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I 2

Das Bu ch f ü r "Alle

Heft i



Siedelungsverein Groß-Stuttgart:HeiinstattenanlageKauonenweg.

Reihenhäuser des Siedelungsvereins Reutlingen.

Der Flachbau, ein deutsches Wohuuugsideal
Von Eduard Pommer / Mit sechs Bildern
ur Zeit der unüberwindlich scheinenden Baunöte, die vor allem durch
oeu Kohlenmangel und das Fehlen der hauptsächlichsten Baumate-
rialien bedingt waren, brachten wir in unserem „Buch für Alle"*
eine illustrierte Abhandlung über den in Vergessenheit geratenen Erdstampf-
bau. Zahlreiche Zuschriften und Anfragen aus unserem Leserkreise, die
auch aus Amerika eiuliefen, bewiesen, datz diese Anregungen im rechten
Augenblick erfolgten. Inzwischen hat man die „natürliche Bauweise" über-
all, wo die Bedingungen dafür gegeben sind, ausgenommen, und es ist nicht
mehr nötig, für diese leichtfertig als „Ersatzbauweise" bezeichnete Technik
einzutreten.
Die Wohnungsnot ist im Reiche noch keinesfalls behoben, denn in ganz
Deutschland fehlen uns zur Zeit etwa dreiviertel Millionen Wohnungen,
eine Zahl, die eher zu niedrig als zu hoch gegriffen ist. Wenn auch da
uud dort viel geschehen ist, diesem höchst betrüblichen sozialen llbelstand ab-
zuhelfen, so sind doch die dringlichsten Aufgaben noch immer nicht gelöst.
Trotz des gesetzlichen Mieterschutzes werden Mietsteigerungen aus die Dauer
uur unvollkommen zu verhindern sein. Ein M i e t st e u e r g e s e tz und
ein Reichs Mietegesetz über die Regelung der Mietzinsbildung
befinden sich in Vorbereitung. Nach dem Mietsteuergesetz ist die Erhebung
eines jährlichen Aufschlages vou miudesteus zehn Prozent auf die Miete
vorgesehen. Die Länder und die Gemeinden sollen davon je fünf Prozent
zur Verzinsung und Tilgung der 1921 und 1922 von Staat und Gemein-
den geleisteten Baukostenzuschüsse erhalten. Ohne Zahlen anzugeben, darf
behauptet werden, daß auf diese Weise die für eiue erhöhte Bautätigkeit
nötigen Summen nicht beschafft werden können. Es mutz betont werden,
datz mit dem augenblicklich zu erlangenden normalen Realkredit nicht ein-
mal der siebte Teil der Bailkosten gedeckt zu werden vermag! Aus Furcht
vor etwa eintretenden Preissenkungen und weiterer Geldentwertung
dürfte die private Unternehmertätigkeit im Ballwesen noch für längere
Zeit darniederliegen. Sollte nun trotz dieser Sachlage in absehbarer Zeit
wieder mehr geballt werden, so mützte wegen der hohen Kosten eine
allgemeine stärkere Mietsteigerung eiutreten. Eine Bereichernng der Bau-
unternehmer und Hausbesitzer über ein billiges Matz hinaus mutz zu ver-
hindern gesucht werden, denn unser verarmtes, hart ringendes Volk kann
ihnen die Eeldschränke nicht füllen. Es wird sich zeigen, in welcher Weise
durch ein Reichsmietegesetz erträgliche
Zustände geschaffen werden können.
Nun fragt es sich, wie geballt werden
soll. Für Privatunternehmer, die frühem
Mietkasernen errichteten, ist die heutige
Lage ungünstig, denn derartige An¬
lagen sind durch die Lohn- und Bail¬
stoffteuerung nahezu zu einem Millio¬
nenobjekt geworden. Bei dieser Art von
Unternehmen sind heute in jeder Hin¬
sicht grötzere Schwierigkeiten zu über¬
winden als in der Vorkriegszeit; das
hauptsächlichste Anreizmittel zum Bauen,
die Eewinnaussichten am Bodenge¬
schäft, kommt dabei nicht in Frage.

* Jahrgang 1920, Heft 16, Seite
315 ff.: Zur Lösung der Wohnungs-
not. Mit 7 Bildern.

