Das Buch für Alle
Heft 4
einem hastigen Griff steckte er die Scheine samt der Umhüllung
in die Brusttasche, trat mit stockendem Atem wieder auf die
Straste und schritt eilig weiter. Wieder fing er an zu rechnen
und zu überlegen.
„Ein vierstöckiges Haus ist auch heute in allem Elend immer noch
eine sichere Kapitalanlage." Rascher ausschreitend dachte er:
„So ein Pflanz! Ein vierstöckigs Haus! Wie dumm war das
doch! Da kann man ja zwei, drei, vier, fünf, sechs vierstöckige
Häuser kaufen. Eines davon könnte im Innern
der Stadt liegen; das wäre zum Wohnen be¬
quem. Ein großes Haus, und in jeden: Stock¬
werk acht bis zehn Zimmer. Aber ja! Im
ersten Stock wollte er selber wohnen. Wer
jetzt darin hauste, dem müßte sofort gekündigt
werden. — Was? — Sie wollln nöt aus-
ziehn, mein Lieber?" Bei dem Gedanken
zitterte Alois Pracherl vor Erregung, denn er
sah den Menschen greifbar vor sich, der sich
weigerte, die Wohnung zu verlassen. „Was?
Wenn ich, der Hausbesitzer, da einziehen will,
möchten Sie mir Geschichten machen? So!
Mit dem Mieterschutzamt drohen Sie mir?
Daß i net lackst. Mich läßt das kalt, mein
Lieber! Da mach' ich mir gar nichts draus."
Alois Pracherl stieg das Blut zu Kopf.
„Nir is zu machen! Als Hausherr hab' ich
ein Recht auf den ersten Stock. Und um das
Mieterschutzamt scher' ich mich überhaupt nöt.
So a rückständige Troddelei! Damit will ich
schon fertig werden. Raus müssens und da-
mit basta."
Pracherl fuchtelte erregt mit der Hand,
schlug damit gegen das Eisengußwerk einer
Straßenlaterne und erwachte aus dem mit
offenen Augen erlebten Traum.
Als er sich so schmerzhaft in die Wirklich-
keit zurückversetzt sah, regte sich das Gewissen
in ihm. Potzlaudon, was war er doch für ein
Kerl! Er wollte sich da mir nichts dir nichts
mit fremdem Geld sechs vierstöckige Häuser
kaufen und die Leute aus ihrer Wohnung
treiben.
„Alois! Alois Pracherl, das hätt' ich dir nit
zugetraut," grollte im Tiefsten die Stimme
des Gewissens und mahnte: „Schau, daß du
das Geld zur Polizei bringst. Du wirst doch
keinen Fund unterschlagen wollen? Und wer
kann wissen, ob dich nicht jemand beobachtet
hat." Und eine Zweite, lockende Stimme hörte
er aus seinem Innern: „Ach was! O jegerl!
So viel verliert ja doch eh nur ein Haupt¬
schieber. Und so ein Kerl wird nit arm da-
von; der bringt das Geld bald wieder herein.
Du kannst es ruhig behalten."
Wenn sich beider mahnenden ersten Stimme
Alois Pracherls Stirn unwillkürlich in Falten
gelegt hatte, so verklärte sich sein Gesicht
beim Klang der zweiten verständnisvoll. Er strich mit der Hand
über den Rock und die Stelle, an der das Dollarpaket in der
Brusttasche steckte. Zögernd schritt er weiter, denn nun kamen
andere Gedanken, die ihn beunruhigten. So ganz harmlos ging
es nun wohl doch nicht ab, wenn er das Geld behielt. Auf welche
Art sollte er als armer Teufel das rechtmäßige Eigentum von
Millionen ausweisen? — Die Leute von den Behörden steckten
ja heute mehr als je ihre Nasen überall hin, und mit der Polizei
war in dem Fall gar nicht zu spaßen.
Es war die Stimme der Vernunft, die also warnte, und Pracherls
Gedanken gingen nun andere Wege. Schließlich war es doch besser,
das gefundene Geld nicht zu veruntreuen. Und wenn er mit fünf
Prozent, dem gesetzlichen Finderlohn, von zwanzigtausend Dollar
rechnete, so gab das ja doch auch noch tausend Dollar, und das
machte rund eine Million Kronen. Das war doch ein hübsches
Sümmchen! Bekam man das Geld auf rechtliche Weise, dann
konnte kein Mensch etwas dagegen haben.
