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Das Buch für Alle

andermal sprechen. Jetzt wollen wir Edith nicht unnötig warten
lassen. Du bist mir doch nicht mehr bös?"
Noch einmal suchte er ihre Hand zu erhaschen, die sie ihm vorhin
sogleich wieder entzogen hatte. Diesmal aber kam Eva seiner
Absicht zuvor, indem sie sich rasch abwandte.
„Dazu hätte ich wohl kein Recht," sagte sie mit weniger Wärme,
als ihm sonst aus ihren Worten entgegen klang. „Entschuldige
mich, bitte! Ich mutz mich noch umkleiden."
„Und heute abend? Es bleibt doch bei deiner Zusage?"
„Das wird von Ediths Befinden abhängen. Und davon, ob
sie einverstanden ist. Denn ohne ihr Einverständnis ginge ich
nicht."
Sie war schon draußen. Mit finster gerunzelter Stirn nahm
Paul Uhtoff den Sprechapparat vom Gestell.
§oni Starringer satz mit arbeitsheitzen Wangen auf ihrem
Platze in der Kanzlei des Rechtsanwalts Doktor Bauer; ihre
Finger glitten unermüdlich über die Tasten der Schreibmaschine,
deren eintöniges Geklapper sie längst nicht mehr hörte. An einem
anderen Tischchen räkelte sich die zweite Kanzlistin, eine kokett
gekleidete, hübsche Person, die ungefähr so alt wie Loni sein
mochte, aber doch viel reifer und wissender aussah. Nachdem sie
ein paarmal gegähnt und gelangweilt durch das geschlossene
Fenster auf die menschenleere Stratze hinausgeblickt hatte, sagte
sie: „Wollen Sie sich denn tot arbeiten, Fräulein Starringer?
Wem zuliebe tun Sie denn das? Der Alte ist auf dem Gericht
und der Bürovorsteher beim Frühstück. Wenn man sich nicht
mal in solchen Augenblicken etwas'Ruhe gönnen sollte, dann
wüßte ich nicht, wozu man lebt."
„Der Rechtsanwalt sagte mir ausdrücklich, daß die Abschrift
eilt. Und fürs Faulenzeri werden wir doch nicht bezahlt."
Fräulein Marboth lachte hell auf uud wandte sich vom Fenster
ab. „Gibt es denn heutzutage wirklich noch so was? Sie machen
sich auch noch Sorgen darüber, ob wir für unsere glänzende
Bezahlung auch Arbeit geuug leisten! Man sollte Sie wahrhaftig
für Geld sehen lassen; übrigens nicht bloß wegen Ihrer Pflicht-
treue, sondern auch wegen Ihrer unglaublichen Solidität. Vor-
ausgesetzt, daß Sie wirklich, wie Sie mir neulich erzählten, Abend
für Abend mit Ihrem Verlobten hübsch brav bei Vater und
Mutter am Familieutisch sitzen."
„Gewiß! Wo sollte ich denn sonst sein?"
„Oh, ich konnte Ihnen eine Menge hübscher Orte nennen, wo
Sie sich gewiß viel besser unterhalten würden. Das Edenkasino
zum Beispiel, das mir von gestern abend in angenehmster Erinne-
rung ist. Himmel, war das lustig! Wir haben getanzt und Sekt
getrunken, bis der Schutzmann zum dritten Male kam und Polizei-
stunde bot. Es sollte mich wundern, wenn mein Karl mit einer
Zeche von weniger als tausend Mark davongekommen wäre."
„Ihr Karl? Sie sind also auch verlobt, Fräulein Marboth?"
„Wenn marüs so nennen will! — Auf Zeit, das heißt: bis er
mich eines Tages nicht mehr will, oder bis einer kommt, der mir
besser gefällt. Anders verlobt sich ein vernünftiger Mensch doch
überhaupt nicht."
In dem Blick, mit dem Loni die Kollegin ansah, lag wohl
etwas wie Entsetzen, aber mit einer starken Beimischung von
staunender Neugier.
„Das sagen Sie selbstverständlich nicht im Ernst. Wenn man
einen Mann lieb hat, kann man sich doch nichts Schrecklicheres
vorstellen, als daß er die Treue brechen könnte."
„Wenn man keinen anderen in Bereitschaft hat — ja, dann
machs vielleicht so sein. Aber es gibt ja doch so viele lustige uud
liebenswürdige junge Männer. Und einer hat immer mehr Geld
wie der andere. Karl sagt, es lüge soviel davon auf der Straße,
daß man kaum noch Lust hat, sich danach zu bückeu."
„Dann ist Ihr Karl allerdings zu beneiden. Was für einen
Beruf hat er denn, wenn es erlaubt ist, zu fragen?"
„Beruf? Sie sind doch wirklich ein komisches Ding, liebe
Kleine! Er treibt was alle anderen auch tun: er schiebt."
„Er schiebt? Was denn?"
„Augenblicklich Automobile; das ist, wie man mir erzählte,

