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Das Burb 7üv Alls
Hm- Illustrierte Familicnzeitung 1922

Neue Moral
Roman von Reinhold Ort mann / Fortsetzung
^^^.runo Gerling hatte die Empfindung, als ob alle die bunt
> verhängten Lampen um ihn her zu tanzen anfingen, seine
zitterte, und nur, um seine Befangenheit zu mas-
kieren, leerte er sein Glas bis auf den letzten Tropfen. Fast auf der
Stelle verspürte er die anregende befeuernde Wirkung des prickeln-
den Weines. Er lehnte sich in den Stuhl zurück und lieh seine Augen
freier umherschweifen als bisher. Da klang neben ihm eine wohl-
lautende, etwas müde Stimme: „Rauchen Sie, Herr Gerling?"
Paul Uhtoff bot ihm ein geöffnetes goldenes Zigarettenetui.
Nachdem Bruno sich dankend bedient hatte, reichte ihm Uhtoff
das brennende Benzinfeuerzeug. Diese Leute behandelten ihn
ganz wie ihresgleichen.
Nie würde Gerlings
Bürovorsteher sich zu
etwas Ähnlichem her¬
abgelassenhaben. Und
der wardoch selber nur
ein Hungerleider und
armer Schlucker im
Vergleich zuden Män¬
nern, mit denen er hier
an einem Tische saß!
Schon hatte der Kell¬
ner aufs neue seinGlas
gefüllt; nun trank Herr
Almeida ihm freund¬
lich zu.
Es war doch so übel
nicht, der East reicher,
wohlerzogener Leute
zu sein. Und das Lo¬
kal gefiel ihm mit je¬
der Minute besser.
Jetzt hatten die Mu¬
siker auf der Estrade
eine mehr sonderbar
als schön klingende
Weise angestimmt, und
plötzlich bewegte sich
ein tanzendes Paar
auf der frei gehaltenen
Fläche des Saales. Es
war ein merkwürdiges
Schreiten, Wiegenund
Hüpfen, vermutlich
einer jener Modetänze,
von denen Bruno zwar
schon viel gehört, aber
noch nie einen gesehen
hatte. Ganz so schlimm,
wie es die entrüsteten
Sittenrichtermachten,
erschien ihm in seiner
augenblicklichen Stim¬
mung der Tanz nicht.
Daß er und seine Loni
sich so bewegen sollten,
konnte er sich aller¬
dings nicht vorstellen.
2. 1S22.

Nun neigte sich Alfons mit einer geflüsterten Frage zu der
Amerikanerin. Sie nickte Gewährung und stand auf, um seinen
Arm zu nehmen. Gleich darauf tanzten auch sie, und es entging
Bruno nicht, daß alle im Saale Anwesenden ihre Aufmerksam-
keit diesem Paar zuwandten. Fräulein Almeidas schöner Körper
bewegte sich graziös und sicher. Ihre leicht geöffneten roten Lip-
pen schienen die Lust des Genießens in vollen Zügen zu trinken,
und ihre Augen strahlten. Zum erstenmal empfand der junge
Buchhalter, daß der Reiz eines Weibes berauschender wirken könne
als feuriger Wein.
Da fragte ihn Paul Uhtoff: „Sie tanzen nicht, Herr Gerling?"
„Nein, Herr Uhtoff! Wenigstens nicht diese Tänze."
„Das ist vernünftig. Sie sind eine Unterhaltung für Narren
und Genüßlinge. Kann man sich etwas Einfältigeres und Ab-
stoßenderes denken als diese hüpfenden Bewegungen?"
Vielleichthätte Bru-
no, der immer nur die
bestrickende Amerika-
nerin sah, den Mut zu
bescheidenem Wider-
spruch gefunden, wenn
nicht Herr Almeida sei-
ner Erwiderung zu-
vorgekommen wäre.
Er wandte sich Uhtoff
zu und sagte mit fremd-
artigerBetonung, aber
in fließendem Deutsch:
„Sie sind zu blasiert,
mein Lieber, oder Sie
haben Fischblut in den
Adern. Schönheit ist
nie einfältig und ab-
stoßend. Oder bestrei-
ten Sie, daß Conchita
schön ist, wenn sie
tanzt?"
„Gewiß nicht. Ihre
Tochter ist immer
schön, Herr Almeida!
Ich dachte bei meinem
Urteil nicht an sie,
die selbst aus einem
Jazz ein entzückendes
Schauspiel zu machen
versteht. Ich dachte nur
an diese sogenannten
Kavaliere, die sich zu
Affen und Niggertün-
zern herabwürdigen."
Almeida verzog sein
mageres Gesicht zu
einem ironischen Grin-
sen.
„Alles zu seinerZeit,
Herr Uhtoff! Wer zu
anderen Zeiten ein
Fuchs ist, kann wohl
auch einmal ohne Scha-
den den Affen spielen.
Man muß das Leben
immer so nehmen, wie
es sich einem bietet."


Zum Aufstand in Marokko: Beduine,

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