Heft 2
Das B u ch f ü r 2l l t e
Huugersteine in deutschen Strömen und Flüssen
Mit zwei Bildern
Jahrgang 1921, Heft 20, Seite 311 unseres „Buchs für Alle" brachten
^mir eine Abbildnng der im Rhein gelegenen berühmten Pfalz, zu der
^^man trockenen Faches von Kaub aus gelangen konnte. Während der
letzten heißen Wochen führten auch viele andere Ströme und Flüsse immer
weniger Wasser, wodurch nicht geringe Schädigungen der Schiffahrt und
der von ihr abhängigen Handels- und Industriezweige verursacht wurden.
des Steines ein Fest feierte, wozu anderwärts für den Landmann kein An-
laß vorlag.
Ungewöhnlich heiße Sommer treffen jene Gegenden schwerer, in denen
Viehzucht vorherrscht. Wenn in der andauernden Hitze das Gras auf den
Weideplätzen versengt, fehlt es an Futter, und das Vieh muß verkauft werden.
Das Jahr 1892 brachte einen ungewöhnlich trockenen Sommer; als dar-
Die Obermainfahrt
auf 1893 noch ein abnorm
ruhte seit dem 7. Juli.
Auf dem Rhein konnte ein
Teil des Wasserverkehrs
noch aufrechterhalten wer¬
den; da man aber die
Kühne nur teilweise be¬
laden durfte, kam es um
Mitte Äugust zu einer
weiteren Steigerung der
Frachtpreise. Der Floß-
verkehr sank auf ein Mini¬
mum herab. Nach den
letzten Lohnbewegungen
der Schiffer hatten die
Lohnsätze eine Höhe von
fünfhundertProzentüber
den Normaltarif erreicht.
Der Wasserspiegel vie-
lerFlüssesankinden ersten
Augustwochen so stark,
daß an den Ufern auf
weite Strecken der Grund
zutage trat. Dabei wur¬
den da und dort soge¬
nannte „Hungersteine"
sichtbar, die sich sonst tief
unter dem Wasser befan-
den. Einer dieser Steine, der bei Tetschen in der Elbe liegt, trägt die ein-
gemeißelte Inschrift: „Wenn du mich siehst, dann weine." Wie man
an Brückenpfeilern, Mauern und Hauswänden Marken anbringt, die den
jeweiligen Stand des Hochwassers anzeigen, so finden sich auch auf den
Hungersteinen Striche und Jahrzahlen eingemeißelt, die erkennen lassen,
wie weit zu gewissen Zeiten der Wasserstand gesunken war. Auf dem
Tetschener Stein finden sich Angaben für die Jahre 1616, 1710, 1716, 1790,
1811, 1842, 1868, 1892,1893 und 1911. In der Mosel, oberhalb Schweich
bei Trier, sind zwei kuppelartige Felsstücke sichtbar geworden, die seit 1800
nicht mehr über den Wasserspiegel hervorgetreten waren. Zwischen Rüdes-
heim und dem Binger Loch ragte im Rheinbett ein Fels empor, der sonst
nur bei außergewöhnlich tiefem Stand des Wassers zu sehen gewesen ist.
Auch im Neckarbett sind während des abnorm heißen Sommers an ver-
schiedenen Stellen
„Hungersteine"
zutage getreten.
Im Jahre 1811,
da auch in der
Elbe der Tetsche¬
ner Steinbloßlag,
feierte man im
Binger Loch ein
Fest, bei dem ein
ganzer Ochse ge¬
bratenwurde. Das
scheint zur Bezeich¬
nung „Hunger¬
stein" im Wider¬
spruch zu stehen.
Aber trockene und
heiße Jahre sind ja
meist „fette"Obst-
und insbesondere
gute Meinjahre.
Der Wein von
1811 galt als welt¬
berühmter Trank;
jo begreift man,
daß man am Rhein
beim Erscheinen
heißer Frühling folgte,
mußten die süddeutschen
Bauern viel Vieh ab-
schlachten. Ein Preissturz
trat ein, und das Pfund
Kalbfleisch kostete dreißig
Pfennig.
Aber auch schwere Stö-
rungen in der städtischen
und ländlichen Wasser-
versorgung sind die Folge
desVersiegensder Flüsse.
Damit ist gleichfalls der
Bestand der Gemüse an -
pflanzungen gefährdet.