Heft 4

zurzeit das beste Geschäft. Nur muß man sich dabei in acht
nehmen, denn unter Umstünden kann man sich sonst die Finger-
eklig verbrennen. Die Kriminalabteilung der Verwertungstelle
für Heeresgut soll neuerdings höllisch scharf aufpassen und rück-
sichtslos zugreifen. Daß die meisten Wagen, die jetzt verschoben
werden, irgendwie aus dem Heeresgut stammen, weiß doch schon
jedes Kind."
Loni erinnerte sich, daß ihr Vater gelegentlich auch schon von
diesen Machenschaften gesprochen hatte, aber derartige Dinge
lagen ihr zu fern, als daß sie anders als halb darauf hingehört
hätte. Jetzt erst fingen sie an, ihre Teilnahme zu wecken.
„Etwas Unrechtes also? Und Sie haben keine Angst um Ihren
— Ihren Freund? Sie bemühen sich nicht, ihn von einem so
bedenklichen Wege abzubringen?"
„Da müßte ich ja närrisch sein! Er wird schon so viel Verstand
haben und sich vorsehen, daß er nicht erwischt werden kann.
Und was kümmert's mich schließlich, auf welche Weise er Geld
verdient; wenn er nur immer was auszugeben hat. Man will
doch sein Leben genießen, so lange man jung ist. Was nachher
kommt, ist ja doch meist trübselig genug. So viel muß man doch
vom Leben begreifen, wenn man nicht auf den Kopf gefallen ist."
„Dann beneide ich Sie nicht um Ihr Vergnügen im Edenkasino
und an den anderen Orten, wo Sie das Leben so hübsch finden.
Von einem Wein, der mit so erworbenem Eelde bezahlt wird,
brächte ich keinen Tropfen über die Lippen."
Fräulein Marboth schien sichtlich gekränkt. Sie verzog den
Mund zu einem boshaften Lächeln und erwiderte spöttisch: „Wie
tugendhaft! Aber es gibt doch noch einen Trost, denn eine be-
sondere Eigentümlichkeit Ihrer Familie sind diese strengen Moral-
anschauungen jedenfalls nicht."
Loni wurde rot vor Bestürzung und heiß aufsteigendem Zorn.
„Das ist — was wollen Sie mit dieser Anspielung sagen, Fräu-
lein Marboth?"
„Weiter nichts, als daß Ihr Bruder sich diesen Wein gut
schmecken läßt." ls-orgetzung folga
Der Elb-Lotse
Von Gregorius Marschner
bu unserem Bild aus Seite 6 o und 6 i
uf dem Bollwerk in Kurhaven, der „Alten Liebe", stehen um die Ebbe-
zeit die Elb-Lotsen in Ölzeug und mit dem geteerten Kleidersack auf
dem Rücken und warten auf die Jolle, die sie hinausbringen soll zur Außen-
elbe auf ihre Stationen. Da kommt um das Riff bei der Kugelbake im Nor-
den mit dichtgerefften Segeln ein kleines rotangestrichenes, zweimastiges
Fahrzeug aufgekreuzt, das die abgelösten Lotsen an Land bringen und die
neuen an Bord nehmen soll. Eine halbe Stunde später macht die Jolle am
Bollwerk fest, und mit schwerfälligen Schritten steigen etwa zwanzig bärtige
Seemannsgestalten an Land. Sie sind acht und vierzehn Tage draußen ge-
wesen und haben in dieser Zeit die nach Hamburg und Brunsbüttel be-
stimmten Handelschiffe hereingelotst. Bei gutem Wetter ist das keine
besondere seemännische Leistung, denn das Fahrwasser der Elbe ist gut aus-
getonnt. Anders verhält es sich, wenn es stürmt, wenn die Luft unsichtig
ist, und wenn es gilt, gegen den Ebbestrom bei grober See einen schwerbe-
ladenen, großen Segler im Aufkreuzen an den Untiefen der Elbe vorüber
stromauf zu bringen. Dann kann es vorkommen, daß der Lotse wochen-
lang an Bord des ihm anvertrauten Schiffes bleiben muß. Häufig genug
werden die Schiffe, die in die Elbe fahren wollen, westlich bis zu der Insel
Terschelling zurückgetrieben. Dort beginnt das Gebiet, auf dem sich der
Elb-Lotse auskennen muß, und bis hierher kreuzen die Fahrzeuge der Re-
gierung, welche die Lotsen zu ersetzen, das heißt an die einsegelnden Schiffe
abzugeben haben. Kurhaven ist der Heimatplatz der Elb-Lotsen.
Mit der Lotsenjolle werden die Lotsen hinausbefördert, entweder zu
der bei Helgoland verankerten Lotsengaleote, oder zu den in der Helgoländer-
Bucht kreuzenden Lotsenschonern oder Lotsendampfern. Diese geben sie
dann den die Elbe ansteuernden Schiffen an Bord. Arif unserem Bilde
wird der Lotse von einem Schoner auf ein großes Segelschiff verbracht.
Es ist rauhes Wetter, und der Schoner hat wegen des Seegangs sich nicht
an das Schiff anlegen können, sondern mußte sein Beiboot aussetzen. Der
große Segler ist beigedreht, um keine Fahrt voraus zu machen, und
durch die aufgewühlte See arbeitet sich nun das Boot längsseit heran.
Für den Laien ist es unverständlich, mit welcher Behendigkeit der ungelenk
 
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