Durch eine falsche, durchaus zu verurteilende Boden-und Verkehrspolitik ist
um unsere Großstädte ein Ring geschaffen worden, der nicht mehr zum Bauen
benützt werden soll, denn wir brauchen keine weiteren Mietkasernen und
Massenquartiere. Da auf diesem der Terrainspekulation verfallenen teueren
Boden auf lange Zeit Hochbauten nicht errichtet werden können und sollen
und Flachbauanlagen ganz unmöglich sind, bleibt nichts anderes übrig,
als diesen Ring zu durchbrechen und zu übergehen. Wenn dies geschieht,
mutz auch für die Verkehrsfrage eine Lösung gesucht und gefunden werden.
Ausserhalb dieses Ringes ist zu billigen Preisen neues Gelände zu erschließen,
und die Grundstücke müssen der Spekulation dauernd entzogen werden.
Dazu bietet das neue Enteignungsgesetz Handhaben. Im Sinne dieses Ge-
setzes vorzugehen, ist Pflicht der Städte und Gemeinden. Hier gilt es, Ver-
säumtes entschlossen nachzuholen und nicht zu zaudern. So ergibt sich zu-
nächst als bedeutsamste Aufgabe die Umsiedelung eines Teiles der städtischen
Bevölkerung auf das Land.
Um nur zwei Fälle zu nenuen: in Nürnberg fehlen noch viertausend, in
Stuttgart die doppelte Zahl an Wohnungen. Diese Städte sind hier ge-
wählt worden, weil für die Frage des jeweilig erschließbaren Baugrundes
ausgesprochene Gegensätze bestehen. Nürnberg liegt flach und bietet Ans-
dehnungsmöglichkeiten, das Stuttgarter Gelände erschwert die Anlage von
Siedelungen im F l a ch b a n. Dieser Punkt mutzte erwähnt werden, weil
man sich dort, wo das Gelände ähnlich wie in Stuttgart beschaffen ist,
zögernd oder ablehnend gegen den Flachbau verhält. So hat man erklärt, datz,
wenn inan sich in Stuttgart zur Lösung der Wohnungsnöte für den Flach-
bau entschließen würde, dazu eine Fläche nötig sei, die dem Stadtweich-
bild der neunziger Jahre gleichkämc. Angesichts dieser Geländebeschaffen-
heit ist beachtenswert, daß Professor Paul Schmitthenner von der Stutt-
garter Technischen Hochschule entschieden für den Flachbau und die völlige
Änderung unserer verkehrten Bau- und Wohnsitten eingetreten ist. Er ver-
glich die Baukosten eines zwei stockigen Miethauses (Kleinhaus), des
dreistöckigen Miethauses (M i t t e l Haus), des fünfstöckigen Miet-
hauses (H o ch Haus) und des eingebauten Einfamilienhauses (Reihenhaus)
miteinander. Nach Berechnungen kam er zu dem Ergebnis, daß ein fünf-
geschossiges Methans die größten Baukosten erfordert. Bei zweckmäßiger
Erundritzgestaltnng und gleichem umbauten Rau m erhält das
Einfamilienhaus eine noch um zehn Prozent größere Wohnfläche als das
Miethaus. Beim Errichten eines Einfamilienhauses ist eine weitere Kosten-
verringerung zu erzielen. Dabei verdient beachtet zu werden, daß die
Grundstückpreise seit der Vorkriegszeit verhältnismäßig unwesentlich höher
wurden, die Baukosten aber bedeutend
gestiegen sind. Rechnet man mit dem
hohen Bodenpreis von zweihundert
Mark für das Quadratmeter, so ergeben
sich nach Professor Schmitthenners An-
gaben bei fünfzigprozentiger Überbau-
ung des reinen Baulandes für das zwei-
und dreigeschossige Miethaus geringere
Summen für Erunderwerbung und
Baukosten als für das fünfgeschossige
Miethaus. Im letzteren Falle fordert
eben der Massivbarl nm fünfzig Prozent
mehr Backsteine und damit den gleichen
Prozentsatz mehr Material zum Bren-
nen der Steine als das Einfamilien-
haus. Aus diesen Vergleichen gelangl
Schmitthenner zu dem Schlüsse: Bau-
zuschüsse sollten nur für der: Flachbau
gegeben werden.



Seemanushaus auf Norderney, erbaut iiu Jahre 1766.
 
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