Das Buch fü r Alle
Heft 6
Burg Haminerstein bei Brohl.
Nach einer Originalzeichnung von R. Püttncr.
Die Lorelei.
Nach einer Originalzeichnung von A. von Baur.
Dampfboot zu be-
nützen, „weil es gar
zuschnellgehe".Da-
mals woüte man die
romantische Schön-
heit des Stromes
und seinerherrlichen
Ufer genießen, nicht
im Schnellzugstem-
povorüberrasen. So
fuhr Bähr von Mainz
mit dem Marktschiff;
den ersten Tag bis
Bingen, am zweiten
durch das „gefähr-
liche Binger Loch"
bis Koblenz. Zehn
Jahre später fuhr
er noch einmal mit
„Sang und Klang"
von Rüdesheim bis
auf einem Nachen
Koblenz drei Tage hindurch
den Rhein hinab. Solche Fahrten waren genuß-
reich, und in der Erinnerung blieb mehr davon Zu-
rück als die verworrenen flüchtigen Bilder, die
Reisende von heute im Dampfboot auf dem Rhein
wie einen Film an sich vorüberhasten sehen.
Seit den zwanziger Jahren des vorigen Jahr-
hunderts fürchteten die Schiffer, ruiniert zu wer-
den, wenn die Dampfboote auch noch Waren be-
förderten. Als am 17. August 1807 Fulton in
Amerika seine Fahrt mit dem ersten Dampfboot
unternahm, versammelte sich eine große Volks-
menge. Man spottete und rief Fulton höhnisch
zu, er solle bei seiner Rückfahrt ein Stück vom
Nordpol mitbringen. Aber dann kam es doch an-
ders. Als das Schiff fuhr, blieb der Beifall nicht
aus. Während seiner Fahrt erregte das neue
Fahrzeug Angst und Schrecken. Aus dem Schorn-
stein schlugen Flammensäulen und Funken hoch
hinaus, da der Kessel mit trockenem Fichtenholz
geheizt wurde. Dies Feuerwerk und die Tatsache,
daß ein großes Schiff sich gegen den Strom ohne
Wind bewegen konnte, genügten, um bei aber-
gläubischen Schiffern, die auf ihren Frachtschiffen
fuhren, Furcht und Entsetzen zu erregen. Nach
Erzählungen von Augenzeugen fielen ganze
Schiffsmannschaften auf die Kniee und baten Gott,
sie vor dem schrecklichen Ungetüm zu beschützen,
das auf dem Wasser einherzog und seinen Weg
durch die Flammen, die es ausspie, beleuchtete.
Unser einstiges politisches Elend während der
Kleinstaaterei machte sich auch auf dem Rhein be-
merkbar. Nassau legte Ende der dreißiger Jahre
in Biebrich einen Freihafen an, in der Absicht,
den Verkehr des Mainzer Hafens zu sich hinüber-
zuziehen. Strombauten wurden begonnen, die
das Fahrwasser des Rheins von Mainz ab nach
der rechten Uferseite lenken sollken. Proteste der
hessischen Regierung bewirkten in Nassau nichts,
und vom glorreichen Bundestag kam auch keine
Hilfe. Da fuhren in der dunklen Nacht des
28. Februar 1841 hundert Kähne unter dem Vor-
wand, Steine zum Dombau nach Köln zu bringen,
von Mainz ab. Als sie vor Biebrich kamen, ver-
sanken plötzlich einige der Fahrzeuge, die anderen
warfen ihre Ladung ab, und der nassauische Frei-
hafen war gesperrt. So half inan sich auch in
Bremen mit einem Gewaltstreich, um eine
Dampferoerbindung bis Hameln zu ermöglichen.
Bei Liebenau lagen im Weierbett eili ge große
Felsblöcke, die zu Hannöver.chem Gebiet ge-
hörten und die Fahrt sperrten. Die Regierung
in Hannover erklärte es für unmöglich, dies
Hindernis zu beseitigen. Da ließen die Bremer
die Steine heimlich sprengen und fortbrmgen.
