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Die Falkner auf Andenhöhe.
Roman von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)
chon in aller Morgenfrühe des folgenden Tages hatte der Ge-
richtsdiener die Vorladung in der Wohnung des Doktor Ger-
mering abgegeben, und auf die Minute pünktlich stellte sich der
junge Arzt um neun Uhr in dem kleinen Tiefenbrunner Gerichts-
gebäude ein. Er wurde sofort in das Zimmer des Amtsrichters Eberty
geführt, den er nicht allein fand. An einem abseits stehenden Tischchen
saß ein magerer, ältlicher Mann mit ausdruckslosem, verknittertem
Schreibergesicht. So nichtssagend auch die Physiognomie dieses
schweigsamen Menschen war, sie prägte sich doch seltsamerweise dem
Gedächtnis Germerings so tief ein wie kaum je ein anderes Antlitz.
Und kaum je war ihm ein Mensch so widerwärtig gewesen wie dieser,
den er nicht einmal dem Namen nach kannte, und der ihm doch nie
ein Leid zugefügt.
Eine leichte stumme gegenseitige Verneigung und eine einladende
Handbewegung des Amtsrichters.
„Bitte, Herr Doktor — nehmen Sie Platz! Sie wissen, weshalb
Sie geladen sind?"
„Ich vermute es wenigstens. Nach der gestrigen Vernehmung
zu schließen, handelt es sich wohl um den Tod der Frau Falkner?"


Eberty nickte und begann: „Nachdem durch die Leichenöffnung
und die mit ihr verbundenen ärztlichen und chemischen Untersuchungen
unzweifelhaft erwiesen ist, daß das Ableben der Frau Signe Falkner
durch Vergiftung erfolgte, ist auf Antrag der Staatsanwaltschaft
vom Landgericht zu Neustadt die Voruntersuchung beschlossen worden,
und man hat mich mit ihrer Führung beauftragt. Sie befinden sich
vor dem gesetzlich bestellten Untersuchungsrichter und haben mir
auf meine Fragen wahrheitsgemäße Antwort zu geben. Sie wurden
gestern schon von dem Kriminalkommissar Weiland vernommen,
dessen Bericht mir hier vorliegt. Ich frage Sie zunächst, ob Sie alles
aufrechterhalten wollen, was Sie diesem Beamten gesagt haben."
„Was in seinem Bericht steht, weiß ich nicht. Aber was ich ihm
gesagt habe, halte ich aufrecht."
„Sie bekunden also, daß Sie im Verlauf der ärztlichen Behand-
lung der Frau Falkner außer einem Schlafmittel in Pulverform
keine andere Arznei verabreicht haben als einen harmlosen Baldrian-
ertrakt, dem Sie eine unschädliche Dosis Morphium beigemengt
hatten?"
„Sie geben weiter an, ihr dies ungiftige Mittel, das Sie Ihren
eigenen Arzneivorräten entnahmen, um die Mitte des Monats Juni
in ihre Wohnung gebracht zu haben?"
„Genauer können Sie mir den Tag nicht bezeichnen?"


Die Hauptstraße im besetzten Odessa.


XX. ISIS.
 
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