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Das Buch für Alle
Heft 8
Das Buch für 2t l l e
(»opyriM 18^5 vy
Nach einem Gemälde von Walther Firte.
Morgenandacht.
-
sie. Und Martha erwiderte seine Küsse. Die junge Sonne fand frohen
Widerschein in zwei seligen Herzen. Sie spannen Pläne, bargen aber
ihre Liebe als Geheimnis.
Nur noch en nächsten Monat wollte Arabas auftreten, denn er war dazu
durch einen früheren Vertrag verpflichtet und hätte eine große Summe
zahlen müssen, wenn er vertragsbrüchig geworden wäre. Dann wollte
er mit den Eltern des Mädchens sprechen.
Martha quälten in diesen Tagen und Nächten schreckhafte Gesichte und
böle Träume: sie sah Arabas mit zerschmetterten Gliedern am Boden
liegen. Sein Todesschrei riß sie aus glücklichen Zukunftsträumen.
Sie glaubte nicht dem sorglosen Lachen, mit dem Arabas ihre Bangigkeit
zu zerstreuen suchte.
Dorette jagte zu ihr: „Dieser Arabas ist ein Teufel und hält dich in seinem
Bann. Wer weiß, wie das endet!"
Martha war es, als ob sie Arabas' Küsse doppelt erwidern müsse, um ihn
vor drohendem Unheil zu behüten. Sie glaubte fest an seine Liebe.
§)er Monat, für den Arabas noch der Varietöbühne verpflichtet war,
ging ?u Ende. An einem der letzten Tage sagte er zu Martha: „Nun ist die
Zeit bald um. Ich muß fort und weiß nicht, ob ich dich je wiedersehe."
i IN '.Niünchm.
Martha schluchzte. „Ich hab' solche Angst um dich. Liebster, nimm
mich doch mit."
„Wenn mir ein Unglück widerfahren sollte, dann hast du dein Elternhaus
verlassen und stehst chutzlos und allein in der Welt."
„Ich habe dich so lieb und will dich nicht allein lassen!"
Er tröstete sie: „Sei ruhig, auch der kommende Monat geht zu Ende,
und dann gehören wir uns für immer."
Jur gleichen Zeit kam der Agent Halb seines Weges und begegnete
Dorette vor dem Schaufenster eines Modehauses.
„Guten Tag, Dorettchen.
Bist du wieder mit Martha
spazieren gewesen? Wo ist
denn meine Kleine?"
Betrogen erwiderte Do-
rette : „Sie ist eben ins Kauf-
haus gegangen."
Halb hatte den verlegenen
Gesichtsausdruck des Mäd-
chens bemerkt: er war miß-
trauisch geworden.
Die Ladentür, auf die Do-
rette in ihrer Verwirrung
gewiesen hatte, klappte hin-
ter ihm zu.
Vergebens hatte er Mar-
tha an den vielen Verkaufs-
tischen gesucht und kehrte
nach kurzer Zeit wieder auf
die Straße zurück.
Da war auch Dorette ver-
schwunden.
Zu Hause fand er Martha
eifrig bei einer Handarbeit
und fragte: „Bist du heute
mit Dorette spazieren ge-
gangen?"
„Ja."
„Und morgen wollt ihr
gewiß auch das schöne Wetter
ausnutzen?"
„Wenndu erlaubst, Vater."
Holb zwang sich in seinem
Verdruß zur Klugheit.
„Wo wollt ihr denn hin?"
„Meist gehen wir den
Strandweg hinaus," erwi-
derte Martha arglos und er-
schrak dann doch, als habe
sie ein Geheimnis preisge-
geben.
Sie bangte vor der näch-
sten Frage des Vaters.
Doch Holb schwieg und
nahm die Abendzeitung.
Am nächsten Tage folgte
er ihr, ohne daß sie es merkte.
Seine Geduld ward auf eine
ziemlich harte Probe gestellt,
denn Martha verschwand in
dem Hause, wo Dorette
wohnte, und es dauerte lang,
ehe sie wieder aus der Haus-
tür trat.
Aber sie kam allein und
ging der Brücke zu.
„Dacht' ich mir's doch,"
brummte Holb, „daß hinter
diesen täglichen Spaziergän-
gen eine Liebschaft steckt!"
An der Brücke wartete
Arabas.
„Sieh mal, der rote Teu-
fel!" murmelte Holb. „Was
hat meine Tochter mit dem
Akrobaten zu tun?"
Dann sah er sie neben-
einander aus dem Strand-
„So?"
„Du weißt doch, ich habe mich mit Arabas verabredet."
„Ich verstehe, dir ist es lieber, wenn ich nicht mitgehe."
Da faßte Martha die Hand der Freundin.
„Liebe Dorette, sieh, es sind doch nur noch zehn Tage, dann reist er
wieder ab! Und du hast doch deinen Fritz."
„Ach, geh doch! Der langweilige Mensch!"
