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Das Buch für Alle


Aus dem schönen Frankenland: Rothenburg ob der Tauber
Von Michael Absberg / Mil acht Bildern von Hans Hildenbrand

4 § nsere heutigen Großstädte sind ein Beweis für die Wahrheit der
I^Worte: „Der Lebende hat recht!" Aber je rascher die Städte sich ver-
größerten, und je rücksichtsloser im Drang nach Erneuerung die Reste älterer
Baukunst in ihnen beseitigt wurden, umso nüchterner und trostloser ge-
staltete sich ihr Aussehen.
Das traurigste abersind
die in vermeintlichem
Palaststil eilig errichteten
Mietkasernen, die mit
ihren protzig aufgedon¬
nerten Fassaden vergeb¬
lich den Eindruck archi¬
tektonischer Kunstwerke zu
erwecken suchen. Dagegen
wirken die nüchternen
Zinshäuser mit ihren
gleichsam in die Wand
geschlagenen Löchern, die
Fenster und Türen dar¬
stellen, noch erträglicher,
damit ist wenigstens
nichts vorgetäuscht und
vorgeflunkert; unverhüllt
erkennt man an ihnen
den nackten Nützlichkeits¬
standpunkt, derdiese Mas¬
senherbergen und Zins¬
burgen wahllos neben¬
einander zu reihen gebot.
Das auffälligste in den
Straßenreihen der Neu¬
zeit sind große Lüden mit
prunkhaften Auslagen,
aufdringliche, sich gegen¬
seitig übertrumpfende
Firmentafeln, Reklame¬
malereien und eleUri
beleuchtete Lockmittel, die
man am liebsten noch hoch
über den Dächern an¬
bringt. In aufdringlichster
Buntheit verfolgt dieses
Chaos von Formen und
Farben die durch die
Straßen eilenden Men¬
schen, auf Schritt und
Tritt daran gemahnend,
daß es in der Welt nichts
anderes gibt und geben
kann als Handel und Ge¬
schäft.
In den großen Städ¬
ten mit ihrer aufpeit-
jchenden dauernden Un¬
ruhe kommt der Mensch
nur seilen zu sich selber,
denn die verschiedenar¬
tigsten Eindrücke wirken
zerstreuend und lenken unbewußt die Gedanken ab. Sammlung und Be-
schaulichkeit sind Worte, die in den Stätten hastenden Lebens ihren Sinn
in das Gegenteil verkehren. Die geistige Beweglichkeit des Großstädters,
seine Fähigkeit, sich in einem Augenblick mit den verschiedenartigsten
Dingen beschäftigen zu können, sind wohl besondere, aber sicher nicht
wertvolle Züge in seinem Wesen.
An stillen Feiertagen, wenn die unstete Hast und das Jagen des Be-
triebes vorübergehend ruhen, und die Menschen ins Freie flüchten oder in
vermeintlichen Vergnügungsstätten sitzen, wirken die verkehrsentblößten
Straßen befremdend, ja manchmal spukhaft und gespenstig, so daß sich ein
einsamer Wanderer zwischen den hohen Steinblöcken beengt und be-
drückt fühlt.
In den Millionenstädten trachten die Menschen überall danach, hinaus-
zukommen, denn sie fühlen, daß ihnen dort alles fehlt, was das Dasein
erträglich macht. Luft, Licht und Sonne sind ihnen fast genommen, und
dem Auge bietet sich in den Straßen nichts, woran es sich erfreuen könnte,

und dem Gemüt nichts, das ihm Nahrung gäbe. Wer nur ein bißchen zu sich
kommen will, sucht dem Lärm und der stumpfmachenden Buntheit men-
schenüberfüllter Städte zu entrinnen und darf von Glück sagen, wenn nicht
auch die nächste Umgebung auf Meilen hinaus trostlos und traurig ist.
In großen, volkreichen
Städten von heute ist es
weder richtig Tag noch
Nacht; der alte Sinn der
Zeiten ist dort verloren
gegangen; es gibt keinen
Abend, keine Dämmer-
stunde, die nach Feier-
abend die Empfindung
friedlicher, beschaulicher
Stille über die Menschen
bringen könnte. Bevor
noch die Schatten sinken,
flammen im Zwielicht
grelle Bogenlichter auf;
fast noch in der Tages-
helle wird der Mensch auch
noch um den Abend und
die Nacht betrogen.
Die großen natürlichen
Atempausen sind in den
Städten verschwunden,
die ein ewig reizbares
Geschlecht bewohnt, dem
auch die Nacht zum Tage
geworden ist. Im künst-
lichen, blendenden Licht
erbleicht der Schein des
Mondes, und die Sterne
am Himmel erblassen.
Weit hinaus vor die Stadt
muß man wandern, um
die Gestirne der Nacht in
ihrer Schönheit strahlen
zu sehen.
Wer möchte glauben,
daß in den großen Städ-
ten Kinder aufwachsen,
die nicht wissen, wie ein
Baum aussieht, denen
ein Huhn, eine Taube
oder ein bunter Falter
ein befremdender Anblick
ist; daß es dort Kinder
gibt, die nie mit bloßen
Füßen über einen grünen
Zang liefen? So fremd
ist ihnen die zur Einkehr
mahnende Stille der frei en
Natur und so gewohnt
der Lärm und das Trei-
ben aus dem Asphalt der
Straßen, daß sie auch
draußen nur Freude emp¬
finden, wenn etwas „los" ist. Sie verlangen nach Rummelplätzen.
Stille Sammlung im Sichlnngeben an den tiefen Frieden der Natur
ist ihnen fremd, und die Ruhe macht sie verwirrt. Wer könnte in der
Großstadt auch nur daran denken, an linden Abenden behaglich vor der
Türe auf der Straße zu sitzen, zu ruhen oder zu plaudern? Und welchen
Sinn hätte eine Bank an einem Brunnen in einer Großstadt? Wozu über-
haupt einen Brunnen? Im besten Falle ist er als Werk eines Bildhauers
möglich, mit monumental fallendem Wasser, das aus Sparsamkeit während
der Nacht nicht fließt. Die Zeit ist vorbei, da in den Straßen aus Röhren-
brunnen Tag und Nacht Wasser in steinerne Tröge rieselte, in bronzene
Becken plätscherte, silbern im Mondlicht glänzend.
Unzählige kleine Lebensbeziehungen sind in der Großstadt gelöst, ihr
einstiger Sinn ist verloren und vernichtet. Und doch fühlt man sich ange-
heimelt, wenn inan in Dichtungen liest oder auf Bildern findet, daß einst
das Leben weniger zweckerfüllt hastig, unstet und nüchtern gewelen ist.
Mag sich auch der Romantik vergangener Zeiten gegenüber beim Millionen-


Unler der Femlinde in Rothenburg ob der Tauber.
 
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