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Das Bu ch für 2t l t e

Das B n ch f ü r Alte

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Heft 9

141


Die Weihnachtskrippe.

Beweis? — Hütt' ich einein Narren so viel Geld gegeben? Oder
glauben Sie, nur fehles an Verstand?"
Da wandte sich Uhtoff dem Alten zu und blickte ihn scharf an.
„Wozu die langen Reden? Es scheint Ihnen Vergnügen zu
bereiten, mit mir zu spielen. Sie werden mir doch nicht zumuten,
noch einmal anzuhören, was mir vorhin schon mehr als genug
war? Wenn Sie Ihr Geld verlieren, ist Ihr Eigensinn daran wohl
noch mehr schuld als meine Unbesonnenheit."
„Ein wahres Wort! Unbesonnen sind Sie. Deshalb wollt' ich
noch einmal ruhig zu Ihnen sprechen. Behalten Sie Ihren klaren
Verstand, dann wird alles recht. Was soll das nützen, wenn Sie
vor einem Menschen wie dem Stemmler davonlaufen, statt ihm
zu sagen..."

Draußen erfuhr Heinemann von dem
Aufwärter, wo Paul Uhtoff zu finden sei,
und stapfte auf seinen kurzen Beinen lang-
sam über die Treppen hinab. In richtiger
Schätzung der wahren Verfassung des
jungen Mannes suchte ihn der alte Fuchs
gar nicht im Restaurant. Als er über die
Schwelle des Nebenraumes trat, erblickte
er, ungesehen von ihm, Uhtoff in einen:
der Spiegel und betrachtete dessen Mienen
eine ganze Weile.
Heinemann schien mit seiner Beobach¬
tung zufrieden. Zum mindesten fand er
seine Vermutungen über die Stimmung
Uhtoffs bestätigt.
Als der Bankier den Raum betrat, ging
auf seinem Gesicht eine rasche Veränderung
vor sich. Seine eben noch scharf blickenden
Augen nahmen einen verschlafenen Aus¬
druck an; blinzelnd schaute er wie geblendet
in das Helle Licht und ging mit schlep¬
penden: Schritt auf Uhtoff zu, der sich
überrascht erhob.
„Bleiben Sie sitzen, Verehrtester! Mir
ist's oben zu langweilig geworden. Solche
Gesellschaften sind nichts für einen alten
Mann."
Vertraulich legte er seine Hand auf
Uhtoffs Arm.
„Behalten Sie Platz. Ich möchte gern
noch einen heißen Kaffee trinken."
Er ließ sich vom Kellner Hut, Stock und
Überrock abnehmen, setzte sich Uhtoff gegen-
über und wartete, bis der Kaffee gebracht
wurde.
Kaum waren sie allein, da begann der
Alte: „Sie nehmen nicht übel, daß ich
störe? Es ist nötig, daß wir noch einmal mit-
einander reden. Gewissermaßen hab' ich
die Pflicht, Ihnen gegenüber offen zu sein.
Wenn man Pflicht sagt, ist der Verstand,
wenn Sie wollen, der Eigennutz, im Spiel.
Sie sehen, ich nehme nur kein Blatt vor
den Mund."
Uhtoff verhehlte sein Unbehagen kaum.
Er begriff nicht, wo Heinemann hinaus
wollte. Hatte der etwa gar nut Stemmler
gesprochen?
Heinemann hob seine schlaffen Augen-
lider; ein kaum merkbares Lächeln umzuckte
seine prallen Lippen. Er zeigte mit einem
Finger nach dem Weinglas.
„Erlauben Sie, Herr Uhtoff, Sie haben
Wein getrunken; das istnicht gut! Man sagt,
im WRn liegt Wahrheit. Meinetwegen!
Wahrheit für die andern, die zuhören, wenn
einer mehr sagt, als für ihn gut ist."
Ein unfreundlicher Blick wehrte die Vertraulichkeit ab.
Aber Heinemann ließ sich nicht beirren, er redete weiter: „Nun?
Hab' ich nicht recht? Sie sehn mich an, als wollten Sie mir das
Wort verbieten. Ich frag' Sie, ob das klug ist! Ich will Ihnen
selber die Antwort geben. Töricht ist's, wenn man sich merken
läßt, wie man gelaunt ist. Man hat keinen Nutzen davon, denn
nicht alle Leute sind unempfindlich gegen üble Launen. Was
kann ich dafür, daß Ihre Berechnungen nicht alle richtig sind.
Schon einmal haben Sie mich heut so angeschaut, als wünschten
Sie mir — nu, ich will's für mich behalten. Ich hab' Sie für
einen klugen Menschen genommen."
Uhtoff winkte unwillig ab.
Unbeirrt redete Heinemann weiter: „Was ich sag', ist wahr.