„Arabas hat mich doch gebeten, sei doch nicht neidisch."
„Ich bin doch auf deinen Akrobaten nicht eifersüchtig."
„Das hab' ich ja gar nicht gemeint. Du sollit nur sagen, wir wären zu-
sammen gewesen, wenn mein
Vater dich fragen sollte."
„Ich glaube, du hast dich
in diesen roten Teufel ver¬
guckt." ,
„Sei doch gut, Dorette,
ich Helse dir auch mal wie¬
der."
Dorette gab nach. Ihr war
es zwar nicht ganz gleichgül¬
tig, daß Martha Arabas ge¬
fallen hatte. Aber in zehn
Tagen müßte er ja fort.
„Na, so geh nur zu, Schäf¬
chen, ich lasse dich nicht im
Stich."
Martha gab ihr dankbar
die Hand und ging.
Arabas wartete an der
Brücke. Von weitem schon
sah er Martha. Die Sonne
schien wärmer als am ver¬
gangenen Tage.
Sie begrüßten sich schwei¬
gend und gingen dann neben¬
einander. Als die letzten
Häuser der Stadt weit hinter
ihnen lagen, begann Ara¬
bas: „Sie sind gern gekom¬
men?"
„Ich hatte es Ihnen ja
versprochen."
Wieder gingen sie eine
Weile schweigend nebenein¬
ander.
Auf den Wiesen glänzte
das Helle Grün der jungen
Gra Halme im Licht.
„Ich wäre traurig gewesen,
wenn Sie nicht gekommen
wären," sagte Arabas.
„LagJhnensovieldaran?"
fragte Martha stockend.
„Seit ich Siekennenlernte,
stehe ich vor einem neuen
Wendepunktmeines Lebens."
„Wie soll ich das ver¬
stehen?"
„Ich habe jetzt mein Vaga¬
bundendasein satt. Ich bin
während meiner Wanderzeit
sparsam gewesen und möchte
einen bürgerlichen Beruf er¬
greifen. Ich könnte mir einen
Zigarrenladen kaufen. Ich
fühle Sehnsucht nach Ruhe,
Behaglichkeit und einem
Heim."
Marthas Kopf war immer
tiefer auf die Brust gesunken.
Arabas bemerkte es und
redete weiter: „Und du, kleine
Martha, du sollst mir mein
neues Leben mit ausbauen
heljen."
Da lehnte Martha ihren
Kops an seine Schuller.
Arabas umsaßte und küßte
Das Buch für Alle
Heft 8
Das Buch für 2t l l e
(»opyriM 18^5 vy
Nach einem Gemälde von Walther Firte.
Morgenandacht.
-
sie. Und Martha erwiderte seine Küsse. Die junge Sonne fand frohen
Widerschein in zwei seligen Herzen. Sie spannen Pläne, bargen aber
ihre Liebe als Geheimnis.
Nur noch en nächsten Monat wollte Arabas auftreten, denn er war dazu
durch einen früheren Vertrag verpflichtet und hätte eine große Summe
zahlen müssen, wenn er vertragsbrüchig geworden wäre. Dann wollte
er mit den Eltern des Mädchens sprechen.
Martha quälten in diesen Tagen und Nächten schreckhafte Gesichte und
böle Träume: sie sah Arabas mit zerschmetterten Gliedern am Boden
liegen. Sein Todesschrei riß sie aus glücklichen Zukunftsträumen.
Sie glaubte nicht dem sorglosen Lachen, mit dem Arabas ihre Bangigkeit
zu zerstreuen suchte.
Dorette jagte zu ihr: „Dieser Arabas ist ein Teufel und hält dich in seinem
Bann. Wer weiß, wie das endet!"
Martha war es, als ob sie Arabas' Küsse doppelt erwidern müsse, um ihn
vor drohendem Unheil zu behüten. Sie glaubte fest an seine Liebe.
§)er Monat, für den Arabas noch der Varietöbühne verpflichtet war,
ging ?u Ende. An einem der letzten Tage sagte er zu Martha: „Nun ist die
Zeit bald um. Ich muß fort und weiß nicht, ob ich dich je wiedersehe."
i IN '.Niünchm.
Martha schluchzte. „Ich hab' solche Angst um dich. Liebster, nimm
mich doch mit."
„Wenn mir ein Unglück widerfahren sollte, dann hast du dein Elternhaus
verlassen und stehst chutzlos und allein in der Welt."
„Ich habe dich so lieb und will dich nicht allein lassen!"
Er tröstete sie: „Sei ruhig, auch der kommende Monat geht zu Ende,
und dann gehören wir uns für immer."
Jur gleichen Zeit kam der Agent Halb seines Weges und begegnete
Dorette vor dem Schaufenster eines Modehauses.
„Guten Tag, Dorettchen.
Bist du wieder mit Martha
spazieren gewesen? Wo ist
denn meine Kleine?"
