unterdrücken, die Opfer seien hier nicht weniger sicher vom
Sonnenlicht abgeschlossen gewesen als heute jene anderen, die hinter
den Riegeln der Moskauer Schlüsselburg verwahrt werden. Er
hob den schweren Eichendeckel hoch, der die Fallgrube deckt, durch
die man die zerschundenen Körper derer, die ausgelitten hatten,
in das Wasser des Sees versenkte. Erschrocken über Weras Aus-
druck ließ er ihn los, so daß er sich polternd über der Tiefe schloß,
sprang auf und kam noch zurecht, um sie in seinen Armen aus-
zufangen.
„Es ist nichts," wehrte sie beruhigend ab und ließ ihm nicht Zeit
zu Fragen. „Es wird vorübergehen." Sie preßte die weiße Stirne
gegen die kalten, moderfeuchten Mauern, deren eingemeißelte
Namenszüge zu erzählen wußten von ungehört verhallten Schreien,
den letzten Seelenqualen gemarterter Menschen.
Wanjka überfiel heiß die Freude, sie in ihrer frauenhaften
Schwäche zu stützen; fester spannte er den Arm um ihre wie im
Frost zitternden Schultern und zwang sie, bitter und haltlos an seiner
Brust zu weinen.
Sonja stand oben zwischen den Säulenbogen im Rittersaal vor
den verblaßten Wappenschildern und merkte erst jetzt, daß sie so lange
allein gewesen war, als ihr Vater und Wera zurückkamen. Sie lief
schnell auf sie zu.
„Es wird Zeit, Genf zu verlassen," sagte Wanjka Kondereff im
Heruntergehen zu seinem Töchterchen, und gerade in einem Augen-
blick, als Sonja ein weinerliches Gesicht' zu machen begann. Als
das Kind die seltsam strahlenden Augen des Vaters sah, war es so
erstaunt, daß es still blieb; es dachte darüber nach, warum er so fröh-
lich sei. Dann fuhren sie zusammen weg.
Im Aussteigen, während der Führer des Wagens den Schlag
hielt, beugte sich Wera über die Kleine, nahm ihren Kopf zwischen
ihre Hände und flüsterte: „Jetzt darfst du es sagen!" — und lief
dann schnell in das
Haus.

Ge he trnd Lenst
Vornan
aus dec Zeit der ersten russischen VerwiutLon
Uonpand Wayenselt

Recht!" wiederholte Wera bitter auf Kondereffs Ein-
wurf. „Sagen Sie doch statt dessen euer Recht, das
 
Annotationen