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Heft 1

Die von Beeren.

Noman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel).
Erstes Kapitel.
er Oberforstmeister von Beeren trat mit einem Blatt des
Stadtanzeigers zu seiner Frau.
„Lies, Agathe!"
Oberforstmeisterin ließ das Buch aus ihren Händen
sinken und begann zu lesen: „Nachdem ich hier das Kolonial-
waren- und Delikatessengeschäft Bertini käuflich übernommen
habe, bitte ich, das meinem Vorgänger geschenkte Vertrauen
auch auf mich übertragen zu wollen. Florian Beeren."
„Nicht möglich! Nicht denkbar!" flüsterte sie, verstört in
das finstere Gesicht ihres Gatten schauend.
„Dein Stiefbruder, Otmar . . ."
Der Oberforstmeister schritt, mehr zu sich selber sprechend
als zu jemand anderem, im Zimmer hin und her.
„So war er immer. Von Kindheit an. Nichts war mit dem
Jungen anzufangen. Meine Mutter konnte ihn beim Ehrgefühl
fassen, unser Vater ihn züchtigen — er blieb, wie er war. Von
Ehrgeiz keine Spur. Und als er endlich mit achtzehn Jahren in
der Untersekunda gelandet war und dem Ordinarius erklärte,
er wolle lieber Ziegenfutter kauen als solch trockenes Gelehrten-
zeug, da gaküs zu Hause böse Stunden. Und die Folge war,
daß er heimlich davonlief."
Frau vonBeeren faltete die Hände auf der schwarzen Seiden-
schürze.
„Was wird deine Mutter sagen! Was Tante Amalie! Und
Onkel Balduin! Und unser Sohn Ottomar! Wie schön haben
wir uns so mitten in die Familie hineingesetzt —"
„Bis auf deine Base oder Nichtbase Zippelmann," bemerkte
der Oberforstmeister scharf.
„Otmar, das konnte keiner wissen," seufzte Frau von Beeren,
„daß Mika Zippelmann hier sich niedergelassen hatte. So ganz
abfallen lassen möchte ich die reiche, kinderlose Witwe nicht,
um Hannas und Haides willen . . ."
Auffahrend rief der Oberforstmeister: „Und ich sage dir,
daß ich mit ihr nichts zu schaffen haben will. Wessen Witwe denn?
Was war der Mann? Das bekommt niemand heraus. Fabrikant!
Was für ein Fabrikant? Ich will lieber nichts mehr sagen."
Frau Agathe seufzte tiefer.
Ja, mit dieser Verwandtschaft war von feiten der Familie
von Beeren nicht viel Staat zu machen. Mika Zippelmann besaß
neben einem stattlichen Vermögen ein großes Haus am Markt-
platz, in dem die alte Nentmeisterin von Beeren, geborene von Lure,
mit ihrer Schwester die Hälfte eines Stockwerkes gemietet hatte,
ohne der entfernten Verwandtschaft der Besitzerin mit ihrer
Schwiegertochter zu gedenken.
Im Erdgeschoß dieses Hauses befand sich das Kolonial-
warengeschäft Bertini, jetzt Florian Beeren.
Der Rentmeister von Beeren hatte sich seinerzeit an der Ver-
mögenslosigkeit der schönen Luitgarde von Lure nicht gestoßen,
als er sie zur Stiefmutter seines Zweijährigen Sohnes Florian
machte, und war danach Vater eines zweiten Sohnes Otmar
geworden.
Nun war der Rentmeister von Beeren, der sich durch Fleiß
zu einer angesehenen Stellung heraufgearbeitet hatte, ein von
seinen Fähigkeiten hochüberzeugter und auch ein harter Mann
geworden. Der vierschrötige Junge aus erster Ehe mit dem un-
geschickten Benehmen und geringen Schulfleiß, dem der jüngere
Bruder als gewandter, hübscher und ehrgeiziger Bursche gegen-
überstand, vermochte dem Vaterherzen niemals ein warmes
Gefühl zu entlocken; noch viel weniger gelang ihm dies bei seiner
Stiefmutter, die allen Familienstolz gänzlich an ihn verschwendet
sah. So kam es, daß die häusliche Zurücksetzung und die gelegent-
lichen Härten der Lehrer in dem Heranwachsenden eine bitter-
trotzige Widerspenstigkeit auslösten, die endlich zu jener Kata-
strophe führte, welche das rentmeisterliche Haus —zu uneinge-


