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Das Buch für Alle

Heft io

„Noch nicht — aus Ehre! Ich wollte vor allem Ihnen gegen-
über anständig handeln. Ich habe nichts unternommen, und Sie
dürfen immer noch damit rechnen, das Geschäft abschließen zu
können. Aber Zu langen Überlegungen bleibt bei dem Stand der
Dinge nun freilich keine Zeit mehr. Jede Stunde ist kostbar und
Versäumtes nicht mehr einzuholen. Spätestens morgen müssen
Sie sich mit Wort und Unterschrift verpflichten, innerhalb der
nächsten vierzehn Tage die Beträge bereitzustellen, die sich als
notwendig für die Vorbereitung des Abschlusses erweisen. Und
Sie müssen außerdem die Kosten der Reise nach Sofia vor-
strecken. Es wird besser sein, sie im Auto zu machen, als mit der
Eisenbahn. Das geht viel schneller, ist bequemer, sicherer und auch
billiger. Mir bot sich zufällig gerade eine günstige Gelegenheit,
einen ganz vorzüglichen Mercedeswagen unter der Hand preis-
wert zu erwerben. Bis zu dem Augenblick, da er mit unseren
Reisenden aus Bulgarien zurückkehrt, ist er um mindestens
dreißigtausend Mark
teuerer geworden, so
daß durch seinen Wie¬
derverkauf die Reise¬
spesen zum guten Teil
gedeckt wären."
Eben bog das Auto
in den Marbergschen
Garteneingang ein,
und Paul Uhtoff, der
auffallend müde in der
Ecke des Wagens ge¬
lehnt hatte, richtete
sich auf.
„Ich kann Sie heute
leider nicht einladen,
mir noch eine Weile
Gesellschaft zu leisten.
Sie kennen ja meine
häuslichen Verhält¬
nisse. Aber ich erwarte
Sie morgen vormittag.
Dann können wir die
Angelegenheit ja ins
reine bringen."
„Sie sind demnach
einverstanden?"
„Ich hoffe, daß ich
das Geschäft möglich
machen kann. Jeden¬
falls dürfen Sie sich
vor unserer entschei-
denden Rücksprache mit keinem anderen in Verbindung setzen."
„Das versteht sich von selbst. Übrigens wäre es auch unverant-
wortlich, wenn Sie sich diese günstige Gelegenheit entgehen
ließen. In längstens vier Wochen ist die ganze Geschichte erledigt,
und eine Million auf vier Wochen zu beschaffen, ist für einen Mann
in Ihrer Lage doch nicht unmöglich."
Ohne auf seine letzten Worte etwas Zu erwidern, entließ ihn
Uhtoff mit einem flüchtigen Händedruck.
Scheu glitt sein Blick über die Fensterreihen des Hauses dahiu.
Da alle Rolläden herabgelassen waren, konnte er nicht erkennen,
wo noch Licht war, und drinnen empfing ihn tiefe Stille.
Behutsam, als fürchte er, einen Schlafenden zu wecken, schritt
er der Tür seines Arbeitszimmers zu. Es war durch die mit
einem grünen Schirm bedeckte elektrische Lampe auf dem Schreib-
tisch nur matt erhellt; aber Uhtoff gewahrte trotzdem sofort die
graue weibliche Gestalt in einem Sessel am Fenster. Sie rührte
jich bei seinem Eintritt nicht, so daß er sie entschlummert glaubte.
Aber als er jetzt auf sie zutrat, kehrte ihm Beate ihr schmales,
farbloses Gesicht mit weit offenen Augen zu.
„Du hast mich lange auf dich warten lassen," sagte sie mit
matter Stimme. „Ich glaubte, daß meine Nachricht dich zu
größerer Eile treiben würde."

Ohne den Überrock abzulegen, stützte Uhtoff den Arm auf die
Lehne des Sessels und neigte seinen Kopf zu ihr hinab.
„Es war eine schlimme Nachricht, Beate! Ich verstehe nicht,
wie das geschehen konnte."
„Gewiß, du hast ein Recht, mir Vorwürfe zu machen. Sie kön-
nen nicht härter sein als die, mit denen ich selbst mich seit Stunden
gepeinigt habe. Aber selbst die äußerste Wachsamkeit kann einmal
versagen."
„Das soll kein Vorwurf sein. Ich meinte es nicht so. Noch nie
habe ich an deiner Treue und Hingebung gezweifelt. Es war ein
Verhängnis. Was aber soll nun geschehen?"
„Um das von dir zu hören, habe ich dich hier erwartet."
„Noch weiß ich keinen Rat. Ist es denn ganz unbezweifelbar-
gewiß, daß sie Eva alles offenbarte?"
„Ganz sicher. Sie selber glaubt noch halb und halb an eine
gespenstische Erscheinung, und es wäre vielleicht nicht unmöglich,
sie in diesem Glauben
noch weiter zu bestär-
ken. Aber Eva kennt
jetzt Randolfs Namen,
und Edith hat ihr sein
Bild gezeigt, das wir
ihr nicht wegzuneh-
men wagten. Bei ihr
wird es dir nicht ge-
lingen, daß sie auch an
Gespenster glaubt wie
deine kranke Frau."
„Und du meinst, daß
sie ihn ausfindig ma-
chen könnte, daß sie
sich vielleicht gar mit
ihm in Verbindung
setzen wird?"
„Beider schwärme-
rischen Liebe, mit der
sie an ihrer Schwester
hängt, wird sie jeden-
falls alles versuchen."
„Damit bräche alles
zusammen! Daß das
auch jetzt kommen
mußte —gerade jetzt!"
Uhtoff fing an, auf
dem weichen Teppich
umherzugehen, dessen
dickes Gewebe den
Klang seiner Schritte
unhörbar machte. Schwester Beate beobachtete ihn eine Zeit-
lang mit kaum verhehlter Unruhe und Besorgnis, dann raffte sie
sich auf und sagte: „Wenn deine Frau stürbe, würdest du dich um
ihre Schwester bewerben — das ist dein fester Entschluß?"
„Mir bleibt keine andere Möglichkeit. Ich muß endlich ein freier
Mann werden, Beate; ich muß in die Lage kommen, mit den
Kapitalien der Firma nach eigenem Ermessen schalten zu können.
So kann's nicht weitergehen. Ich ertrage diese Abhängigkeit
nicht länger."
„Wenn du nun in die Lage kämest, deine Frau zu beerben, wäre
dann dieses Ziel nicht schon erreicht?"
„Ich fürchte — nein. Das Marbergsche Testament würde mir
mit seinen Bestimmungen auch dann noch überall hinderlich sein.
Alles, was ich damit gewänne, wäre im besten Falle ein größerer
persönlicher Kredit. So wichtig und wertvoll mir das auch im
gegenwärtigen Augenblick sein könnte, es würde mir doch nur
für kurze Zeit die nötige Bewegungsfreiheit verschaffen. So-
lange Eva Marberg minderjährig ist, werde ich hier im Hause
die Vormundschaft ihres Vermögensverwalters und die Auf-
passerei dieses schrecklichen Holdheim nicht los. Nur dadurch,
daß Eva meine Frau wird, kann ich zu voller Unabhängigkeit
gelangen."

Bleigießen, ein Liebesorakel in der Silvesternacht.
 
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