Unter den miteinander streitenden Gedanken entschloß sich
Pracherl, zuerst einmal im Hotel „Imperial" zu fragen, ob einer
der Gäste die Dollarscheine verloren habe. Erleichtert ging er
durch die Straßen, betrat das Hotel und wandte sich an den
Portier. Kaum hatte er die ersten Worte gesprochen, da trat ein
Fremder ein und berichtete dem Portier seinen Verlust. Erfreut
nahm er von dem redlichen Finder das Dollarpaket und gab ihm
auf der Stelle den gesetzlichen Finderlohn.
Alois Pracherl steckte die tausend Dollar ein, und als „Kronen-
millionär" betrat er bald darauf seine armselige Bude.
Eine Schilderung seiner Freudensprünge innerhalb der kahlen
vier Wände und ebenso die eines Weinrausches, der dem Jubel-
ausbruch folgte, wird man nicht für nötig halten, denn eines ist
unter solchen Umständen so begreiflich wie das andere.
Als Alois Pracherl am nächsten Morgen mit leichtem Herz und
schwerem Schädel erwachte, donnerte es eben kräftig an seine
Der Elb-^otje.
Heft 4
Das Buch für Alle
Wohnungstüre. Als alleinstehender Junggeselle mußte er sich
selber dazu entschließen, nachzusehen, wer da in aller Herrgotts-
frühe so stürmisch Einlaß begehrte. Und Wunder über Wunder:
Vor der Tür stand der gröbste aller Wiener Hausbesorger mit
einen: großen Blumenstrauß, gratulierte „Herrn von Pracherl"
zu seinem Glück und empfahl sich ihm und seinem ferneren Wohl-
wollen. Wenn der Herr von Pracherl die Million augenblicklich
noch nicht gewechselt haben sollte, würde er dies ja voraussichtlich
dings nichts mehr zu tun. Und so ein bißchen Berühmtheit
kitzelte die Eitelkeit Pracherls gar nicht so unangenehm.
Er gähnte herzhaft und fröhlich, versprach, für den ersten Glück-
wunsch entsprechend zu danken, und kroch dann eiligst ins warme
Bett zurück. Er dehnte und reckte sich behaglich, und soweit es
ihn: bei dem Katzenjammer möglich war, dachte er darüber nach,
wie er seine Million am besten anlegen könne. Sechs vierstöckige
Häuser zu kaufen, dazu reichte das Geld freilich nicht; das war
ein flüchtiger Traun: gewesen. Aber mit einer
Million ließ sich ja auch leben. Vor allem
wollte er das Hungeramt kündigen! Dann —
Schrill unterbrach die elektrische Klingel
den lieblichen Gedankengang. Und als der
neugebackene Millionär nach der abermaligen
Störung Ausschau hielt, fand er vor seiner
Tür eine Deputation sämtlicher Hausparteien
aufmarschiert, die ihn: in gemischtem Chor
Heil- und Segenswünsche entgegenbrüllte.
Ohne Unterlaß schrillte nun die Klingel.
Die gesamte Verwandtschaft, die dem arm-
seligen Hungerleider bisher in weitem Bogen
aus dem Weg gegangen war, fand sich ein.
Dann kau: eine Abordnung der Bürokollegen.
Danach stellten sich nacheinander zwölf „Er-
finder" ein, die ihm ihre „weltumwälzenden"
Projekte zur Finanzierung anboten. Vier-
undzwanzig Vorstände humanitärer Vereini-
gungen baten ihn himmelhoch, ihre bedürf-
tigen Schützlinge doch ja nicht vergessen zu
wollen. Nach ihnen rückten zahllose Privat-
schnorrer an. Und so ging es fort in endloser
Reihe; alle wollten sie aus seiner Million
irgendwie Gewinn ziehen.
„Der Geier soll sie miteinander holen!"
schrie Pracherl erbost. Verzweifelt nahm er
seinen Hut, lief über die Treppen hinunter
und rannte zum Tor hinaus. Er hörte kaum,
daß ihn: die Hausbesorgerin „Küss' die Hand,
Herr von Pracherl!" nachrief, und gewahrte
auf der Straße zu seinem größten Schreck
einen Schwarm von Leuten, die offenbar in
schier endloser Prozession zu ihm wanderten.
Ein Glück war es, daß keiner darunter war,
der ihn kannte. So rasch er laufen konnte eilte
er durch Winkelgäßchen und landete endlich
fast atemlos in einem „Volkskaffeehaus".
Dort setzte er sich in eine Ecke, las zuerst in:
Tagblatt, wie er zu seiner Million gekommen
war, und brütete dann lange nach einen: ret-
tenden Ausweg aus seiner Bedrängnis vor
den Menschen, die alle glaubten, er sei zu
ihren: Retter ausersehen.