Die


standener Befriedigung aller — von einem Stein des Anstoßes
befreite.
Deshalb fiel es auch keinem ein, sich nachträglich irgendwie
darum zu bekümmern, was der aus dem Hause Entlaufene trieb,
umso weniger, als der Rentmeister seine Einkünfte fest Zusammen-
halten mußte, dem zweiten Sohn die kostspielige Forstlaufbahn
zu ermöglichen.
Er tat so und erlebte es zu seiner Befriedigung auch noch,
diesen sein Ziel erreichen zu sehen, bevor er selber die Augen
schloß, ohne des Entflohenen zu gedenken, der bald danach
durch einen Anwalt sein mütterliches Erbteil einfordern ließ.
Nach dem Tode des Rentmeisters stellte sich aber erst heraus,
daß für Frau Luitgarde nichts übrigblieb als die gesetzliche
Pension, mit der sie samt ihrer Schwester, einer gewesenen
Stiftsdame, die es ausgezeichnet verstand, in vornehmer Weise
zu betteln, einen städtischen Haushalt führte, dem von der Dürftig-
keit der vorhandenen Mittel kaum etwas anzumerken war.
Die Wahl ihres zukünftigen Wohnortes bestimmte ausschlag-
gebend das Vorhandensein eines Vetters in dieser Stadt, des
pensionierten Majors Balduin von Lure, der in Gesellschafts-
kreisen gern gesehen war, und den man in gewissen Familien
immer bei sich haben mußte.
Der alte Herr mit dem vollen weißen Haar, glänzenden Lack-
stiefeln und schwarzem Gehrock wirkte überall so gut, daß man
ihn wie ein Dekorationsstück gern auf dem richtigen Platz zur
Schau stellte.
Es ging in der Stadt das Gerücht, daß der Major ein außer-
ordentlich gelehrter und lebenskluger Mann sei, aber es mußte
wohl so sein, daß er nur in seltenen Fällen seine ungewöhnlichen
Fähigkeiten ins gehörige Licht zu setzen für gut hielt. Was er so
gelegentlich im Alltag von sich hören ließ, waren allerlei Geschichten,
die eine Art ewiges Leben hatten, da er sie immer von neuem
vorbrachte, ohne daß sie durch Wiederholungen an besonderer
Witzigkeit gewonnen hätten oder auch nur im geringsten geist-
reicher geworden wären.
Diese drei Verwandten ihres Gatten erhoben sich in den
Augen der Oberforstmeisterin zu Sinnbildern höchsterreichbarer
Vornehmheit — denn wenn sie auch keine geborene Zippel-
mann war, war sie doch eine geborene Pechler, und der Ur-
sprung ihrer Mitgift führte auf einen Ahnen zurück, der Brikette
und Steinkohlen in Gold und Silber umzuwandeln verstand
und als Brennmaterialienhändler aus einer Kellerwohnung
allmählich in das erste Stockwerk emporgestiegen war. Doch
das war ein dunkler Punkt in ihrer Vergangenheit, an die sich
Frau Agathe so gut wie nie zu erinnern pflegte. Und es bot
sich ihr dazu auch nur in ganz besonders trüben Stunden Anlaß.
Als der Forstadjunkt Otmar vonBeeren um sie warb, war sie
ein begehrtes Juristentöchterlein, woran ihr Freiersmann sich
genügen ließ; für ihn bot die Gewißheit, der mütterlichen Kasse
einen Zuschuß gewähren zu können, den Anlaß, sich um Ver-
gangenes nicht zu bekümmern. Und die Aussicht auf diesen Um-
stand versüßte auch das Verhalten beider Damen gegen Schwieger-
tochter und Nichte, so daß Frau Agathe sich in diese Verwandt-
schaft wie in ein Paradies versetzt wähnte.
Drei Kinder hatte sie ihrem Gatten geschenkt. Otntar,
der als Referendar bei der Regierung in der Stadt beschäftigt
war, die schöne, braunhaarige Hanna und die blonde, kaum
siebzehnjährige Haide, die allerdings noch nicht die geringste
Gewähr bot, sich den Idealen der Großmutter und Tante zu
nähern.
„Wie wirst du dich nun in dieser Lage verhalten, Otmar?"
fragte Frau Agathe, schüchtern aufblickend, „deutlicher gesprochen,
was gedenkst du zu tun?"
„Zu tun? — Du meinst doch hoffentlich: nicht Zu tun?"
„Ich werde ganz entschieden verbieten," sagte die Oberforst-
meisterin, „daß in diesem Geschäft von uns noch ferner gekauft
wird, das versteht sich von selbst. Und mit den Kindern werde ich
sprechen und ihnen klarmachen, wie sie sich zu verhalten haben.
Daß deine Mutter und Tante Amalie auch gerade im selben
Hause wohnen müssen!"

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