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Heft 95 DasBuchfürAlle Z89

^erliche Garten war von blutrotem Schein überflutet, der sich
zu einem grauenhaften Gebilde verdichtete — einem Menschen-
haupt mit totenähnlichen Zügen, die denen der Tante Mia
glichen. Nun wußte Ella auch, daß sie es war, die so angstvoll
geichrieen hatte.
„Ich wußte es ja, du bringst Unglück!" stöhnte sie und wollte
fliehen. Aber sie
fühlte sich wie von
unsichtbaren Hän-
den festgehalten
und mußte mit an-
schauen, wie des
Japaners Gestalt
in das Riesenhafte
wuchs. Ihr Ent-
setzensteigerte sich;
da fühlte sie sich um-
faßt und eine wohl-
bekannte Stimme
flüsterte ihr zu:
„Sei ruhig, du bist
ja gerettet!"
„Hans!" rief sie.
„Lieber — lieber
Hans —"
Dann erwachte
Ella.
„Ein unheimli-
cher Traum! "dachte
sie. Doch schon be-
gannen ihre Ge-
danken sich wieder
zu verwirren, sie
schlief ein und ruhte
traumlos bis zum
Morgen.

eit Wochen
lebte Frau
Johanna
Hattas in großen
Sorgen. Zwei ihrer
besten Zimmer stan-
den seit AnfangDe-
zember leer. Das
war ein schwerer
Verlust für sie: al
lein auf den Ertrag
ihres Pensionates
angewiesen, konnte
sie ihren Verpflich-
tungen nur nach-
kommen, wenn sie
sämkliche Räume
der Wohnung mit
voller Beköstigung
vermietet hatte.
Noch hatte Frau
Johanna fast sechs
Wochen Zeit, bis
der Mietzins fällig war, aber dann — was sollte dann werden?
Sie weinte sich Nacht für Nacht in den Schlaf, und ihre
Wangen wurden täglich hohler, ihre Augen trüber. Manche
Leute sind liebenswürdig, wenn sie Lummer haben, aber so
war sie nicht geartet. Ihr fehlte die Selbstbeherrschung und der
Stolz, um ihre Sorgen still zu tragen. Sie machte jeden, mit dem
sie zusammenlebte, für ihr Unglück verantwortlich und sprach
von nichts anderem als ihren unvermieteten Zimmern. Die
Pensionäre wußten ja, wie schwer sie kämpfen mußte, und be-
dauerten sie, aber ihr Mitleid war nicht frei von Geringschätzung.
25. 182N

„Du wirst mit deinen ewigen Klagen uns noch die Leute
aus dem Hause treiben," sagte Ella. „Es hat jeder genug mit
seinen eigenen Sorgen zu tun."
Erbost erwiderte Frau Johanna: „Ich möchte wissen, was
Tante Mia für Sorgen hat. Eine reiche Frau, die bloß zum
Bankier zu gehen braucht, wenn sie Ausgaben hat. Es ist un-
verzeihlich von ihr,
daß sie mir nicht
hilft. Aber wer im
Überfluß lebt und
für piemand zu
sorgen braucht, der
wird immer ego-
istisch und harther-
zig — das kennt
man ja. Ich würde
nicht so sein, ich
würde es niemals
mitansehenkönnen,
wie Menschen, die
mir so nahestehen,
sich zu Tode grä-
men, während es
für mich eine Klei-
nigkeit wäre, ihrer
Not ein Ende zu
machen. Ich wollte
nichts sagen, wenn
sie mir die paar
hundert Kronen
noch schenken sollte.
Aber das weiß sie
ja, daß ich ihr alles
auf Heller und
Pfennig zurück-
geben würde."
Ella dachte dar-
an, daß noch nie
jemand von der
Familie der Tante
einen Heller ge-
borgtes Geld wie-
dergegeben hatte.
„Sie mag sich
mitihrem Gewissen
absurden," eiferte
die Mutter weiter.
„Ich bin zu stolz,
um von jemand
Gefälligkeiten zu
erbitten — lieber
gelst ich zugrunde.
Und das werd' ich
auch! Mein Schick-
sal war es von je-
her, Opfer zu brin-
gen, aber von nie-
mand welche an-
zunehmen. Soist's
ja auch mit meinen
Kindern. Da hab' ich nun gearbeitet und gedarbt mein Leben
lang, aber wie vergelten sie's mir? Von Alois will ich gar nicht
reden, denn wenn er sich verheiratet, bin ich wenigstens die Sorge
für ihn los, aber du — du ..."
„Mutter!" rief Ella ungeduldig, „was könnte ich denn für
dich tun, ich, die ich keinen Heller besitze - "
„Das liegt doch nur an dir! Wenn du dich reich verheiratetest,
wäre alles anders. Freilich, wenn man sich so kompromittiert!
Aber das sage ich dir — mir kommt dein Japaner nicht ins
Haus. Ich würde ihm die Tür weisen, dem — dem . .."


Hochsommer.

Nach einem Gemälde von Hans Richard von Volkmann.
 
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