Heft 5
Das Buch für Alle
8l
Am St. Georgsbrunnen. Ain Plönlein.
schäft. Das ist einmal kurz so zusammengefaßt worden: „Die mittel-
alterliche Stadt ist nichts anderes als die erhabene Verkörperung eines
Schutzgedankens . .. Als Bruderschaften und Gilden schlossen sich die
Menschen zusammen mit einer Einheit des Denkens, vor der unsere
heutigen Großtaten verblassen. Werin einem Bruder das Haus abbrannte,
baute es ihm die ganze Gilde wieder auf; erkrankte er, so pflegte ihn ein
Bruder nach dem andern. Wenn er starb, nahm sich die Bruderschaft
der verlassenen Familie an. Der einzelne gewann durch die geschlossenen
Kräfte, die hinter ihm standen. Alles drängte nach Vereinigung. Man er-
baute gemeinschaftlich die Schntzmauer, in Eintracht wurden Einrichtungen
geschaffen, die allen zugute kamen: die Stadtmühle, die Walkerei, Vor-
ratshäuser für Hungersnöte, die Schule, das Rathaus, das Münster.
Zusammen erwarb man Neuland und Gemeindebesitz, und alles wurde
groß geartet, und den Kräften wuchsen Flügel. Die Menschen dachten und
empfanden gemeinsam, und daraus blühte dann die Schönheit, weil jeder,
sicher des ihm Zugemessenen, ohne Hast sich ganz in den Sinn seiner Be-
schäftigung versenken konnte. Und zum Schluß erschien als leuchtende
Glorie des Ganzen eine von den Nöten des Tages und seinen Bedürfnissen
abgelöste Erfindungs- und Denkkraft. Das ist die Wissenschaft und die
reine Kunst, in der sich diese ganze Steigerung der Fähigkeiten durch Ver-
einigung gewissermaßen bewußt wird und sich so noch einmal über sich
selbst erhöht. . . . Die allein sicheren und tragfähigen Grundlagen mensch-
licher Kultur bestehen in einem Erträglicherwerden und einer Sicherung
des Daseins durch die Erfindung von Schutzmitteln, deren höchstes und
folgenreichstes die freie Vereinigung zum Zweck gegenseitiger Förderung ist."
Das ist der große, bedeutsame Sinn unserer alten Städte und ihrer
Einrichtungen, in denen die Grundlagen unserer Kultur geschaffen wor-
den sind. Den offenbaren sie uns, wenn wir die Vergangenheit richtig
befragen. Das Edelste und Beste sehen wir vor Jahrhunderten in ihnen
vorgebildet und nicht weniges darunter in Formen, um die wir heute
ringen. Bei solcher Betrachtung finden wir unsere geistige Erkenntnis
ebenso befruchtet und vermehrt wie unser Bedürfnis nach Schönheit befrie-
digt. Und es bestätigt sich, daß auch diese Schönheit zwar keine bewußte
Schöpfung und doch auch kein nebensächliches Ergebnis, sondern die
Folge einer aus dem Innersten quellenden Notwendigkeit ist.
Und in diesem Sinne ist es also zu verstehen, wenn gesagt wird, unsere
alten Städte seien gleichsam organische Gebilde, ihre Schönheit sei mit
Notwendigkeit „gewachsen". Was uns an alten befestigten Städten
lediglich malerisch erscheint und unserer sinnlichen Wahrnehmung Freude
bereitet, ist einst zu Verteidigungszwecken geschaffen worden. „Jeder
Torturm beherrscht eine der Häuptstraßen, jeder Nebenturm eine Gasse.
Wo eine Stelle von der natürlichen Lage weniger geschützt ist, beschirmt
ihn eine dichtere Folge der Wehrtürme, und auf der schwächsten Stelle
sind auch die Häuser einbezogen in die Verteidigung, und im Zickzack rückt
jedes Haus gegen das benachbarte vor, so daß der beim Tor eindringende
Gegner tausend blitzende Schießscharten vor sich sah, die alle die ganze
Vor der Stadtmauer.
Alles Fachwerkhaus.