„Haben Sie ihn etwa aufgeklärt?" rief Uhtoff mit unbezähm-
barer Heftigkeit.
„Da haben wir die Bescherung. Nein, Sie sind doch ein An-
fänger! Wie sollte es mir einfallen, mit so einemMenschenzureden!
Wozu, frag' ich Sie, ist das nötig? Und warum regen Sie sich so
auf? An Ihrer Stelle wäre ich den: Stemmler nicht ausgewichen,
ich hüite ihm ruhig erklärt: Mit dem alten Heinemann war nichts zu
machen. Basta! So aber geben Sie ihn: das Heft in die Hand
und wundern sich dann noch, wenn er bei Ihnen über die Schnur
haut. Glauben Sie nur, ich meine es gut mit Ihnen. Das sind
keine Vorwürfe, wenn ich auch einen Zweck damit verfolge.
Ich hab' Ihnen gesagt, ich halte Sie für klug. Was tut ein kluger
Mensch? Nun? — Ich will's Ihnen verraten. Ein kluger Mensch

hält sich immer an das, was zunächst er-
reichbar ist. Was nützt eine Taube auf dem
Dach, wenn man einen Spatzen mit der
Hand fangen kann?"
Ein lauernder Blick begegnete Uhtoffs
fragenden Augen. Nur eine Sekunde
währte die Spannung.
Da begann Heinemann mit verändertem
Ton: „Wir wollen uns vertragen. Glau-
ben Sie nicht, daß ich nur viel daraus
mache, weil Ihre Schwägerin heute nicht
da gewesen ist. Was nicht ist, kann noch
werden. Junge Leute wissen nicht immer,
was sie tun. Und Frauenzimmer schon gar
nicht. Und was die Geschäfte angeht — ich
hab'daran keinen Glauben. Warum geben
Sie sich so viel Mühe nut Geschichten, die
schließlich doch faul ausgehen? Ich hoffe,
Sie haben mich verstanden."
Uhtoff erschrak, doch ließ er sich nichts
inerten. Zum zweitenmal lenkte der ge-
riebene Alte seine Gedanken in eine Rich-
tung, die er nur zu gut kannte und doch
vor aller Welt ängstlich zu verbergen trach-
tete.
Ausweichend erwiderte er: „Wenn Sie
wüßten, wie sicher das Geschäft ist, das mich
mit einem Schlag unabhängig machen
würde, dann ..."
Rasch erwiderte der Bankier: „Man
muß immer das zunächst Erreichbare er-
streben. Alles andere führt zu nichts."
Da trat der Kellner heran, überreichte
Uhtoff einen verschlossenen Brief und trat
ein paar Schritte zurück.
Als Uhtoff die wenigen Zeilen gelesen
hatte, erhob er sich rasch. Ein leichtes Zittern
überlief seine schlanke Gestalt. Er wandte
sich halb im Gehen Heinemann zu und
gab ihm die Hand.
„Sie verzeihen! Man ruft mich eben ab.
Ich kann nicht sagen, ob ich wieder zurück-
komme."
Der Bankier hatte sich auffallend rasch
erhoben und blickte Uhtoff forschend an.
Der junge Mann mar bleich geworden;
Heinemann hatte das Zittern und das plötz-
liche unstete Flackern in seinen eben noch
matten Augen wahrgenommen. Sein
erster Gedanke ließ ihn auf eine uner-
wartete häusliche Nachricht schließen.
Nun fragte er: „Darf ich erfahren, was
Sie beunruhigt? Ist etwas geschehen, das
Ihnen Sorge bereitet?"
„Die Pflegerin meiner Frau, Schwester-
Beate, schreibt mir, sie wünsche mich am
Telephon zu sprechen. Ich hoffe, diese
Nachricht ist kein Zeichen, daß ihr Befinden sich verschlechtert hat.
Eigentlich hätte ich sie heute abend gar nicht verlassen dürfen. Sie
sehen, wieviel mir daran gelegen war, Sie bei Almeida zu sehen."
Mit raschen Schritten eilte er, von: Kellner geleitet, zur Tele-
phonkabine und ließ sich nut seiner Wohnung in Verbindung
bringen. Leise Schauer überrieselten seinen Rücken, während er
mit dem Hörer an: Ohr aus ein Zeichen wartete.
„Hier Uhtoff! Sie wünschten mir etwas mitzuteilen, Schwester
Beate? Darf ich bitten. Was ist geschehen?"
„Sind Sie allein in der Kabine? Kann uns niemand belauschen?"
„Hier im Hotel jedenfalls nicht. So sprechen Sie doch, ich bin
in höchster Unruhe. Ihre briefliche Mitteilung ist so kurz wie
rätselhaft." «Foroeyuna ivlgr,

dUach einer Originalzeichnnng von Fritz Bergen.
 
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