Wenn wir genaue Tem-
peraturangaben für heiße
Jahre auch erst seit zwei-
hundert Jahren besitzen,
so enthalten dochalte Chro-
niken Nachrichten über
abnorme Frühlingszeiten,
Sommer- und Herbstmo-
nate, die als richtig gel-
AlKintic. len dürfen. So konnte
man im Jahre 1303 über
die Seine, die Loire, den
Rhein bei Köln und die Donau an verschiedenenStellen trockenen Fußes ge-
langen; 1473 stand der Wasserspiegel der Donau so tief, daß man sie sogar
in Ungarn durchwaten konnte. Im Jahre 1710 fiel von April bis zum Oktober
auf großen Strecken kein Regen.
In früheren Jahrhunderten kam es bei dem raschen Anwachsen der Be-
völkerung und den mangelhaften Transportmitteln während größerer
Hitze und Dürre häufig zu folgenschweren Hungersnöten. Flüsse trockneten
aus, der Verkehr erlosch, Fische kamen in den Teichen um und verfaulten.
Moor- und Waldbrände waren nicht selten. So sind auch in diesem Jahre
Moorstrecken in Brand geraten, wobei im Landstichler Moor und ander-
wärts auch die Torfvorräte zugrunde gingen. Viele Waldbrände sind im
Lauf des Sommers zu verzeichnen gewesen. Im Taunus, Spessart und in
der Rhön, bei Koblenz an der Mosel, bei Traisa im Odenwald und bei Ober-
mossau sind Wal-
dungenverbrannt.
Verschiedentlich
ergriffen Brände
auch reife Korn-
felder; so wurde
beiLangen,Weiß-
kirchen und Ginn-
heim die Ernte aus
demHalmvernich-
tet. Wenu auch
diese Brände meist
durch das Auswer-
fen von Funken
der Lokomotiven
oerursachtwerden,
die zuerst das zun-
derdürre Gras an
den Böschungen
entzünden, so ent-
steht mancher doch
durch unachrsames
Weowerfen von
brennenden Zünd-
hölzern, ein Leicht-
Ailtinric. sinn, der sich bitter
rächt. R. Brün.
Hungerstein in der Elbe bei Tetschen.
Das ausgetrocknete Flußbett der Ahr bei Sinzig.
Das B u ch f ü r 2l l t e
Huugersteine in deutschen Strömen und Flüssen
Mit zwei Bildern
Jahrgang 1921, Heft 20, Seite 311 unseres „Buchs für Alle" brachten
^mir eine Abbildnng der im Rhein gelegenen berühmten Pfalz, zu der
^^man trockenen Faches von Kaub aus gelangen konnte. Während der
letzten heißen Wochen führten auch viele andere Ströme und Flüsse immer
weniger Wasser, wodurch nicht geringe Schädigungen der Schiffahrt und
der von ihr abhängigen Handels- und Industriezweige verursacht wurden.
des Steines ein Fest feierte, wozu anderwärts für den Landmann kein An-
laß vorlag.
Ungewöhnlich heiße Sommer treffen jene Gegenden schwerer, in denen
Viehzucht vorherrscht. Wenn in der andauernden Hitze das Gras auf den
Weideplätzen versengt, fehlt es an Futter, und das Vieh muß verkauft werden.
Das Jahr 1892 brachte einen ungewöhnlich trockenen Sommer; als dar-
Die Obermainfahrt
auf 1893 noch ein abnorm
ruhte seit dem 7. Juli.
Auf dem Rhein konnte ein
Teil des Wasserverkehrs
noch aufrechterhalten wer¬
den; da man aber die
Kühne nur teilweise be¬
laden durfte, kam es um
Mitte Äugust zu einer
weiteren Steigerung der
Frachtpreise. Der Floß-
verkehr sank auf ein Mini¬
mum herab. Nach den
letzten Lohnbewegungen
der Schiffer hatten die
Lohnsätze eine Höhe von
fünfhundertProzentüber
den Normaltarif erreicht.