Betrogen erwiderte Do-
rette : „Sie ist eben ins Kauf-
haus gegangen."
Halb hatte den verlegenen
Gesichtsausdruck des Mäd-
chens bemerkt: er war miß-
trauisch geworden.
Die Ladentür, auf die Do-
rette in ihrer Verwirrung
gewiesen hatte, klappte hin-
ter ihm zu.
Vergebens hatte er Mar-
tha an den vielen Verkaufs-
tischen gesucht und kehrte
nach kurzer Zeit wieder auf
die Straße zurück.
Da war auch Dorette ver-
schwunden.
Zu Hause fand er Martha
eifrig bei einer Handarbeit
und fragte: „Bist du heute
mit Dorette spazieren ge-
gangen?"
„Ja."
„Und morgen wollt ihr
gewiß auch das schöne Wetter
ausnutzen?"
„Wenndu erlaubst, Vater."
Holb zwang sich in seinem
Verdruß zur Klugheit.
„Wo wollt ihr denn hin?"
„Meist gehen wir den
Strandweg hinaus," erwi-
derte Martha arglos und er-
schrak dann doch, als habe
sie ein Geheimnis preisge-
geben.
Sie bangte vor der näch-
sten Frage des Vaters.
Doch Holb schwieg und
nahm die Abendzeitung.
Am nächsten Tage folgte
er ihr, ohne daß sie es merkte.
Seine Geduld ward auf eine
ziemlich harte Probe gestellt,
denn Martha verschwand in
dem Hause, wo Dorette
wohnte, und es dauerte lang,
ehe sie wieder aus der Haus-
tür trat.
Aber sie kam allein und
ging der Brücke zu.
„Dacht' ich mir's doch,"
brummte Holb, „daß hinter
diesen täglichen Spaziergän-
gen eine Liebschaft steckt!"
An der Brücke wartete
Arabas.
„Sieh mal, der rote Teu-
fel!" murmelte Holb. „Was
hat meine Tochter mit dem
Akrobaten zu tun?"
Dann sah er sie neben-
einander aus dem Strand-
„So?"
„Du weißt doch, ich habe mich mit Arabas verabredet."
„Ich verstehe, dir ist es lieber, wenn ich nicht mitgehe."
Da faßte Martha die Hand der Freundin.
„Liebe Dorette, sieh, es sind doch nur noch zehn Tage, dann reist er
wieder ab! Und du hast doch deinen Fritz."
„Ach, geh doch! Der langweilige Mensch!"
„Arabas hat mich doch gebeten, sei doch nicht neidisch."
„Ich bin doch auf deinen Akrobaten nicht eifersüchtig."
„Das hab' ich ja gar nicht gemeint. Du sollit nur sagen, wir wären zu-
sammen gewesen, wenn mein
Vater dich fragen sollte."
„Ich glaube, du hast dich
in diesen roten Teufel ver¬
guckt." ,
„Sei doch gut, Dorette,
ich Helse dir auch mal wie¬
der."
Dorette gab nach. Ihr war
es zwar nicht ganz gleichgül¬
tig, daß Martha Arabas ge¬
fallen hatte. Aber in zehn
Tagen müßte er ja fort.
„Na, so geh nur zu, Schäf¬
chen, ich lasse dich nicht im
Stich."
Martha gab ihr dankbar
die Hand und ging.
Arabas wartete an der
Brücke. Von weitem schon
sah er Martha. Die Sonne
schien wärmer als am ver¬
gangenen Tage.
Sie begrüßten sich schwei¬
gend und gingen dann neben¬
einander. Als die letzten
Häuser der Stadt weit hinter
ihnen lagen, begann Ara¬
bas: „Sie sind gern gekom¬
men?"
„Ich hatte es Ihnen ja
versprochen."
Wieder gingen sie eine
Weile schweigend nebenein¬
ander.
Auf den Wiesen glänzte
das Helle Grün der jungen
Gra Halme im Licht.
„Ich wäre traurig gewesen,
wenn Sie nicht gekommen
wären," sagte Arabas.
„LagJhnensovieldaran?"
fragte Martha stockend.
„Seit ich Siekennenlernte,
stehe ich vor einem neuen
Wendepunktmeines Lebens."
„Wie soll ich das ver¬
stehen?"
„Ich habe jetzt mein Vaga¬
bundendasein satt. Ich bin
während meiner Wanderzeit
sparsam gewesen und möchte
einen bürgerlichen Beruf er¬
greifen. Ich könnte mir einen
Zigarrenladen kaufen. Ich
fühle Sehnsucht nach Ruhe,
Behaglichkeit und einem
Heim."
Marthas Kopf war immer
tiefer auf die Brust gesunken.
Arabas bemerkte es und
redete weiter: „Und du, kleine
Martha, du sollst mir mein
neues Leben mit ausbauen
heljen."
Da lehnte Martha ihren
Kops an seine Schuller.
Arabas umsaßte und küßte