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Nach einem Gemälde von August Gebhard

Riech-
hatte,
bitter,
davon

Das Testament des sel. Eusebius.
Roman von Viktor Hellina.
(Schluß.)
ber für Tante Regine Watnstein gibt es tein Stillestehen,
und ein Stilleliegen schon gar nicht. Keine zehnmal hat sie
-in den zwanzig Jahren, in denen das Geschick sie nach
Grotz-Grinderode stellte, ein Mittagschläfchen gehalten. Auch heute
rief der Tag, dessen Uhrwert so greulich in Unordnung geraten war,
zu neuer Arbeit. Zu vier Uhr hatte sie den Vogt, eine halbe
Stunde später den Förster bestellt. Sie glättete ihr Haar und ging
an den Schreibtisch, auf dem ein kleiner Berg von Lohnbüchern
angehäuft lag.
„Latz mich jetzt allein, Kind," sagte sie zu Annemarie. „Über-
haupt möchte ich wis¬
sen, wie das Riech¬
salz ins Haus kommt.
Ich danke jedenfalls
dafür."
Dann fiel ihr ein,
datz ihr Vetter Hein¬
rich einmal das grüne
Glas mit dem
salz geschenkt
und sie lachte
Sie war jetzt
überzeugt, datz den
Major die Verant¬
wortung, wenn nicht
noch Schlimmeres, für
den unfatzbarenSchritt
traf, den ihr Neffe
getan. Und es zeigte
sich ihr noch kein Aus¬
weg, wie er rückgän¬
gig gemacht werden
konnte.
Und wieder schos¬
sen ihre Gedanken
durcheinander. Vor
ihr lag der große
Handatlas aufgeschla¬
gen. Nach ihren Be¬
rechnungen mutzte der
Rote-Stern-Dampfer
„Nentmoor" jetzt schon
Madeira verlassen ha¬
ben und sich mit Esther
und ihren Freunden
der Küste Portugals
nähern. Neben dein
Atlas stand seit gestern
eine Tischlampe, die
davon Zeugnis ab¬
legte, datz nun auch
die elektrische Lichtan¬
lage eingerichtet war,
das Letzte, die Krö¬
nung der hundert¬
fachen Vorbereitun¬
gen. Und an der
Wand vor ihr strahlte
in leuchtenden Farben

Die Weihnachtspuppe.

die neue Tapete. Und das alles sollte nun umsonst sein? Berech-
nungen und Wünsche, Vorbereitungen, die unendlich vielen Placke-
reien und Arbeiten, schlaflose Nächte und Sorgen, Zureden und
Eifer? Und all das schöne Geld, das dabei vergeudet worden war
und das hundertfältige Frucht hatte bringen sollen, das alles sollte
vergeblich sein? Und die Vergrötzerungspläne, mit denen sie sich
so lange getragen, auch sie sollten vernichtet sein? Und sie selbst?
Sollte auch ihre langjährige Arbeit umsonst gewesen sein? War
das der Preis der hingebungsvollen Liebe für die Hofmark, datz
sie nun unnütz wurde, beiseite geschoben, verdrängt? Datz sie nun
nichts tun konnte, als von ferne zuzusehen, wie die Kinder ins
Leben hinausrannten, die sie so gern noch ein Stück Wegs begleitet
hätte?
Und Heinrich, Vetter Heinrich, ach, er würde schadenfroh zu dem
allem lachen. Wie bösartige Menschen lachen, wenn dem Lohgerber
die Felle wegschwim-
men, oder wie dumme
Kinder lachen, wenn
sie die Fabel von der
Gluckhenne hören, die
kleine Enten ausge-
brütet hat und nun
rat- und hilflos am
Ufer hin und her rennt,
während die Küken
lustig davonrudern.
Nur datzdieser Hein-
rich nicht dumm, son-
dern äußerst berech-
nend war, schmerzte
sie am meisten von
allem; dieser unglaub-
liche Mensch könnte
imstande sein, lachend
die goldene Ernte ein-
Zuheimsen, die Hans-
Albrecht, vom ersten
hübschen Frätzchen be-
tört, aus den Händen
ließ. Gegenüber die-
sem Gefühl traten alle
anderenSchmerzen zu-
rück, selbst der harte
Schlag, datz Hans-
Albrecht sich über alle
Überlieferungen Hin-
wegsetzen wollte.
Seufzend richtete sie
sich auf, als ihr der
Vogt gemeldet wurde,
und noch nie war sie
bei einem Vortrag so
zerstreut gewesen, voll-
ends dann, als ihr
plötzlich wieder der
Traum einfiel, der sie
einmal erschreckt hatte,
der Traum, in dem sie
gesehen hatte, wie eine
fremde Person ihre
Arme um Hans-Al-
brecht schlang. Ihre
Ahnung hatte sich also
erfüllt. Sie wußte es

vni.
 
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