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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

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Heft 14
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https://doi.org/10.11588/diglit.44086#0264
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Mechthild vom Wörth.
Ein Lhiemseeroman von Anny Wothe.
s war im Maien. Leidstillender Gottesfriede lag über
der blaßgrünen Flut. Von der Liebfrauenkirche der
kleinen Insel Frauenwörth im „Bayrischen Meer"
klangen die Abendglocken. Gleißend spiegelte sich das alte
Marienkloster in den schimmernden Wellen, in welche die Abend-
röte Purpurrosen streute. Weithin schwebten die heiligen
Klänge über den See. Langsam zog eine Barke über die leise
zitternden Wogen. Eoldperlen tropften von den Rudern, die
eine kräftige, leicht gebräunte Mädchenhand führte. Blüten und
wildes Gerank, mit dem der Nachen beladen, fielen über den
Rand des kleinen Fahrzeuges und warfen eine duftige Schleppe
über die Wellen.
Beim Klange des Aveläutens zog das Mädchen die Ruder
ein, und ihr rotblondes, lockiges Haupt neigte sich andächtig zum


Gebet. Die junge Nonne, die am Steuer saß, ließ den Rosen-
kranz durch ihre bleichen Hände gleiten. Nur die Frau, die
hochaufgerichtet im Boot verharrte, betete nicht.
Auch sie trug die Tracht der Benediktinerinnen. Ihr Schleier
wehte im Winde, und ihre dunklen Augen, die weithin in die
Ferne schweiften, blieben wie verloren an der hohen Kampen-
wand haften. Die Nonne am Steuer suchte beunruhigt die
graugrünen, dunkelbewimperten Augen des Maidlis, das jetzt
wieder die Ruder in die Fluten tauchte und der jungen Schwester
Sigmunda unbekümmert und herzig entgegenlachte.
Der Glockenklangvwar verhallt, und Mechthild sang leise über
den See:
„Fraue mein, Fraue mein,
Wo hast du den Schlüssel zum Herzelein?
Schließ zu den Schrein, den goldnen Schrein,
Du könntest sonst leicht gefangen sein.
Verwahr' es gut, das Schlüsselein,
Fraue mein, Fraue mein!
Wie leicht kann es dir gestohlen sein,
Fraue mein, Fraue mein!"

pho«. A. Rupp, Berlin,
ssruhlingsmorgen.


XIV. MS.
 
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