Hannover klagte wegen verbotener Slemaussuhr,
aber das Strombett blieb sür den Verkehr offen.
das Zehnlache der
früheren Durchfahrt.
Das „Binger Loch",
von Felsen fast kranz¬
artig umschloss en, war
sogar 1893 trotz er¬
neut vorgenomme¬
ner Sprengungen im
Flußbettnoch immer
von den Schiffern
gefürchtet. Unter¬
halb des herrlich ge¬
legenen Oberwesel
verengert sich das
Rheinbett zu einem
scheinbaren Kessel,
der von dräuenden,
teilweise jäh aufstei¬
genden und über¬
hängenden Felsen
umschlossenist. Dun-
kelschiefrig schimmern die Berge im Licht. Selbst
was die Neuzeit dort dem Ufer abrang, daß sie
ireben der Straße noch Bahngleise zu beiden Seiten
einzwängte und hüben und drüben Tunnels in
das Gestein sprengte und bohrte, vermag nicht
das Düstere dieser Landschaft aufzuheben. Wo
der Strom am stärksten eingezwängt erscheint,
von den Schiffern fast noch mehr als das Binger
Loch gefürchtet, da ragt rechts mit weit vor-
springender Kante der sagenumwobene Lurlei-
felsen in den Rhein. Zehn- und fünfzehnfaches
Echo hallt von den starren Felsen zurück. Überall
am Mittelrhein heißt „lei" ein Felsen und „lur"
wird mit Lauern gleichgesetzt,' demnach wäre Lur-
lei ein am Wasser lauernder Felsen. Daß an dieser
düsteren Stelle manches Schiff zugrunde ging,
liegt an dem „wilden Gefährt", an Wirbeln und
Strudeln, die unterhalb des Berges durch Riffe
unter der Flut hervorgebracht werden. In der
Sage verkörperte sich die Bangigkeit, die den
Schiffer m dieser düsteren Enge befiel, zur Ge-
stalt der „schönsten Jungfrau" Lorelei, die den
Schiffer durch ihren Gesang betört und ihm den
Tod bringt. An dieser Stelle, nicht bei Worms,
soll Hagen den fluchbeladenen Nibelungenschatz
versenkt haben. Nirgends wird der Reisende mehr
an die Vergangenheit gemahnt als auf einer
Rheinreise. Jahrhunderte hinterließen dort ihre
Spuren; trotzige Burgen, Schlösser und Pfalzen
ragen auf den Felsen empor. „Wer zählt die
Burgen, nennt die Namen?" Gewaltiges Trüm-
merwerk, Ruinen erinnern an das Leben einer
rauhen Zeit. Nahe beieinander liegen zahllose
Reste von Bauwerken, die im Lauf der Jahr-
hunderte durch Frankreichs Gewalttaten zerstört
wurden.
Das Leben auf dem Strom und die Anlagen
an den Ufern künden von der Zeit, in der wir
leben. Unzählige Schlote rauchen, Dampfhämmer
dröhnen, Millionen von Rädern drehen sich, und
in rastloser Tätigkeit schaffen die Menschen. Erze
werden aus der Erde geholt und die Kohle, der
schwarze Diamant, die wir so schwer entbehren.
Boote und Segelboote, große und kleine Dampfer
durchfurchen den Rhein, an dessen Ufern die Rebe
in der Sonne reift.
Vor hundertdrei Jahren, 1818, tauchten die
ersten Dampfschiffe auf dem Rhein und der Elbe
auf, die man auf der Oder erst 1822 und acht
Jahre später aus der Donau sah. In der ersten
Zeit mußten die Dampfboote teilweise von Pfer-
den vom Ufer aus geichleppt werden. Langsam
ging es, bis auf dem ganzen Rhein Dampischiffe
fuhren; 1822 legte em holländischer Dampfer in
Köln an, und erst gegen 1830 konnte man bis
Mannheim sahren. Als Otto Bähr 1828 eine
Rheinreise unternahm, wurde ihm abgeraten, das
Heft 6
Burg Haminerstein bei Brohl.
