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Heft 8

Das Buch fü r Alle

127

auch ein Arzt da. Der beugte sich über die
Bahre.
„Mas ist mit ihm?" fragte der Direktor.
„Genickbruch," erwiderte der Arzt, „da ist
nicht mehr zu Helsen."
Än der Brücke stand Martha und hörte,
wie von der nahen Turmuhr zehn Schläge
durch den nebligen Abend summten. „Gleich
muh er kommen " sagte sie vor sich hin und
spähte in das Dunkel. Doch niemand kam, und
die Zeit schlich qualvoll hin.
Aus den Nebeln trat ein bleiches Gesicht,
das Arabas' Züge trug.
Martha sah es und ahnte, was geschehen
war.
Das Blut schosz ihr in den Kopf; ihre Füße
zitterten. Dann peitschte ne die Sorge zu
atemlose n Laufen. Grell leuchtete der Ein-
gang des Theaters chon von weitem. Bleiche
Bogenlampen, von flimmernden Ringen um-
hüllt, schienen aus dem Nebel.
Ein Gedränge von Menschen staute sich vor der
erleuchteten Tür. Sie hasteten nicht wie sonst
aneinander vorbei, um ihr Heim zu erreichen.
„Was gibt es?" fragte Martha einen alten
Herrn.
„Unverantwortliche Sorglosigkeit, daß die Leute kein Sicherheitsnetz ..."
Martha faßte ihn an einem Armei.
„Was ist mit Arabas geschehen?"
„Tot ist der arme Teufel."
Keiner wehrte es dem Mädchen als es die engen Stufen hinanstieg, die
zu dem kleinen Zimmer führten, in dem Arabas lag.
Das Licht einer Kerze schimmerte trüb auf dem glänzenden Scharlachrot
eines Trikots.
Vor der Bahre brach Martha lautlos zusammen.
Ampelglockenblumen
(V>Gmenliebe viel verbreiteter als Blumenpflege. An der Schönheit
^)oer buntm Kinder Floras wollen sich die meisten erfreuen, den
Sinn für treue, auch die besonderen Bedürfnisse und Lebensbedingungen
der einzelnen Pflanzen beachtende Wartung haben nur wenige. Stürmen-
der Jagend fehlt in der Regel die Beschaulichkeit der Beobachtung für die
unauffälligen Vorgänge in der Natur: Keimen und Wachsen, Blühen
und Vergehen. Stets haben sich deshalb b.sond rs die Freunde der Zu-
rückgezogenheit, die sich „vor der Welt ohne Hast verschliesten", ja die
Sonderlinge, wie Spitzwegs K ckteenfreund, auf Blumenpflege verstanden.
Weil aber in der jetzigen Zeit äußerster Einschränkung für die lauten
Freuden und die Vergnügungen austerhalb der Häuslichkeit Mittel und
Möglichkeiten fehlen, besinnen sich weit mehr als früher auf die stilleren
Liebhabereien, wie auf die Pflege der Blumen im Zimmer. Und wer sie
wirklich üben lernt, gewinnt dabei mehr für den äusteren Schmuck und die
innere Bereicherung seines Lebens, als er vorher geahnt hat. Die Auswahl
ist reich genug. Wer es zum Beispiel mit Ampelpflanzen versuchen will,
die zu Grostvaters Zeit besonders geschätzt wurden, der wird an den bis spät
in den Herbst hinein blühenden
Hängeglockenblumen seine Freude
haben. Insbesondere eignen sich
dafür die beiden blütenreichrn,
durch kräftige Beraubung und
lange Blütendauer ausgezeich-
neten Arten der blauen 6aw-
pLuuia, Nazn (Mays Hänge-
glockenblume) und der weisten
Oarnpannla isopbvlia (Gleich-
blättrige Hängeglockenblume).
Wegen ihres schönen Wuchses,
ihrer leichten Kultur werden sie
in neuerer Zeit wieder allge-
meiner, sowohl im Prioathaus
wie in der Erwerbsgärtnerei,
gehalten. Es gibt aber auch kaum
eine andere blühende Hänge-
pflanze, die es mit einer der
beidenHängeglockenblumenarten
aufnehmen könnte, wenn diese
Blaublühende Hängeglockenbluine. in vollem Blatt- und Blüten¬

