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46

Das Buch für Alle

Heft z

Völlige Empfindungslosigkeit bei chirurgischen Eingriffen her-
beizuführen, gelang erst, seit der 1733 geborene Joseph Priestley
1772 das Stickstofforydul (Lachgas) herstellte. Seit 1831 besitzen
wir durch Justus von Liebig für die Narkose das Chloroform, und
es ist begreiflich, daß die bedeutsamsten Fortschritte der Chirurgie
diesen Epochen angehören. In neuerer Zeit kam dazu noch ein
Verfahren der örtlichen Schmerzlosmachung, die Lokalanästhesie.
Im gleichen Jahre wie Priestley geboren, veröffentlichte
Franz Anton Mesmer 1776 eine Schrift über den „tierischen
Magnetismus", jene dunklen „Kräfte", die wir heute nut den
Worten Hypnose und Suggestion bezeichnen. Die Geschichte der
Hypnose ist eines der betrübendsten Kapitel der neueren Geistes-
geschichte. Die mehr oder weniger abenteuerlichen „Magneti-
seure", die in Mesmers Gefolge auflraten, vermochten die „wir-
kenden Kräfte" nicht nach ihrem wahren Wert zu erkennen, und
so wurden diese Phänomene immer mehr verdunkelt statt geklärt.
Leider wird bis zur Stunde nut hypnotischen Vorführungen
öffentlich grober Unfug getrieben. Mesmer, der nicht freizu-
sprechen ist von kurpfuscherischem Gebaren, erregte anfänglich
durch seine vermeintlich magnetischen Heilungen groszes Aufsehen.
Die Arzte seiner Zeit, durch das allerdings wenig einwandfreie
Auftreten des Heilkünstlers abgestoßen, verhielten sich grössten-
teils abwehrend. Es gab jedoch auch besonnenere Naturen unter
ihnen, die sich weniger um die Person Mesmers als um die Sache
kümmerten. Sie hielten sich zunächst an die Tatsache, wonach
es nicht zu leugnen war, daß im Zustand der Hypnose —- seiner-
zeit auch Somnambulismus genannt —- Schmerzlosigkeit eintrat.
Die damaligen Erklärungen des heute Hypnose genannten Zu-
standes gehören der Geschichte an. Aus der Tatsache aber, datz
im künstlich hervorgerufenen Schlaf Schmerzlosigkeit eintrat,
zogen einige vorurteilslose Arzte den Schlutz, dieser Zustand
erlaube chirurgische Eingriffe ohne Narkose.
Rostan veröffentlichte im Jahre 1825 eine Abhandlung über den
Magnetismus, die grotzes Aufsehen erregte; darin beschrieb er
die Operation einer mit Krebs behafteten Brust, die im Zustand
der Hypnose völlig schmerzlos verlaufen war. Vier Jahre danach
haben Cloquet und Chapelain grötzsre chirurgische Eingriffe
während der Hypnose vorgenommen; Chapelain wendete auch
bei schweren Geburten die Hypnose an. Es gehört zu den be-
schämendsten Kapiteln der Geistesgeschichte, in welcher Weise
die Mitteilungen dieser Arzte behandelt wurden. Einen wahr-
haft trostlosen Aberblick gewährt der neunte Band des 1841
erschienenen „Universallexikons der praktischen Medizin und
Chirurgie" in der Abhandlung über den ,Jlnbnoti8wu8 ammalir;".
Im Jahre 1843 war eine Schrift von Braid erschienen, der für
die Hypnose und die Möglichkeit der narkoselosen Operationen
in diesem Zustand eintrat; auch ihm waren schmerzlose Eingriffe
während der Hypnose erfolgreich gelungen. Seit 1845 hatte
Esdaile in mehreren hundert Füllen ohne Narkose im hypnotischen
Zustand operiert. Obwohl die genannten Arzte nicht die einzigen
blieben, die sich dieses Mittels bei Operationen bedienten, ge-
rieten diese zweifellosen Errungenschaften doch wieder in Ver-
gessenheit. Nicht zuletzt darum, weil die seitdem entwickelten
Narkosetechniken sich immer entschiedener durchsetzten. Dagegen
wäre nun nichts einzuwenden, wenn die Allgemeinnarkose ge-
fahrlos wäre, und wenn die Lokal- und die Lumbalanästhesie als
völlig unbedenklich gelten dürften.
Es ist ein Verdienst des Freiburger Professors Dr. A. A. Fried-
länder, diese „versunkenen Schätze" wieder gehoben zu haben.
Er bediente sich in geeigneten Füllen, bei Behandlung von
nervösen und seelischen Störungen, der Hypnose. 1905 wandte
er die Hypnose zum ersten Male vor einer Operation an, und
begann erst dann mit der Narkose, nachdem der Patient unter
den Einwirkungen der Hypnose eingeschlafen war. Die Ver-
einigung von Hypnose und Narkose erhielt die Bezeichnung
Hypnonarkose. Die Vorteile dieser Methode sind bedeu-
tend. Bei ihrer Anwendung werden die Gefahren der Allgemein-
narkose oder der Lokalanästhesie verringert, da die sonst nötigen
Mengen an Betüubungsstoffen nicht im vollen Matze nötig sind.
Bei diesem Verfahren kann der Verbrauch an Narkosemitteln auf

