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Mts Illustrierte Familicnzcitung 1922


Neue Moral
Roman von Reinhold Ort mann / Fortsetzung
änger konnte es Frau Starringers mütterliches Herz nicht er-
tragen, daß ihr Liebling abgekanzelt wurde wie ein Schul-
junge, und im Tone eines sanften Vorwurfs mischte sie sich
ein: „Er hat sich doch nichts Böses dabei gedacht, Michael! Und
verraten wird er auch nichts von den schrecklichen Geheimnissen,
die er da gelesen hat. Wenn er nun einmal den Trieb hat, sich
weiterzubilden! Siehst du denn nicht, daß er sich schon halb zu-
schanden arbeitet, der arme Bub? Nacht für Nacht sitzt er mit
seinen Freunden und studiert. Es ist geradezu ein Jammer, wie
sehr er dabei herunterkommt. Da muß man doch auch einmal
ein Wort der Anerkennung für ihn übrig haben und nicht immer
in allem, was er tut, etwas Unrechtes sehen."
„Elend genug siehst du allerdings aus! Daß du auf Kosten
deiner Gesundheit arbeitest, verlange ich selbstverständlich nicht.

Lege dich also künftig um zehn Uhr aufs Ohr und laß deinen
Studienzirkel fahren. Das dürfte dir auf alle Fälle zuträglicher
und auch deinem Weiterkommen nur förderlich sein."
Hatte Leopold bis jetzt recht jämmerlich und armsünderhaft
dagestanden, so hob er nun plötzlich mit einer lebhaften Bewegung
den Kopf, denn eine solche Durchquerung seiner Absichten wäre
ihm sehr wider den Strich gewesen.
„Das ist unmöglich. Ich würde mich damit bei meinen Kom-
militonen lächerlich machen. Und ich fühle mich ja auch ganz
gesund. Die Mutter macht von meinem Aussehen immer viel
mehr Aufhebens, als daran ist. In meinen Jahren renkt sich
dergleichen doch immer schnell wieder ein."
„Tu, was du magst!" sagte der Kommissär, indem er sich zum
Gehen fertigmachte. „Daß jemand an der Arbeit gestorben wäre,
habe ich allerdings auch noch nicht erlebt, und das möchte ich auch
bei dir nicht annehmen."
Er nahm seine Aktentasche unter den Arm und verließ mit Ger-
ling, der sich rasch von den Frauen verabschiedet hatte, das Zimmer.


, , Copyright by Photographische Gesellschaft, Charlortenburg,
Die Freier bei der lustigen Witwe.
ll. 1922.


Nach einem Gemälde von C. Aldin.
 
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