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Heft 2

Das Buch für 2t l l e

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Herr Doktor, finden Sie nicht, das; solche Zufriedenheit mit einein
kärglichen Lose sehr häufig nichts anderes als stumpfe Ergebung
in eine mehr oder weniger unabänderliche Lage ist?"
„Sollte Ihnen diese Erkenntnis nicht erst seit heute abend im
Edenkasino aufgegangen sein? Fast möchte ich das mit Sicherheit
behaupten."
„Nun ja, es mag sein. Vielleicht haben Sie damit recht.
Wenn man so Tag für Tag und Woche für Woche immer im
selben Joch eingeschirrt dahintrottet wie ein mit Scheuklappen
versehener Karrengaul, dann ist es kein Wunder, wenn man zu-
letzt wirklich in vollem Ernst daran glaubt und sogar überzeugt ist,
zu nichts Besserem in der Welt geboren zu sein. Lebt man unter
solchen Umstünden, dann kann man eben weder nach rechts noch
nach links sehen, fühlt sich gar nichts anderem gewachsen als seiner-
kümmerlichen Arbeit und ist obendrein noch froh, wenn man nicht
allzu oft unangenehm daran erinnert wird, daß man es besser-
haben könnte, wenn man nur den Mut aufbrächte, sich zu ver-
ändern."
„Jetzt, scheint es aber, hat man Ihnen die Scheuklappen ab-
genommen; Sie haben sich merkwürdig rasch gewandelt und sind
nun mit einem Male
sicher geworden, zu et¬
was Besserem geboren
zu sein. Dagegen wäre
nun allerdings nichts
einzuwenden. War¬
um sollten Sie nicht
danach trachten, vor¬
wärts zu kommen. Ich
finde das begreiflich.
Schade nur, daß Sie
den Weg zum Glück
unter dem Schutz und
Schirm die,es Herrn
Paul Uhtoff beginnen
wollen."
„Können Sie mir et¬
was Nachteiliges über
ihn sagen? Er machte
mir einen durchaus
achtbaren, ja sogar ei¬
nen vorzüglichen Ein¬
druck."
„Ich must sofort be¬
kennen, datz ich in die-
sem Fall doch wohl zu sehr Partei bin, um ein einigermasten
sicheres Urteil abgeben zu dürfen. Nein, dazu bin ich durchaus
nicht berechtigt. Mir fehlt die klare Einsicht dazu. Neden wir also
lieber von etwas anderem. Nicht wahr, Sie sind doch im Feld
gewesen?"
„Ein Jahr lang habe ich im Westen recht und schlecht meinen
Mann gestanden; dann musste ich nach zweimaliger Verwundung
zum Earnisondienst übertreten."
„Sie haben es glücklicher getroffen, als es mir beschieden war.
Meine Kriegsschicksale sind weniger freundlicher Art gewesen.
Ich habe anfangs im Osten gekämpft; dann aber traf mich bei
einem Rekognoszierungsritt, also bei einer ganz rühmlosen Ge-
legenheit, eine meuchlerische Kugel, und ich geriet, schwer ver-
wundet, in russische Gefangenschaft. Mein einziger Begleiter auf
diesem allerdings verwegenen Ritt war Paul Uhtoff, Ihr künf-
tiger Brotherr."
„Ist er auch mit Ihnen in Gefangenschaft geraten?"
„Nein. Er blieb damals unverletzt, und es war ihm gelungen,
sich außer Gefahr und in Sicherheit zu bringen. Auf seine Meldung
hin ist mein Name als der eines Gefallenen in die Verlustliste
ausgenommen worden."
„Ja, solche Fälle kamen manchmal vor, aber der Irrtum konnte
ja später von Ihrem russischen Lazarett aus berichtigt werden.
Ich erinnere mich an ein ähnliches Ereignis."
Doktor Randolf lächelte bitter.