ein Drittel und weniger der sonst unerlätzlichen Menge herabgesetzt
werden. Dabei wird die Betäubung des Kranken in viel kürzerer
Zeit erreicht, die Vergiftung ist geringer und damit auch die da-
mit zusammenhängenden Folgeerscheinungen. Die Hypnonarkose
beginnt immittelbar vor der Operation; der außerhalb des
Operationsraumes hypnotisierte Patient wird nach erfolgter
Einschläferung in der Hypnose langsam narkotisiert, und zwar
derart, datz sich nun erst die Narkose in den vorher durch suggestive
Beeinflussung herbeigeführten Schlafzustand „einschleicht".
Hohen Wert hat diese Methode auch noch aus einem anderen
Grunde. Die Operations- und Narkoseangst verursachen bei
Kranken eine unter Umständen schwere und nicht gefahrlose
Stimmungslage. Diesen sonst auf keine Weise zu behebenden,
oft bedenklichen Zuständen kann in der Hypnose erfolgreich be-
gegnet werden. Noch bedeutsamer aber ist es, datz bei richtig
erteilter Suggestion der Kranke nach der Operation in gehobenem
Zustand erwacht. Stärkere Übelkeit oder Erbrechen dürfen nicht
auftreten. Kommt es zu heftigen Schmerzen, so kann sofort
abermals hypnotisiert und unter Umständen ein kürzerer oder
auch ein Dauerschlaf herbeigeführt werden. Das sind un-
schützbare Hilfen für den Operateur sowohl bei Beginn seiner
Tätigkeit als auch nach vollendeter Operation und deshalb
auch für den Operierten wohltuende Erleichterungen.
Die Frage ist nun, ob die Operateure diese Methode an-
wenden werden. Gemeinsames Arbeiten ist dazu unerläßlich,
wenn es dahin kommen soll, datz die Hypnonarkose sich durch-
setzen soll. Friedländer betont darum mit Recht: „Je häufiger
die Hypnonarkose zur Anwendung gelangt, je ausgebildeter die
Arzte in der Technik sein werden, je selbstverständlicher wird es
dem Kranken erscheinen, daß an Stelle der Narkose die Hypno-
narkose getreten ist. Der Operateur aber wird, wenn er nur
einmal die Hypnonarkose selbständig vorbereitet hat, über
das Gelingen so erfreut fein, daß ihm dieser Erfolg als ein
seelischer Gewinn seinen Beruf noch lieber machen wird."
Bedenkt man, daß im Jahre 1825, zu einer Zeit, da weder
die Technik der Suggestionstherapie noch wirkliche Kenntnis
der Hypnose verbreitet waren, erfolgreiche Operationen vor-
genommen wurden, so erscheint es trotzdem unbegreiflich, datz
alle Erfahrungen, ohne praktische Folge zu zeitigen, wieder ver-
loren gingen. Heute steht es indes um die Psychotherapie doch
anders. Man sollte deshalb annehmen dürfen, datz nicht aber-
mals mehr als ein Menschenalter vergehen wird, bis sich die
Hypnonarkose zum Segen der Leidenden und ihrer Helfer An-
erkennung erringen wird.
Das deutsche „Schachdvrf" Ströbeck
Von Christian Röckner / Mit drei Bildern
ach das Schachspiel hat seine besondere Geschichte. Unter den Brett-
spielen ist es das verbreitetste rind geistreichste aller Spiele, bei dem
nicht glückliche Zufälligkeiten, sondern nur Umsicht und Scharfsinn
zum Ziele führen. Das heutige Schach ist nicht von Anbeginn nach den
Regeln gespielt worden, die jetzt international gültig sind. Die Anfänge
dieses Spiels führen nach Indier: in das achte Jahrhundert nach Christus;
von dort gelangte es etwa hundert Jahre später durch Buddhisten nach
Persien, und von da kam es mit den Arabern nach Europa. In Indier:
nannte nun: das Spiel Tschaturanga Kriegspiel, in verdorbener Form
hießen es die Perser Schatrandsch; in Indien ist RadschaGer Titel eines
Herrschers, des Königs, irr Persien Schuh; daraus entstand unsere Bezeich-
nung Schach --- Königspiel. Bei der: Arabern war es am eifrigsten ge-
pflegt und entwickelt worden und gelangte durch dieses Volk zuerst nach
Spanier: und Italic::. Bor dem elfter: Jahrhundert kannte man irr Europa
das Schachspiel nirgends. Alle anderer: Angaben beruhe:: entweder arrf
Verwechslung mit anderer: Brettspielen oder auf Berichter: und Fabeln,
die man ohne strenge Prüfung ernst genommen hat. Nachdem cs lange
Zeit hindurch eifrig gespielt worden war, geriet es während und nach dein
Dreißigjährigen Kriege fast in ganz Europa wieder in Vergessenheit; erst
um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts lebte es wieder auf.
Da ist nun merkwürdig, daß dieses edelste aller Spiele in euren: deutscher:
Dorfe immer gepflegt worden ist. Jr: der Nähe von Halberstadt liegt das
stattliche Ströbeck, das seit Jahrhunderten der: Ruf genoß, das Schachspiel
 
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