Auf Umwegen schlich er wieder heim und
huschte eiligst durch das Tor. Wieder hörte er
das schmelzende „Küss' die Hand, Herr von
Pracherl" der Hausbesorgerin, durchbrach den
Schwarm ihn sehnsüchtig erwartender Men¬
schen, raste in seine Wohnung hinauf, schloß und verbarrikadierte
die Tür und schrie den Leuten, die draußen pochten, zu, er sei
morgen zu sprechen.
Nun hatte sich der Schwarm verlaufen. Ein hämisches Lächeln
umspielte Pracherls Lippen, während er vor dem Spiegel in
fliegender Hast den Bart mit der Schere stutzte; dann beseitigte
er mit dem Rasiermesser auch die letzten Reste. Das ging in der
Eile nicht ohne ein paar Schnittwunden ab. Einmal war es doch
ein bißchen zu viel gewesen, so daß er das hervor quellende
Blut mit dem naßgemachten Handtuch stillen mußte. Dann ent-
fernte er mühsam auch den Schnurrbart. Nachdem ihm auch dieses
Kunststück gelungen war, betrachtete er sein verändertes Gesicht
befriedigt im Spiegel. Nun verstaute er die Million in eine Hand-
Nach einem Gemälde von Professor Hans Bohrdr.
doch ehestens tun, und dann würde der Herr von Pracherl ja doch
wohl wissen, daß ein bedrängter Familienvater auch zu bedenken
sei. Dabei streckte der Hausmeister die rechte Hand mit der
Innenseite nach oben vielsagend aus.
Das war eine nicht geringe Überraschung für den neuen Mil¬
lionär. Nachdem er sich einigermaßen erholt hatte, fragte er den
frühen Gratulanten, wer ihm die Geschichte erzählt habe, da es
ihm selber doch nicht eingefallen sei, einem Menschen auch nur ein
Sterbenswörtchen anzuvertrauen. Und da erfuhr er denn, daß
alles weitläufig beschrieben im heutigen „Extrablatt" zu lesen sei.
Alois Pracherl kraute sich nachdenklich den brummenden Kopf.
Da hatte irgend ein Malefizreporter Wind bekommen und die
Geschichte brühwarm veröffentlicht. Dagegen war nun aller-
Heft 4
einem hastigen Griff steckte er die Scheine samt der Umhüllung
in die Brusttasche, trat mit stockendem Atem wieder auf die
Straste und schritt eilig weiter. Wieder fing er an zu rechnen
und zu überlegen.
„Ein vierstöckiges Haus ist auch heute in allem Elend immer noch
eine sichere Kapitalanlage." Rascher ausschreitend dachte er:
„So ein Pflanz! Ein vierstöckigs Haus! Wie dumm war das
doch! Da kann man ja zwei, drei, vier, fünf, sechs vierstöckige
Häuser kaufen. Eines davon könnte im Innern
der Stadt liegen; das wäre zum Wohnen be¬
quem. Ein großes Haus, und in jeden: Stock¬
werk acht bis zehn Zimmer. Aber ja! Im
ersten Stock wollte er selber wohnen. Wer
jetzt darin hauste, dem müßte sofort gekündigt
werden. — Was? — Sie wollln nöt aus-
ziehn, mein Lieber?" Bei dem Gedanken
zitterte Alois Pracherl vor Erregung, denn er
sah den Menschen greifbar vor sich, der sich
weigerte, die Wohnung zu verlassen. „Was?
Wenn ich, der Hausbesitzer, da einziehen will,
möchten Sie mir Geschichten machen? So!
Mit dem Mieterschutzamt drohen Sie mir?
Daß i net lackst. Mich läßt das kalt, mein
Lieber! Da mach' ich mir gar nichts draus."
Alois Pracherl stieg das Blut zu Kopf.
„Nir is zu machen! Als Hausherr hab' ich
ein Recht auf den ersten Stock. Und um das
Mieterschutzamt scher' ich mich überhaupt nöt.
So a rückständige Troddelei! Damit will ich
schon fertig werden. Raus müssens und da-
mit basta."
Pracherl fuchtelte erregt mit der Hand,
schlug damit gegen das Eisengußwerk einer
Straßenlaterne und erwachte aus dem mit
offenen Augen erlebten Traum.
Als er sich so schmerzhaft in die Wirklich-
keit zurückversetzt sah, regte sich das Gewissen
in ihm. Potzlaudon, was war er doch für ein
Kerl! Er wollte sich da mir nichts dir nichts
mit fremdem Geld sechs vierstöckige Häuser
kaufen und die Leute aus ihrer Wohnung
treiben.