schmuck stehen. Dabei sind wenige in ihren
Ansprüchen an die Pflege so genügsam. Wenn-
gleich die Hängeglockenblumen, wie alle Blü-
tenpflanzen, bei viel Licht und Sonnenschein
voller und schöner als beim Fehlen dieses für
die Pflanzen wichtigen Lebenselementes blü-
hen, so entwickeln sie doch auch noch an licht-
armen, selbst noch an sonnenlosen Plätzen
überraschenden Blütenreichtum. Es kommt
nur daraus an, dast ihre Bedürfnisse mit Liebe
und Sorgfalt befriedigt werden, dast das Eie-
sten nicht versäumt und für ausreichende Nah-
rung des Bodens gesorgt wird. Ein weiterer
Vorzug besteht darin, dast diese Pflanzen gegen
tierische und pflanzliche Schädlinge wider-
standsfähig sind und in dieser Hinsicht dem
Pflanzenfreund keine groste Sorge machen.
Die ältere Art von beiden ist die Gleich-
blättrige Hängeglockenblume. JhreBerankung
ist sehr kräftig und der Wuchs schön, mit grö-
ßeren, stark genervten und am Rande tief aus-
gebuchteten, graugrünen Blättern dicht besetzt.
Die Blumen sind fünfteilig, spitzglockig ge-
formt und haben bei der Stammart blaue,
bei der aus ihr entstandenen Kulturform meiste
Farbe. Die jüngere Schwesterpflanze, Mays
Glockenblume, hat eine straffer hängende Be-
rankung, filzig graue, behaart erscheinende Blätter und dunkellilafarbene
Blumen mit scharf hervortretenden Staubgefästbündeln. Wie schon er-
wähnt, sind die Hängeglockenblumen sehr genügsam, so dast sie fast unter-
allen Verhältnissen gedeihen. Während des Sommers verlangen sie reichlich
Wasser und vertragen auch gelegentlich einmal einen schwächeren Dunggust,
wogegen sie im winterlichen Ruhezustände nur wenig Wasser aufnehmen
und während dieser Zeit sehr vorsichtig begossen werden müssen, um Wurzel-
erkrankungen zu vermeiden. Ihr Nährboden soll kräftig und dabei doch leicht
und porös sein. Eine alte Kompost-und M.stlieeterde unter Zusatz von wenig
Kalk sagt ihnen am besten zn. Wie alle Glockenblumenarten, so sind auch
die beiden als Ampelpflanzen empfohlenen für eine geringe Menge Kalk
während der Blumenentfaltung besonders dankbar. Alljährlich im Früh-
ling müssen sie verpflanzt werden, wobei ältere Pflanzen für junge Nach-
zuchten geteilt werden können. Sie lassen sich aber auch leicht durch Steck-
linge vermehren, wenn man zwei- bis dreigliedrige Rankenstücke in kleine
Töpfe steckt und sie hierin zur Bewurzlung kommen läßt, was schon in
wenigen Wochen der Fall ist. Stecklingspflanzen blühen meist schon im
ersten Jahre. Die Durchwinterung geschieht an mästig warmen, trockenen
und Hellen Plätzen. E. Gienapp.
Ursberg
Die größteWohltütigkeitsanstalt Bayerns
Von Moritz Ernst Rögner / Mit sechs Bildern
ür Durchschnittsmenschen, die allerlei gelesen und gehört haben, gibt es
fast nichts, wofür sie keine Erklärung fänden. Man hat für alles ein
Schlagwortbereit, mit dem die schwierigsten Probleme leicht abgetan wer-
den. Hört man, dast in irgend einer Familie ein lrüppelhaftes, epileptisches,
taubstummes, schwachsinniges oder blindes Kind den Eltern Kummer und
Sorge bereitet, dann wird behauptet, die Ursache solcher Gebrechen sei dem
Alkoholmistbrauch oder geheimen Kranlheiten zuznschreiben, oder, wenn
dafür kein unmittelbarer Anlast vorliegt, beginnt meist ein langes und
breites Gerede über Vererbung. Mit überraschender Genauigkeit wird auf
solche Weise alles dunkle Geschehen erklärt und klipp und klar zu beweisen
gesucht, daß es bald keine abnormen Kinder mehr gäbe, wenn man nur
gesunde, schöne Menschen heiraten ließe. Man spielt mit den Worten
normal und abnorm und erklärt: alle Gebrechen müßten verschwinden,
wenn nur die Auswahl der Tüchtigsten richtig getroffen werden könnte.
Was sagt denn nun das Wörtchen „normal"? In Wahrheit bedeutet es nicht
mehr als „durchschnittlich", ja eigentlich „mittelmäßig". Vom Durchschnitt-
lich-Normalen nach aufwärts ergeben sich dann in gewisser Steigerung
alle Ubergangsstufen zum Abnormen, Überdurchschnittlichen. Wird über
solche Dinge gesprochen, so erscheint nichtseinfacher, als die Grenze festzu-
setzen, wo das Normalgesunde liegt und das pathologische Ab- und Über-
normale beginnt und endigt. Wie anders aber iteht es in Wahrheit! Im
Leben sind alle diese Grenzen schwankend. Der Psychiater findet ohne
Überspannung seiner Sorwerkennknisse beim Normalen krankhafte Züge,
und es ist leider lein bloßer Witz, wenn ein bedeutender Irrenarzt ein-
mal erklärte, nicht alle Narren lebten im Jrrenhause, und man fände die

Weißblühmde Hüngeglockenluuine.
 
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