Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
64

DasBuchsüvAlls

Hefts

vollen Miniaturmalerei. Der kunstvoll verzierte Pergamentband
stammte aus der Kartause Seiz, am Südabhange des Bachern; ver-
lassen und verfallen steht auch sie seit Kaiser Josephs Zeiten. Ein
Mönch im Ordenskleide des heiligen Bruno, nach den strengen Regeln
des französischen Stifters zu ewigem Schweigen verurteilt, hatte in
jahrelanger Arbeit das Meisterwerk geschaffen. Gerne überließ es dem
Doktor ein Bauer für zwei Silberzwanziger und einen Trunk Wein.
Draußen läuteten die Glocken durch die klare Winternacht. Be-
wundernd strich der Doktor über die unvergänglich golden schimmern-
den Flügel eines Engels. Darunter stand in zartester Rosenschrift:
„Lax bominibus bonao voluntatis!"

as war Heuer ein strenger Winter für Frau Nam; der Arbeit
und des Verdrusses im Hause wurde immer mehr, der Nacht-
ruhe immer weniger. Die Mädchen widersprachen ohne Ende, die
Buben rauften sich und waren faul in der Schule; nur Franz half
fleißig dem Vater, trug aber für die neue Mutter stumme Mißachtung
zur Schau, die Nani sehr schmerzte. Nach Neujahr war noch einmal
die alte Gertschka erschienen, mit einem Päcklein Silbergulden vom
Doktor. Beim Umgraben des kleinen Hausgärtleins fand Nani im
März eine schöne, marmorne Frauenhand; gereinigt, war sie blendend
weiß geworden; die sandte sie dem Doktor, der vor Freude am
liebsten selbst hinübergelaufen wäre, um im Gärtlein nachzugraben.
Der Palmsonntag kam heran. Die Bauernburschen brachten
große Buschen Weidenkätzchen in die Stadt, mit bunten Bändern
und Füttern reich verziert; nachmittags kam der Geselle Karl in das
Eßzimmer, wo die Meisterin eifrig nähte.
„Frau Mutter, ich tät schön bitten, mit Ihnen ein Wörtl reden
zu dürfen."
„Was ist's denn, Karl?" fragte Frau Nani freundlich.
„Frau Mutter, unser Herr Vater taugt net recht zum Markt-
fahren. Wir bringen ja immer weniger Waren zum Färben heim."
Langsam wachste Nani ihren Faden. „Karl, ich will hoffen, daß
Er seinen Herrn nicht kritisieren will?"
„Meiner Seel net! Aber ich hab' do Aug'n im Kopf und seh',
wie die Meistersleut sich plagen, um die hungrigen Mäuler der Kinder
zu stopfen, da denk' ich hin und her, wie das G'schäft besser gehn
könnt'. Der Färbermeister vom unteren Stadtteil, der kann Win-
disch, Kroatisch und auch Krainerisch, der schnappt uns die besten Kun-
den weg. Den Herrn Vater mit seiner g'spaßigen Sprach, den ver-
steht ka Mensch und er net die Bauern. Wie wär's, wenn die Frau
Mutter mitfahr'n möcht? Als Pettauer Kind verstehen Sie doch
gut Slowenisch und ein bisserl Kroatisch?"
Verlegen sah Nani zu Boden; es leuchtete ihr ein, was der er-
erfahrene Geselle sagte.
„Aber ich bitt' Sie, Karl, ich bin das doch gar nicht gewöhnt,
so auf dem Markt beim Verkaufsstand zu stehen?"
„No, no, derentwegen bleiben Sie do die Frau Färbermeisterin
Muhrland? Schauen S' nur die übrigen Bürgersfrauen an; die
reiche Frau vom Kaufmann Balthasar, die Frau vom Wachszieher,
die Frau Pfaidlerin Pettenkofer — allen Respekt vor ihnen. Kein
Hitz, kein Schnee, kein Kält'n haben s' g'scheut, haben sich um jeden
Kreuzer gekümmert, bis ihre Familien reich worden sind."
Der Flieder begann im Hausgärtlein zu blühen, die Schwert-
lilien standen voll dicker Knospen, die kleinen Blumenbeete zeugten
von Frau Nams fleißigen Händen. Der Meister bog ihr die Zweige
des einzigen Rosenbäumchens herab: „Kik, Naning, allens voll Blüten,
dat wird 'ne ßöne Pracht werden!"
Nani bewunderte die Knospen und rief den Meister in die kleine
Laube hinein, sich auf das Bänkchen setzend.
„Nu, wat wull min Frauchen?"
„Du, Franz, nächste Woche ist der große Markt in Rohitsch. Laß
mich diesmal fahren; es ist wegen der Sprache. Ich verstehe doch
besser das Slowenische."
„Dat is gewiß. Min Dag lern' ick nich dat Französ'sch, dat man
hier zu Lande Windisch benamset."
„Also, Franz, darf ich fahren."
„Je ja — awerstens wat werd de Madam Swiger datau sagen?
Es werd ihr sehr entgegen sin, dat ehr Dochter so tau Markte steht,
in ehr Gudmäudigkeit."
„Meine Mutter hat sich bis jetzt nicht um mich gekümmert, sie
hat auch da nichts dreinzureden."
Die blauen Mecklenburgeraugen sahen Nani liebevoll an: „Nu,
man tau!" —