„Alois! Alois Pracherl, das hätt' ich dir nit
zugetraut," grollte im Tiefsten die Stimme
des Gewissens und mahnte: „Schau, daß du
das Geld zur Polizei bringst. Du wirst doch
keinen Fund unterschlagen wollen? Und wer
kann wissen, ob dich nicht jemand beobachtet
hat." Und eine Zweite, lockende Stimme hörte
er aus seinem Innern: „Ach was! O jegerl!
So viel verliert ja doch eh nur ein Haupt¬
schieber. Und so ein Kerl wird nit arm da-
von; der bringt das Geld bald wieder herein.
Du kannst es ruhig behalten."
Wenn sich beider mahnenden ersten Stimme
Alois Pracherls Stirn unwillkürlich in Falten
gelegt hatte, so verklärte sich sein Gesicht
beim Klang der zweiten verständnisvoll. Er strich mit der Hand
über den Rock und die Stelle, an der das Dollarpaket in der
Brusttasche steckte. Zögernd schritt er weiter, denn nun kamen
andere Gedanken, die ihn beunruhigten. So ganz harmlos ging
es nun wohl doch nicht ab, wenn er das Geld behielt. Auf welche
Art sollte er als armer Teufel das rechtmäßige Eigentum von
Millionen ausweisen? — Die Leute von den Behörden steckten
ja heute mehr als je ihre Nasen überall hin, und mit der Polizei
war in dem Fall gar nicht zu spaßen.
Es war die Stimme der Vernunft, die also warnte, und Pracherls
Gedanken gingen nun andere Wege. Schließlich war es doch besser,
das gefundene Geld nicht zu veruntreuen. Und wenn er mit fünf
Prozent, dem gesetzlichen Finderlohn, von zwanzigtausend Dollar
rechnete, so gab das ja doch auch noch tausend Dollar, und das
machte rund eine Million Kronen. Das war doch ein hübsches
Sümmchen! Bekam man das Geld auf rechtliche Weise, dann
konnte kein Mensch etwas dagegen haben.
Unter den miteinander streitenden Gedanken entschloß sich
Pracherl, zuerst einmal im Hotel „Imperial" zu fragen, ob einer
der Gäste die Dollarscheine verloren habe. Erleichtert ging er
durch die Straßen, betrat das Hotel und wandte sich an den
Portier. Kaum hatte er die ersten Worte gesprochen, da trat ein
Fremder ein und berichtete dem Portier seinen Verlust. Erfreut
nahm er von dem redlichen Finder das Dollarpaket und gab ihm
auf der Stelle den gesetzlichen Finderlohn.
Alois Pracherl steckte die tausend Dollar ein, und als „Kronen-
millionär" betrat er bald darauf seine armselige Bude.
Eine Schilderung seiner Freudensprünge innerhalb der kahlen
vier Wände und ebenso die eines Weinrausches, der dem Jubel-
ausbruch folgte, wird man nicht für nötig halten, denn eines ist
unter solchen Umständen so begreiflich wie das andere.
Als Alois Pracherl am nächsten Morgen mit leichtem Herz und
schwerem Schädel erwachte, donnerte es eben kräftig an seine
Der Elb-^otje.
Heft 4
Das Buch für Alle
Wohnungstüre. Als alleinstehender Junggeselle mußte er sich
selber dazu entschließen, nachzusehen, wer da in aller Herrgotts-
frühe so stürmisch Einlaß begehrte. Und Wunder über Wunder:
Vor der Tür stand der gröbste aller Wiener Hausbesorger mit
einen: großen Blumenstrauß, gratulierte „Herrn von Pracherl"
zu seinem Glück und empfahl sich ihm und seinem ferneren Wohl-
wollen. Wenn der Herr von Pracherl die Million augenblicklich
noch nicht gewechselt haben sollte, würde er dies ja voraussichtlich
dings nichts mehr zu tun. Und so ein bißchen Berühmtheit
kitzelte die Eitelkeit Pracherls gar nicht so unangenehm.
