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28

DasÄuchfüvMle

Heft 2

Hauptmann v. Gäudecker deutete es kürzlich an, als er Hans-Albrecht
besuchte."
„Gäudecker? Güudeckcr?" Der Major faltete die Stirne. „Kenn'
ich nicht."
„Er kennt dich aber sehr gut," erwiderte seine Nichte und strich
sich das Haar aus dem leichterröteten Gesicht. „Ich hörte ihn zu-
fällig davon sprechen; er hat es im Kasino deines alten Regiments
gehört, im Frühstückszimmer oder beim Liebesmahl; da soll es all-
gemein geheißen haben, wenn du nur erst aus der Residenz heraus
wärest, würdest du dir deinen alten Herzenswunsch nicht länger
versagen. Man Hütte dir sogar schon daraufhin zugetrunken und sich
zur Hochzeit eingeladen."
Der Major horchte auf. „Sieh mal an! Das ist ja grade, als
wenn du wie ein Müuslein hinter der Tapete gelauscht hättest. Ich
mutz dir zugeben, datz irgend etwas dran ist; es handelte sich um
einen Scherz. Wir satzen am Namenstag unseres verehrten Regiment-
chefs zu viert in 'ner verschwiegenen Ecke. Aber da war kein Gäu-
decker oder wie der Mann heißen mag, dabei. Und ein Hauptmann
schon gar nicht. Oder — warte mal! Ja, so 'n junger Divisions-
adjutant, der guckte unserem Skat allerdings eine Weile zu; aber
der hieß Halm, mein Liebling. Er soll ein sehr gewissenhafter junger
Mann sein, wie mir Erzellenz Spielberg sagte, der schwerlich unsere
Intimitäten ausplaudert."
„Nun, da haben wir ja die einfache Lösung," sagte Annemarie,
und sie bückte sich nach einem Strohhalm, der ihr am Kleidersaum
hing; als sie sich aufrichtete, stand ihr das Blut im Gesicht. „Hans-
Albrechts Freund heißt Halm v. Gäudecker; er führt einen Doppel-
namen."
„Ja, dann mag's stimmen. Aber wie kommt denn der junge Mann
dazu, hier so vertraulich zu sein? Wie kommt er zur Freundschaft mit
deinem Bruder? Er war nämlich kreuzfidel und steckte geladen voll
Schnurren, als wir zur Fidulitüt übergingen — Eigenschaften, die
Hans-Albrecht doch nicht aufzuweifen hat."
„Sie sind Schulfreunde, so viel ich weiß, und dann war es eine
sehr artige Form, in der er von dir sprach. Und Wahrheit ist es
doch auch gewesen."
„Na, lassen wir das! Was ,alle Welt' sagt; dieser junge Mann ist
noch lange nicht .alle Welt'; nebenbei bemerkt, den will ich mir mal
taufen, wenn uns der Weg wieder einmal zusammenführen sollte."
Ohne zu bemerken, wie Annemarie ihre Lippen zu einem Schmollen
schürzte, fuhr er, seine Wanderung durchs Zimmer fortsetzend, weiter:
„Wie ich dir schon sagte, muß jetzt dafür gesorgt werden, daß Klar-
heit in dieses Testament kommt; eher darf an etwas anderes über-
haupt nicht gedacht werden, das hieße sich sowohl an Buchtenhagen
wie an Grinderode versündigen. Ich muß gemeinsam mit deinem
Bruder dem Vermächtnis zu Leibe rücken, und zwar auf Biegen
oder Brechen — jawohl, Annemiezel, auf Biegen oder Brechen."
Sie lächelte über des Oheims Eifer; war das denkbar, daß ein
Mann in seinen Jahren, um Geldes willen so ohne weiteres seine
Herzenspläne fallen ließ? Wenn das die Folge des Vermächtnisses
war, dann freilich hatte der alte Eroßoheim Eusebius einen Zank-
apfel hinterlassen, was doch sicherlich nicht in seinem Willen lag.
Dann war die Bestimmung des Legats tatsächlich, wie Onkel Hein-
rich es nannte, eine höchst unmoralische und verwerfliche. Sicherlich
meinte der gutmütige Onkel Heinrich, der jetzt so aufgebracht war,
es mit seinem „Biegen und Brechen" nicht so ernst; da war ihre
Meinung von ihm denn doch zu hoch, als daß sie an die Möglichkeit
glaubte, es müsse ein Herz brechen um eines Kapitals willen, das
er nicht einmal brauchte. Und ebenso hatte sicher auch der Erblasser
von seinen beiden Neffen gedacht.
Wie aus ihren Gedanken heraus sagte der Major: „Denke nicht,
daß ich am Geld hänge — so schön, wie du sagtest, auch so eine
unverhoffte Morgengabe ist; aber für zweierlei werde ich kämpfen,
dafür, daß das Geld nicht wieder nach Montevideo abwandert, was
geradezu eine Versündigung am Vaterlande wäre — und in diesem
Punkte hoffe ich mit deinem Bruder ein Herz und eine Seele zu sein
und ihn seiner-Gleichgültigkeit zu entreißen. Er muß das einsehen!"
„Das läßt sich hören," meinte Annemarie. „Und das andere
Ziel-.-"
„Zweitens werde ich dafür kämpfen, daß die Pläne von Tante
Reppchen zuschanden werden; ich sage dir das im Vertrauen. Und
nun wirst du mich verstehen, wenn ich jetzt andere Dinge im Kopf
habe als meine gute Ursel Kölsch. Kommt Zeii, kommt Rat."
Da klopfte es; Jochim Heberlein brachte die Postsachen: zwei
Briefe und eine Karte; wegen des einen Briefes warte der Post-