Das Buch für Alle
8l
Am St. Georgsbrunnen. Ain Plönlein.
schäft. Das ist einmal kurz so zusammengefaßt worden: „Die mittel-
alterliche Stadt ist nichts anderes als die erhabene Verkörperung eines
Schutzgedankens . .. Als Bruderschaften und Gilden schlossen sich die
Menschen zusammen mit einer Einheit des Denkens, vor der unsere
heutigen Großtaten verblassen. Werin einem Bruder das Haus abbrannte,
baute es ihm die ganze Gilde wieder auf; erkrankte er, so pflegte ihn ein
Bruder nach dem andern. Wenn er starb, nahm sich die Bruderschaft
der verlassenen Familie an. Der einzelne gewann durch die geschlossenen
Kräfte, die hinter ihm standen. Alles drängte nach Vereinigung. Man er-
baute gemeinschaftlich die Schntzmauer, in Eintracht wurden Einrichtungen
geschaffen, die allen zugute kamen: die Stadtmühle, die Walkerei, Vor-
ratshäuser für Hungersnöte, die Schule, das Rathaus, das Münster.
Zusammen erwarb man Neuland und Gemeindebesitz, und alles wurde
groß geartet, und den Kräften wuchsen Flügel. Die Menschen dachten und
empfanden gemeinsam, und daraus blühte dann die Schönheit, weil jeder,
sicher des ihm Zugemessenen, ohne Hast sich ganz in den Sinn seiner Be-
schäftigung versenken konnte. Und zum Schluß erschien als leuchtende
Glorie des Ganzen eine von den Nöten des Tages und seinen Bedürfnissen
abgelöste Erfindungs- und Denkkraft. Das ist die Wissenschaft und die
reine Kunst, in der sich diese ganze Steigerung der Fähigkeiten durch Ver-
einigung gewissermaßen bewußt wird und sich so noch einmal über sich
selbst erhöht. . . . Die allein sicheren und tragfähigen Grundlagen mensch-
licher Kultur bestehen in einem Erträglicherwerden und einer Sicherung
des Daseins durch die Erfindung von Schutzmitteln, deren höchstes und
folgenreichstes die freie Vereinigung zum Zweck gegenseitiger Förderung ist."
Das ist der große, bedeutsame Sinn unserer alten Städte und ihrer
Einrichtungen, in denen die Grundlagen unserer Kultur geschaffen wor-
den sind. Den offenbaren sie uns, wenn wir die Vergangenheit richtig
befragen. Das Edelste und Beste sehen wir vor Jahrhunderten in ihnen
vorgebildet und nicht weniges darunter in Formen, um die wir heute
ringen. Bei solcher Betrachtung finden wir unsere geistige Erkenntnis
ebenso befruchtet und vermehrt wie unser Bedürfnis nach Schönheit befrie-
digt. Und es bestätigt sich, daß auch diese Schönheit zwar keine bewußte
Schöpfung und doch auch kein nebensächliches Ergebnis, sondern die
Folge einer aus dem Innersten quellenden Notwendigkeit ist.
Und in diesem Sinne ist es also zu verstehen, wenn gesagt wird, unsere
alten Städte seien gleichsam organische Gebilde, ihre Schönheit sei mit
Notwendigkeit „gewachsen". Was uns an alten befestigten Städten
lediglich malerisch erscheint und unserer sinnlichen Wahrnehmung Freude
bereitet, ist einst zu Verteidigungszwecken geschaffen worden. „Jeder
Torturm beherrscht eine der Häuptstraßen, jeder Nebenturm eine Gasse.
Wo eine Stelle von der natürlichen Lage weniger geschützt ist, beschirmt
ihn eine dichtere Folge der Wehrtürme, und auf der schwächsten Stelle
sind auch die Häuser einbezogen in die Verteidigung, und im Zickzack rückt
jedes Haus gegen das benachbarte vor, so daß der beim Tor eindringende
Gegner tausend blitzende Schießscharten vor sich sah, die alle die ganze
Vor der Stadtmauer.
Alles Fachwerkhaus.