Er gähnte herzhaft und fröhlich, versprach, für den ersten Glück-
wunsch entsprechend zu danken, und kroch dann eiligst ins warme
Bett zurück. Er dehnte und reckte sich behaglich, und soweit es
ihn: bei dem Katzenjammer möglich war, dachte er darüber nach,
wie er seine Million am besten anlegen könne. Sechs vierstöckige
Häuser zu kaufen, dazu reichte das Geld freilich nicht; das war
ein flüchtiger Traun: gewesen. Aber mit einer
Million ließ sich ja auch leben. Vor allem
wollte er das Hungeramt kündigen! Dann —
Schrill unterbrach die elektrische Klingel
den lieblichen Gedankengang. Und als der
neugebackene Millionär nach der abermaligen
Störung Ausschau hielt, fand er vor seiner
Tür eine Deputation sämtlicher Hausparteien
aufmarschiert, die ihn: in gemischtem Chor
Heil- und Segenswünsche entgegenbrüllte.
Ohne Unterlaß schrillte nun die Klingel.
Die gesamte Verwandtschaft, die dem arm-
seligen Hungerleider bisher in weitem Bogen
aus dem Weg gegangen war, fand sich ein.
Dann kau: eine Abordnung der Bürokollegen.
Danach stellten sich nacheinander zwölf „Er-
finder" ein, die ihm ihre „weltumwälzenden"
Projekte zur Finanzierung anboten. Vier-
undzwanzig Vorstände humanitärer Vereini-
gungen baten ihn himmelhoch, ihre bedürf-
tigen Schützlinge doch ja nicht vergessen zu
wollen. Nach ihnen rückten zahllose Privat-
schnorrer an. Und so ging es fort in endloser
Reihe; alle wollten sie aus seiner Million
irgendwie Gewinn ziehen.
„Der Geier soll sie miteinander holen!"
schrie Pracherl erbost. Verzweifelt nahm er
seinen Hut, lief über die Treppen hinunter
und rannte zum Tor hinaus. Er hörte kaum,
daß ihn: die Hausbesorgerin „Küss' die Hand,
Herr von Pracherl!" nachrief, und gewahrte
auf der Straße zu seinem größten Schreck
einen Schwarm von Leuten, die offenbar in
schier endloser Prozession zu ihm wanderten.
Ein Glück war es, daß keiner darunter war,
der ihn kannte. So rasch er laufen konnte eilte
er durch Winkelgäßchen und landete endlich
fast atemlos in einem „Volkskaffeehaus".
Dort setzte er sich in eine Ecke, las zuerst in:
Tagblatt, wie er zu seiner Million gekommen
war, und brütete dann lange nach einen: ret-
tenden Ausweg aus seiner Bedrängnis vor
den Menschen, die alle glaubten, er sei zu
ihren: Retter ausersehen.
Auf Umwegen schlich er wieder heim und
huschte eiligst durch das Tor. Wieder hörte er
das schmelzende „Küss' die Hand, Herr von
Pracherl" der Hausbesorgerin, durchbrach den
Schwarm ihn sehnsüchtig erwartender Men¬
schen, raste in seine Wohnung hinauf, schloß und verbarrikadierte
die Tür und schrie den Leuten, die draußen pochten, zu, er sei
morgen zu sprechen.
Nun hatte sich der Schwarm verlaufen. Ein hämisches Lächeln
umspielte Pracherls Lippen, während er vor dem Spiegel in
fliegender Hast den Bart mit der Schere stutzte; dann beseitigte
er mit dem Rasiermesser auch die letzten Reste. Das ging in der
Eile nicht ohne ein paar Schnittwunden ab. Einmal war es doch
ein bißchen zu viel gewesen, so daß er das hervor quellende
Blut mit dem naßgemachten Handtuch stillen mußte. Dann ent-
fernte er mühsam auch den Schnurrbart. Nachdem ihm auch dieses
Kunststück gelungen war, betrachtete er sein verändertes Gesicht
befriedigt im Spiegel. Nun verstaute er die Million in eine Hand-
Nach einem Gemälde von Professor Hans Bohrdr.
doch ehestens tun, und dann würde der Herr von Pracherl ja doch
wohl wissen, daß ein bedrängter Familienvater auch zu bedenken
sei. Dabei streckte der Hausmeister die rechte Hand mit der
Innenseite nach oben vielsagend aus.
Das war eine nicht geringe Überraschung für den neuen Mil¬
lionär. Nachdem er sich einigermaßen erholt hatte, fragte er den
frühen Gratulanten, wer ihm die Geschichte erzählt habe, da es
ihm selber doch nicht eingefallen sei, einem Menschen auch nur ein
Sterbenswörtchen anzuvertrauen. Und da erfuhr er denn, daß
alles weitläufig beschrieben im heutigen „Extrablatt" zu lesen sei.
Alois Pracherl kraute sich nachdenklich den brummenden Kopf.
Da hatte irgend ein Malefizreporter Wind bekommen und die
Geschichte brühwarm veröffentlicht. Dagegen war nun aller-