bote, sagte der Alte, er brauche einen Antrag zur Aushändigung,
denn der sei noch an den verstorbenen Herrn gerichtet. Weil er jedoch
von einem Mitglied der Familie zu stammen scheine, wie ein rück-
seitiger Vermerk besage . . .
„Na, nu hallen Sie mal die Luft an, Jochim!" Der Major
drehte den Brief in der Hand; auch Annemarie war neugierig ge-
worden. Gleichzeitig riefen Onkel und Nichte: „Aus Montevideo!"
Der Brief mit den bunten südamerikanischen Marken trug die
Handschrift des Vetters Eotthart, der vom Tode des Oheims beim
Absenden des Schreibens noch nichts gewußt haben konnte.
„Dieser Brief wird Licht bringen!" sagte der Major. Aber seine
Hand, mit der er am liebsten sogleich den Umschlag aufgerissen hätte,
fuhr zurück. „Es steht mir nicht zu, den Brief zu öffnen, Anne-
marie. Er gehört nicht uns. Ich werde ihn dem Justizrat aushündigen
lassen."
„Muß das sein?"
„Ich halte es für meine Pflicht. Ich jedenfalls habe nicht das
Recht, ihn zu öffnen. Es ist stark zu vermuten, daß sich der Inhalt
nut Vereinbarungen befaßt, die zwischen Onkel Eusebius und Vetter
Gotthart getroffen sind."
Heinrich Queri setzte sich hin und bat schriftlich das Postamt,
den Brief an den Nachlaßverwalter zu senden, und begründete den
Antrag mit kurzen Worten.
Die bunte Karte enthielt einen Gruß aus den bayrischen Bergen;
Justizrat Hubert Kraußer wünschte gesunde Feiertage.
„Ist das nun Boshaftigkeit? Sag selbst, Annemarie? Der Mensch
muß sich doch denken können, in welcher Erregung ich ihn zurück-
erwarte."
„Ich glaube kaum," antwortete die Nichte. „Von deinen Kümpfen
ahnt er gewiß nichts und ist davon überzeugt, daß du schon den rechten
Weg finden wirst."
Nach dieser altklugen Bemerkung erhob sie sich. „Nun muß ich
noch eine Schleife übers alte Vorwerk reiten; Tante Reppchen sieht
meine Spazierritte nur dann gern, wenn ich einen wichtigen Jn-
spektorritt damit verbinde."
„Das sieht ihr ähnlich. Ein wahrer Tyrann ist diese Tante
Reppchen."
„Aber einer, der unser Bestes will; auch für dich, Onkel Heinrich;
sie bringt ihrer Überzeugung ein Opfer, weil sie dich mit Fräulein
Ursula Kölsch glücklich ..."
„Na, nu sei so gut! Von Opfer ist weniger die Rede, als von einer
Wohldurchdachten Intrige." Während der Major den anderen Brief
durchlas, machte er große Augen. Seine liebe Kölsch schrieb ihm,
daß sich der Umzug zwar nicht verzögere, daß sie selbst aber nicht
so rasch kommen könne; sie bitte deshalb, ihr noch ein oder zwei
Wochen Urlaub zu bewilligen. Sie habe unerwartet den Besuch
ihrer Nichte Eva bekommen, die in München ihre Lehrerinnenprüfung
ablege. Dann kam noch eine Bitte; der Zufall habe es gefügt, daß
in der vereinigten Schule von Groß- und Mittel-Grinderode unter
besonders günstigen Bedingungen die Stelle einer Lehrerin aus-
geschrieben sei; Eva wäre von einem Studienrat darauf aufmerksam
gemacht worden; ob es möglich sei, daß er — als nächster Verwandter
der Grinderoder Gutsherrschaft, die bei der Stellenbesetzung mit-
zureden habe — ein gutes Wort für Eva einlegen wolle. Näheres
werde sie noch schreiben. Die übrigen Seiten des Briefes enthielten
Einzelheiten über den Umzug. Mitten im nachdenklichen Lesen fiel
dem Major ein, daß seine Nichte neben ihm wartete; er steckte den
Brief schnell ein und entschuldigte sich.
„Oh, das hat nichts zu sagen. Hoffentlich hast du gute Nachrichten."
„Danke, ja? Das versteht Fräulein Ursel, einem alles Widrige
fernzuhalten; heute überrascht sie mich allerdings damit, daß sie frühe-
stens erst in vierzehn Tagen hier eintreffen will. Nun, um so besser;
da kann ich in der Stille zu reiflichen Entschlüssen kommen. Und
was Hans-Albrecht anbetrifft, so sorge doch, bitte, dafür, daß er
möglichst noch vor den Feiertagen sich bei mir sehen läßt. Ich selber
muß mir bis auf weiteres das Vergnügen versagen, an den Fest-
tagen bei euch zu sein."
„Doch nicht Tante Reppchens wegen? Du wolltest doch vorhin
nach Grinderode fahren!"
„Ja, aber das ist nun durch die Ereignisse überholt; jede Minute
kann, wie mir Ursula Kölsch schreibt, der erste Möbelwagen hier
ankommen."
„Schön; ich werd' es ausrichten; aber ich darf mir doch mein
Teil denken?"
Onkel Heinrich brachte sie bis vors Tor. „Der alte Heberlein
 
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