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Heft 7

Das Buch für Alle

7 I s



Eraminationshauschen der Staalsprüfungskandidaten in Kanton.

Staatsprüfungen in China
Von Moritz Bender / Mit zwei Bildern
(^.n China steht es jedermann frei, sich zu den öffent-
^Ilichen Staatsprüfungen zu melden. Zahlreich sind
in Vergangenheit und Gegenwart die Beispiele für das Aufsteigen der
höchsten Beamten des Reiches aus den untersten Schichten. Das Alter
spielt bei den Prüfungen keine besondere Rolle. Wenn zum B.i piel ein
Knabe von fünfzehn oder ein Greis von siebzig Jahren den Wunsch hegt,
„ins Examen zu steigen", so hindert sie in China keine Vorschrift daran. In
den Bezirkstädten des Reiches finden alle zwei Jahre Prüfungen statt,
nach deren befriedigendem Abschluß die unterste Stufe der Beamten-
laufbahn erreicht ist. Wer diesen ersten literarischen Grad erreicht hat,
gilt als „vervollkommnetes Talent" und darf sich zu den jeweils nach
drei Jahren stattfindenden Provinzialprüfungen melden, die unter Auf-
sicht hoher Kommissäre und Beamten vor sich gehen und nach günstigem
Abschluß zu weiterer Beförderung in bessere Ämter berechtigen. Wer dieses
Eramen bestanden hat. darf den Titel Tschü Pen, das heißt Provinzial-
c.raduierter, führen. Abermals in Abständen von drei Jahren findet in
Peking die nächsthöhere Prüfung statt. Zu diesen reichshauptstädtischen
Prüfungen melden sich meist mehrere Tausende aus den Provinzen die dort
den Titel Tschü Pen erworben haben, aber nur dreihundertfünfzig Kandi-
daten können das „Zeugnis der Reife" erlangen, mit dem die höchste
literarische Würde unter dem Titel Tschin T chi verbunden ist, die etwa
unserem Doktorgrad entspricht. — Diesem Examen folgt unmittelbar eine
weitere Prüfung, nach deren Ergebnis eine Einteilung der daran Be-
teiligten in drei Klassen erfolgt. Die vier Besten der ersten Klasse erhalten

Er ertappte sich bei einem Gedanken, den er ins
Lächerliche zu ziehen suchte. Es war der Wunsch nach
einem eigenen Heim, nach einem Beruf, der auf einer
sicheren Grnndlage ruhte. Halblaut sagte er: „Arabas,
alter Vagabund, ich möchte dich als glücklichen Fa-
milienvater und Inhaber eines gutgehenden Zigarren-
geschäftes sehen."
Doch das Lachen gelang ihm nicht recht, denn er dachte
weiter: „Du weißt ja nicht, ob du übermorgen noch
leben wirst. Unsinn, wenn man sterben soll, stirbt man
auch als Zigarrenhändler. Aber die Wahrscheinlichkeit
ist geringer."
Seit langen Jahren kam Arabas mit seinen Ge-
danken nicht ins reiüe.
In seinem Hotelzimmer trugen die kahlen Wände
auch nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben.
Lange saß er grübelnd auf dem Sofa.
Dann fiel ihm ein, daß es Zeit wäre, zur Vorstel-
lung zu gehen. .Schum folg-)

Cymesiscde Studenten bei der Mahlzeit.
besondere Titel: Tschuan Püan — Optimus, Pang Pen — Sekundus,
Tan Hua — Tertius und Tschuan Pu — Quartus. Damit sind aber die
geistigen Nöte noch nicht zu Ende. Die mit dem Tschin T chi ausgezeichneten
Examinanden werden in drei Klassen eingeteilt. Die vier Besten der vor-
hergehenden Prüfungen verlieren dabei ihren Platz nicht. Die drei ersten
erhalten meist eine Stellung in der Akademie, die übrigen der ersten Klasse
treten in die Rangklasse von Hilfsekretären der Ministerien. Der Rest reist
in die Provinz zurück, um dort nach Erledigung von Ämtern als höhere
Beamte angestellt zu werden. Meist erlangt ein Drittel aller Kandidaten,
die in der Reichshauptstadt geprüft wurden, den Titel „Bakkalaureus der
Hanlinekademie".
Eigenartig verläuft die neun Tage währende Provinzialprüfung. Nach
Navarras Schilderung versammeln sich die Studenten vor dem Eingangstor
eines von einer hohen Mauer umschlossenen Hofes, der von mehreren Haupt-
wegen rechtwinklig durchzogen ist. An jeder Seite dieser Wege stehen
einzelne niedrige, mit Ziegeln gedeckte Bauten, die eine Zelle von kaum
zwei Meter im Quadrat enthalten. Nur an einer Mauerseite befinden sich
zwei Öffnungen, ein Fenster und eine Türe, die aber nicht geschlossen
werden können. Im Innern der Zelle gegenüber der Türe ruht auf aus der
Wand ragenden Ziegelsteinen ein Brett, das als Sitz dient. Ein zweites
Brett bildet einen Tisch; beide Bretter können abgenommen und an die
Wand gestellt werden, wenn der Kandidat sein Nachtlager zurechtmacht.
In der Mitte des Hofes erhebt sich ein
höheres Bauwerk. Hier amtieren die Prü-
fungsaufseher und beobachten von dort aus,
was in den Zellen und ringsum dieselben
vorgeht.
In diese Zellen wird den Kandidaten durch
Diener das Essen gebracht. Sie dürfen die
Zelle nicht vor der Abforderung ihrer Arbeit
verlassen und mit niemand sprechen. So blei-
ben sie unter Klausur bis zum Nachmittag
des dritten Tages; erst dann, wenn ihre Ar-
beiten eingesammelt worden sind, dürfen sie
sich ein paar Stunden im Freien erholen und
zur vorgeschriebenen Zeit zurückkehren, da sie
die Nacht in den Zellen zn verbringen haben.
Am folgenden Morgen erhalten sie nene Auf-
gaben, die abermals nach drei Tagen abzu-
geben sind. Nun folgt die gleiche Erholungs-
zeit wie nach dein ersten Dreitagewerk. Dann
beginnt eine weitere Prüfung, die abermals
drei Tage währt. Aber nicht nur die Kandi-
daten werden in so strenger Klausur gehalten.
In dem mauerumzogenen Haupthofe befindet
sich noch ein Hofraum, in dem mehrere Ge-
bäude stehen. Dort leben während der Prü-
fungen die Examinatoren und ihre Gehilfen.
Auch diese dürfen weder ausgehen noch Be-
suche empfangen, bis alle Arbeiten durch-
gesehen und die Ergebnisse abgeschlossen sind,
worüber meist vier Wochen vergehen.
 
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