Der Wasserspiegel vie-
lerFlüssesankinden ersten
Augustwochen so stark,
daß an den Ufern auf
weite Strecken der Grund
zutage trat. Dabei wur¬
den da und dort soge¬
nannte „Hungersteine"
sichtbar, die sich sonst tief
unter dem Wasser befan-
den. Einer dieser Steine, der bei Tetschen in der Elbe liegt, trägt die ein-
gemeißelte Inschrift: „Wenn du mich siehst, dann weine." Wie man
an Brückenpfeilern, Mauern und Hauswänden Marken anbringt, die den
jeweiligen Stand des Hochwassers anzeigen, so finden sich auch auf den
Hungersteinen Striche und Jahrzahlen eingemeißelt, die erkennen lassen,
wie weit zu gewissen Zeiten der Wasserstand gesunken war. Auf dem
Tetschener Stein finden sich Angaben für die Jahre 1616, 1710, 1716, 1790,
1811, 1842, 1868, 1892,1893 und 1911. In der Mosel, oberhalb Schweich
bei Trier, sind zwei kuppelartige Felsstücke sichtbar geworden, die seit 1800
nicht mehr über den Wasserspiegel hervorgetreten waren. Zwischen Rüdes-
heim und dem Binger Loch ragte im Rheinbett ein Fels empor, der sonst
nur bei außergewöhnlich tiefem Stand des Wassers zu sehen gewesen ist.
Auch im Neckarbett sind während des abnorm heißen Sommers an ver-
schiedenen Stellen
„Hungersteine"
zutage getreten.
Im Jahre 1811,
da auch in der
Elbe der Tetsche¬
ner Steinbloßlag,
feierte man im
Binger Loch ein
Fest, bei dem ein
ganzer Ochse ge¬
bratenwurde. Das
scheint zur Bezeich¬
nung „Hunger¬
stein" im Wider¬
spruch zu stehen.
Aber trockene und
heiße Jahre sind ja
meist „fette"Obst-
und insbesondere
gute Meinjahre.
Der Wein von
1811 galt als welt¬
berühmter Trank;
jo begreift man,
daß man am Rhein
beim Erscheinen
heißer Frühling folgte,
mußten die süddeutschen
Bauern viel Vieh ab-
schlachten. Ein Preissturz
trat ein, und das Pfund
Kalbfleisch kostete dreißig
Pfennig.
Aber auch schwere Stö-
rungen in der städtischen
und ländlichen Wasser-
versorgung sind die Folge
desVersiegensder Flüsse.
Damit ist gleichfalls der
Bestand der Gemüse an -
pflanzungen gefährdet.
Wenn wir genaue Tem-
peraturangaben für heiße
Jahre auch erst seit zwei-
hundert Jahren besitzen,
so enthalten dochalte Chro-
niken Nachrichten über
abnorme Frühlingszeiten,
Sommer- und Herbstmo-
nate, die als richtig gel-
AlKintic. len dürfen. So konnte
man im Jahre 1303 über
die Seine, die Loire, den
Rhein bei Köln und die Donau an verschiedenenStellen trockenen Fußes ge-
langen; 1473 stand der Wasserspiegel der Donau so tief, daß man sie sogar
in Ungarn durchwaten konnte. Im Jahre 1710 fiel von April bis zum Oktober
auf großen Strecken kein Regen.
In früheren Jahrhunderten kam es bei dem raschen Anwachsen der Be-
völkerung und den mangelhaften Transportmitteln während größerer
Hitze und Dürre häufig zu folgenschweren Hungersnöten. Flüsse trockneten
aus, der Verkehr erlosch, Fische kamen in den Teichen um und verfaulten.
Moor- und Waldbrände waren nicht selten. So sind auch in diesem Jahre
Moorstrecken in Brand geraten, wobei im Landstichler Moor und ander-
wärts auch die Torfvorräte zugrunde gingen. Viele Waldbrände sind im
Lauf des Sommers zu verzeichnen gewesen. Im Taunus, Spessart und in
der Rhön, bei Koblenz an der Mosel, bei Traisa im Odenwald und bei Ober-
mossau sind Wal-
dungenverbrannt.
Verschiedentlich
ergriffen Brände
auch reife Korn-
felder; so wurde
beiLangen,Weiß-
kirchen und Ginn-
heim die Ernte aus
demHalmvernich-
tet. Wenu auch
diese Brände meist
durch das Auswer-
fen von Funken
der Lokomotiven
oerursachtwerden,
die zuerst das zun-
derdürre Gras an
den Böschungen
entzünden, so ent-
steht mancher doch
durch unachrsames
Weowerfen von
brennenden Zünd-
hölzern, ein Leicht-
Ailtinric. sinn, der sich bitter
rächt. R. Brün.
Hungerstein in der Elbe bei Tetschen.
Das ausgetrocknete Flußbett der Ahr bei Sinzig.