„Was mich angeht, so must es wohl unterblieben sein; ich be-
fand mich ein paar Monate hindurch nicht in der Verfassung,
mich darum kümmern zu können. Als ich wieder ein Halbwegs
lebensfähiger Mensch geworden war, was ich übrigens viel we-
niger den russischen Ärzten und Lazaretten als meiner gesunden
Natur zu danken hatte, befand ich mich auf dem Wege nach einem
sibirischen Gefangenenlager, einem der fürchterlichsten und ent-
legensten von allen, in denen deutsche Soldaten schmachteten.
Von den verschiedenen Nachrichten, die ich im Laufe der Zeit in
die Heimat zu senden suchte, ist wohl keine einzige je an ihren Be-
stimmungsort gelangt. Von meinen im Verlauf der folgenden
Jahre unternommenen fünf Fluchtversuchen mißlangen vier; beim
fünften Male erst kam ich nach monatelangen Irrfahrten und
den wunderlichsten Abenteuern nach Deutschland zurück. Was ich
da fand, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Das haben Sie so gut
wie wir alle erlebt. Aber ich fand zu meinem Leide auch noch
einiges andere, worauf ich doch viel weniger vorbereitet gewesen
war als auf die unvermeidlichen Folgen unserer Niederlage.
Meine geliebte Mutter, die ich wiederzusehen sehnlichst gehofft
hatte, war in der Zwischenzeit gestorben, und meine Verlobte war
inzwischen die Frau
eines anderen gewor-
den. Wennes ein Trost
sein könnte, müßte
man sich sagen, daß
in all diesen Jahren
auch anderen Men-
schen tausendfältiges
Leid widerfahren ist.
Ja, warum soll ich
Ihnen verschweigen,
daß es Herr Paul Uh-
toff, Ihr künftiger
Brotherr, gewesen ist,
der meine Verlobte
für sich gewonnen hat.
Sie ist seine Frau ge-
worden. Jedenfalls
werden Sie es jetzt
verstehen, daß ich mich
nicht berufen fühlen
kann, irgend ein Urteil
über seinen Charakter
abgeben zu dürfen. Ich
bin in diesem Falle
nicht unvoreingenommen, und Sie haben deshalb auch nicht
nötig, auf meine Worte besonderes Gewicht zu legen."
Bruno Gerling hatte ergriffen zugehört. Er wußte das Ver-
trauen Doktor Randolfs zu schützen, das er ihm mit seiner Er-
zählung erwiesen, und fühlte sich außerordentlich geehrt, denn er-
halte noch bei keiner ihrer früheren, allerdings meist nur ge-
legentlichen und allgemeineren Unterhaltungen so deutlich wie
heute die starke Persönlichkeit dieses Mannes und seine geistige
Überlegenheit empfunden. Aber die überraschende Schluß-
wendung, die sich auf den vorhin von ihm so ehrfürchtig
bewunderten Herrn Paul Uhtoff bezog, klang ihm wenig ange«
nehm ins Ohr.
„Das klingt fast wie ein Roman," sagte er in einiger Verlegen-
heit. „Wenn ich recht verstehe, haben Sie Herrn Uhtoff im Ver-
dacht, daß er . . ."
„Verzeihung! Ich erwähnte diese Geschehnisse nicht, um sie
zum Gegenstand weiterer Erörterungen zu machen. Meine per-
sönlichen Erlebnisse mit diesem Herrn haben mit Ihrem möglichen
Eintritt in seine Dienste nicht das mindeste zu schaffen. Wenn ich
Ihnen einige Andeutungen darüber machte, so geschah das eigent-
lich in bestimmter Absicht und um Ihretwillen. Ich bielt es ledig-
lich deshalb für nötig, weil Sie sonst vielleicht ihm gegenüber ge-
legentlich Ihre Bekanntschaft mit mir erwähnt hätten. Daß Ihnen
das, wie die Verhältnisse nun einmal geworden sind, bei Ihren
Verhandlungen wahrscheinlich nicht förderlich gewesen wäre,


Pholott-ek.
Vorbereitungen zu einer Filmaufnahme: Arbeiter schaffen Wasserkrüge herber.
 
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