Frau Nani hat später noch oft an diese erste Marktfahrt gedacht.
Da lag das Land in Maienduft, überschneit vom Blütenschnee; die
Vöglein sangen, und die Fahrt inmitten der großen, mit Eisen
beschlagenen Kisten war eine wahre Wonne gewesen. Aber hundert-
mal saß später die zarte Frau im Sturm und Regen unter der Wagen-
decke. Nach wildem Schneegestöber, daß die Pferde kaum die Straße
finden konnten, stand sie dann stundenlang in eisiger Winterkälte
auf einer steifgefrorenen Schweinshaut. Dabei mußten ihre Augen
aufmerksam herumwandern, denn diebische Hände gab es genug unter
den Marktbesuchern. Gleich auf jener ersten Fahrt zahlte die Meisterin
bitteres Lehrgeld. Das größte Stück Leinwand, das eine reiche
Müllersfrau zum Färben gebracht, war ihr unter den Händen ver-
schwunden. Bitterlich weinte sie auf der Heimfahrt und bat den
Gesellen Karl, es vorläufig ihrem Manne verschweigen zu wollen.
Zu sehr schämte sie sich dieser Unaufmerksamkeit. Die letzten Spar-
groschen von des Doktors Ostergeschenk wandte sie daran, um den
Schaden zu vergüten. Nie wieder ist der Frau Nani später ein
Stück abhanden gekommen. Der Geselle Karl erwies sich als ge-
treuer Eckart. Im größten Unwetter wußte er ihr immer noch ein
trockenes Plätzchen zu verschaffen. Niemand freute sich mehr als
er, wenn Frau Nani ihm nach einem arbeitsharten Tag eine mit
Geld gefüllte Schweinsblase zeigen konnte. Er pflegte dann scherzend
zu sagen: „Ja, ja, Frau Mutter! Unser Herrgott verlaßt kein Deut-
schen net, wann er ein bisserl Windisch kann."

ie alte Gertschka überraschte einmal ihr Nanetterl bei einem
sehr mühseligen Geschäft; sie flickte noch einmal der Frau Rose!
zerschlissene Kleinkinderwäsche zusammen. Die Getreue konnte es
nicht verwinden, der Neißin ordentlich die Leviten zu lesen: „Eine
Sünd und eine Schänd ist's, wie unser Nanetterl sich plagt mit
den alten Hadern. Da sagt ein Stich zum anderen: Hältst du? —
So halt' ich a! — Und in solche Lumpen soll das Enkerl vom,Golde-
nen Straußen' gewickelt werd'n? Es dreht ein völlig den Magen
um, pfui Teirel!"
Wütend spie die Aufwascherin in die Küche hinein; die Neißin
faßte ihr weites Kleid, daß der Strickrock in halber Höhe zu sehen
war, und trippelte stolz zur Türe hinaus.
Dem Doktor klagte Gertschka ihr Leid: „Aber gelten S', Euer
Gnaden werden doch unser Nanetterl nit in ihrer schweren Stund
verlassen?"
„Ich werde hinübergehen, wenn es so weit ist, und wenn meine
Frau Eheliebste vor Zorn zerplatzt."
„Und warum gehen denn Euer Gnaden nit jetzt gleich nüber?
Jesses, wie unser Nanetterl sich freuen tät!"
„Das versteht Sie nicht, Gertschka. Ihre Frau tät mir ja keinen
guten Bissen mehr gönnen, und ich brauche das Essen und die Ruhe
für meine Gesundheit."
Gertschka murmelte hinter ihm her: „Oh, du vermaledeiter Freß-
sack!"
Mitte Oktober gebar Frau Nani ein zartes Knäblein. Vergeblich
mühte sich der Doktor, seine Frau zu bewegen, mit ihm in das Färber-
haus zu gehen.
„Nein, nein! Da predigst du umsonst. Dem Blaudrucker sein
Bub geht mich gar nichts an."
Dankbar war Nani ihrer Schwester, daß sie die ersten Tage bei
ihr blieb, eine gute Hühnersuppe kochte und dem kleinen Konradl
wehrte, der kreuzunglücklich an der Türe des Eckzimmers nach seiner
„lieben, braven Mutter" weinte. Bedauernd pflegte die Jungfer
zu sagen: „Hörst, Nanett, was du für ein geplagtes Geschöpf bist.
Jeden Augenblick kommt der Meister, die Urschel oder eines der Kinder
und will was von dir; da ist ja jede Katzenmutter bei mir besser dran."
Der Doktor hatte das Kind aus der Taufe gehoben; dafür wan-
derte abends das für ihn gebratene Spanferkel in die Speisekammer
zurück; er mußte sich mit einer Schüssel Kuttelflecke begnügen. Auch
sein Wein war recht mäßig. Geduldig ertrug er ein paar Tage hin-
durch diese Kasteiungen, dann sagte er dem Nanetterl, seine Be-
suche seien nicht mehr nötig. Am fünften Tage erklärte auch die
Jungfer, wieder heimkehren zu müssen: „Weißt, Nanett, die Mimerl!
Das ist so ein unvorsichtiges Tier. Sie setzt sich immer auf die zugige
Bodenstiege, dann kriegt sie im linken Vorderbratzerl das Reißen."
Zum Jubel der Kinder zog die Tante wieder ab; sie liefen trotz
des kalten Herbstwindes draußen herum. Eines Morgens lagen Hein-
rich und Konrad im heftigsten Scharlachfieber. Trotz ihrer Schwäche
wankte Nanett von einem zum anderen; der Doktor trieb sie wieder
 
Annotationen