Nach einer Originalzeichnung von R. Püttncr.
Die Lorelei.
Nach einer Originalzeichnung von A. von Baur.
Dampfboot zu be-
nützen, „weil es gar
zuschnellgehe".Da-
mals woüte man die
romantische Schön-
heit des Stromes
und seinerherrlichen
Ufer genießen, nicht
im Schnellzugstem-
povorüberrasen. So
fuhr Bähr von Mainz
mit dem Marktschiff;
den ersten Tag bis
Bingen, am zweiten
durch das „gefähr-
liche Binger Loch"
bis Koblenz. Zehn
Jahre später fuhr
er noch einmal mit
„Sang und Klang"
von Rüdesheim bis
auf einem Nachen
Koblenz drei Tage hindurch
den Rhein hinab. Solche Fahrten waren genuß-
reich, und in der Erinnerung blieb mehr davon Zu-
rück als die verworrenen flüchtigen Bilder, die
Reisende von heute im Dampfboot auf dem Rhein
wie einen Film an sich vorüberhasten sehen.
Seit den zwanziger Jahren des vorigen Jahr-
hunderts fürchteten die Schiffer, ruiniert zu wer-
den, wenn die Dampfboote auch noch Waren be-
förderten. Als am 17. August 1807 Fulton in
Amerika seine Fahrt mit dem ersten Dampfboot
unternahm, versammelte sich eine große Volks-
menge. Man spottete und rief Fulton höhnisch
zu, er solle bei seiner Rückfahrt ein Stück vom
Nordpol mitbringen. Aber dann kam es doch an-
ders. Als das Schiff fuhr, blieb der Beifall nicht
aus. Während seiner Fahrt erregte das neue
Fahrzeug Angst und Schrecken. Aus dem Schorn-
stein schlugen Flammensäulen und Funken hoch
hinaus, da der Kessel mit trockenem Fichtenholz
geheizt wurde. Dies Feuerwerk und die Tatsache,
daß ein großes Schiff sich gegen den Strom ohne
Wind bewegen konnte, genügten, um bei aber-
gläubischen Schiffern, die auf ihren Frachtschiffen
fuhren, Furcht und Entsetzen zu erregen. Nach
Erzählungen von Augenzeugen fielen ganze
Schiffsmannschaften auf die Kniee und baten Gott,
sie vor dem schrecklichen Ungetüm zu beschützen,
das auf dem Wasser einherzog und seinen Weg
durch die Flammen, die es ausspie, beleuchtete.
Unser einstiges politisches Elend während der
Kleinstaaterei machte sich auch auf dem Rhein be-
merkbar. Nassau legte Ende der dreißiger Jahre
in Biebrich einen Freihafen an, in der Absicht,
den Verkehr des Mainzer Hafens zu sich hinüber-
zuziehen. Strombauten wurden begonnen, die
das Fahrwasser des Rheins von Mainz ab nach
der rechten Uferseite lenken sollken. Proteste der
hessischen Regierung bewirkten in Nassau nichts,
und vom glorreichen Bundestag kam auch keine
Hilfe. Da fuhren in der dunklen Nacht des
28. Februar 1841 hundert Kähne unter dem Vor-
wand, Steine zum Dombau nach Köln zu bringen,
von Mainz ab. Als sie vor Biebrich kamen, ver-
sanken plötzlich einige der Fahrzeuge, die anderen
warfen ihre Ladung ab, und der nassauische Frei-
hafen war gesperrt. So half inan sich auch in
Bremen mit einem Gewaltstreich, um eine
Dampferoerbindung bis Hameln zu ermöglichen.
Bei Liebenau lagen im Weierbett eili ge große
Felsblöcke, die zu Hannöver.chem Gebiet ge-
hörten und die Fahrt sperrten. Die Regierung
in Hannover erklärte es für unmöglich, dies
Hindernis zu beseitigen. Da ließen die Bremer
die Steine heimlich sprengen und fortbrmgen.
Hannover klagte wegen verbotener Slemaussuhr,
aber das Strombett blieb sür den Verkehr offen.
das Zehnlache der
früheren Durchfahrt.
Das „Binger Loch",
von Felsen fast kranz¬
artig umschloss en, war
sogar 1893 trotz er¬
neut vorgenomme¬
ner Sprengungen im
Flußbettnoch immer
von den Schiffern
gefürchtet. Unter¬
halb des herrlich ge¬
legenen Oberwesel
verengert sich das
Rheinbett zu einem
scheinbaren Kessel,
der von dräuenden,
teilweise jäh aufstei¬
genden und über¬
hängenden Felsen
umschlossenist. Dun-
kelschiefrig schimmern die Berge im Licht. Selbst
was die Neuzeit dort dem Ufer abrang, daß sie
ireben der Straße noch Bahngleise zu beiden Seiten
einzwängte und hüben und drüben Tunnels in
das Gestein sprengte und bohrte, vermag nicht
das Düstere dieser Landschaft aufzuheben. Wo
der Strom am stärksten eingezwängt erscheint,
von den Schiffern fast noch mehr als das Binger
Loch gefürchtet, da ragt rechts mit weit vor-
springender Kante der sagenumwobene Lurlei-
felsen in den Rhein. Zehn- und fünfzehnfaches
Echo hallt von den starren Felsen zurück. Überall
am Mittelrhein heißt „lei" ein Felsen und „lur"
wird mit Lauern gleichgesetzt,' demnach wäre Lur-
lei ein am Wasser lauernder Felsen. Daß an dieser
düsteren Stelle manches Schiff zugrunde ging,
liegt an dem „wilden Gefährt", an Wirbeln und
Strudeln, die unterhalb des Berges durch Riffe
unter der Flut hervorgebracht werden. In der
Sage verkörperte sich die Bangigkeit, die den
Schiffer m dieser düsteren Enge befiel, zur Ge-
stalt der „schönsten Jungfrau" Lorelei, die den
Schiffer durch ihren Gesang betört und ihm den
Tod bringt. An dieser Stelle, nicht bei Worms,
soll Hagen den fluchbeladenen Nibelungenschatz
versenkt haben. Nirgends wird der Reisende mehr
an die Vergangenheit gemahnt als auf einer
Rheinreise. Jahrhunderte hinterließen dort ihre
Spuren; trotzige Burgen, Schlösser und Pfalzen
ragen auf den Felsen empor. „Wer zählt die
Burgen, nennt die Namen?" Gewaltiges Trüm-
merwerk, Ruinen erinnern an das Leben einer
rauhen Zeit. Nahe beieinander liegen zahllose
Reste von Bauwerken, die im Lauf der Jahr-
hunderte durch Frankreichs Gewalttaten zerstört
wurden.
Das Leben auf dem Strom und die Anlagen
an den Ufern künden von der Zeit, in der wir
leben. Unzählige Schlote rauchen, Dampfhämmer
dröhnen, Millionen von Rädern drehen sich, und
in rastloser Tätigkeit schaffen die Menschen. Erze
werden aus der Erde geholt und die Kohle, der
schwarze Diamant, die wir so schwer entbehren.
Boote und Segelboote, große und kleine Dampfer
durchfurchen den Rhein, an dessen Ufern die Rebe
in der Sonne reift.
Vor hundertdrei Jahren, 1818, tauchten die
ersten Dampfschiffe auf dem Rhein und der Elbe
auf, die man auf der Oder erst 1822 und acht
Jahre später aus der Donau sah. In der ersten
Zeit mußten die Dampfboote teilweise von Pfer-
den vom Ufer aus geichleppt werden. Langsam
ging es, bis auf dem ganzen Rhein Dampischiffe
fuhren; 1822 legte em holländischer Dampfer in
Köln an, und erst gegen 1830 konnte man bis
Mannheim sahren. Als Otto Bähr 1828 eine
Rheinreise unternahm, wurde ihm abgeraten, das