Heft 12
Das Buch für Alle
187
Hauses entsprechend kleidete und nicht zu häufig und zu anhaltend
schlecht gelaunt war. Da war es ganz von selbst gekommen, daß
ihr Ehrgeiz sich darauf beschränkte, für die hübscheste und ele-
ganteste Frau der Stadt zu gelten. Mit wieviel Liebe, mit welch
unendlicher Sorgfalt hatte sie sich ihre Räume eingerichtet. Sie
ließ die Bürste sinken und betrachtete den behaglichen Raum, der
mit den Zierlichen weißen Lackmöbeln, den hohen geschliffenen
Spiegeln, dem über den ganzen Boden reichenden weichen
Teppich und den tausend ebenso kostbaren wie überflüssigen Nich-
tigkeiten, die ihn schmückten, so recht die passende Umgebung für
eine junge schöne, verwöhnte Frau war.
Auf der Platte des Toilettentisches lagen die Schmuckstücke, wie
sie sie am Abend abgelegt hatte; sie nahm jedes einzeln in die
Hand und betrachtete es nachdenklich. Gewiß, diese kostbaren
Ringe, die Ohrgehänge mit den mattschimmernden Perlen, der
in Platin gefaßte, wie ein Tautropfen blitzende Brillant waren
der Preis gewesen, für den sie weit kostbarere Jugendjahre ein-
getauscht, aber, wenn sie ehrlich sein wollte, mußte sie sich ein-
gestehen, daß ihr die Trennung von jedem Stück schwer wurde. Sie
begann, die Sachen sorgfältig in die Schatulle einzuräumen;
einen Augenblick zögerte sie, als sie den schmalen goldenen Arm-
reif, den sie besonders liebte und sonst täglich trug, in der Hand
hielt. Aber nein, wie sie das Haus ihres Mannes betreten hatte,
wollte sie es auch wieder verlassen. Sie legte den Reif schnell
entschlossen zu dem übrigen Schmuck in die Kassette, verschloß
diese mit einem Seufzer, den sie selbst sich kaum eingestanden
hätte, und noch unter dem Einfluß dieses Entschlusses kleidete sie
sich weiter an. Lange wählte sie unter ihren Kleidern. Sie hätte
noch so lange suchen können und hätte doch keines gefunden, das
den bescheidenen Fähnchen der kleinen Thora vergleichbar ge-
wesen wäre, aber wenigstens sollte es so schlicht und unauffällig
wie möglich sein, und so entschied sie sich endlich für ein einfaches
dunkelblaues Tuchkleid und einen kleinen dunklen Hut aus weichem
Wildleder.
Befriedigt sah sie in den Spiegel. Die zehn Jahre ihrer Ehe
waren fast spurlos an ihr vorübergegangen, Kinn und Hals waren
wohl ein wenig stärker geworden und gaben dem Gesicht ein
frauenhaftes Aussehen, aber die Haut war straff und frisch und
die Augen strahlender, als die Thora Krogs es je gewesen.
Mina war erstaunt, als ihre Herrin fertig angekleidet ins Wohn-
zimmer trat, während sie sich noch mit dem Decken des Frühstücks-
tisches beschäftigte. Sie diente schon einige Jahre im Hause, aber
das war noch nie vorgekommen. Ob die Gnädige verreisen wollte?
Das war doch nicht denkbar, dann hätte sie sicher die Koffer packen
müssen. Es konnte sich aho höchstens um eine Fahrt in die Residenz
handeln. Mina war gekränkt, denn sie betrachtete sich als Ver-
traute ihrer Herrin und schätzte es nicht, wenn im Hause Dinge
vorgingen, über die sie nicht genau unterrichtet war. Schmollend
trug sie das Kännchen mit der dampfenden Schokolade und das
knusprige Röstbrot auf.
Frau Henderson betrachtete sie unauffällig und verstand die
Gedankengünge des Mädchens; wie erstaunt würde Mina erst
sein, wenn sie erfuhr, daß ihre Herrin nicht mehr zurückkehren
würde. Sie hatte das Mädchen durch Mitteilsamkeit verwöhnt,
aber es war auch immer aufmerksam und willig gewesen, und
sie fühlte das Bedürfnis, ihr noch etwas Freundliches zu sagen.
„Ich fahre in die Stadt, Mina, und es ist möglich, es ist sogar
wahrscheinlich, daß ich erst heute abend ganz spät oder morgen
zurückkomme. Da können Sie den freien Tag benützen und ein-
mal zu Ihrer Mutter hinausfahren; man weiß nicht, wie lange
das gute Wetter noch anhült. Hier ist Fahrgeld, und lassen Sie
sich von der Köchin noch etwas Gutes einpacken für die kleinen
Geschwister."
Kaum fünf Minuten saß Frau Henderson am Frühstückstisch,
nippte nur an der Schokolade und zerbröckelte ein Stückchen
Kuchen. Es war noch zu früh, um an den Bahnhof zu gehen, sie
wollte langes Warten auf dem Bahnsteig und Begegnungen mit
Bekannten möglichst vermeiden; doch sie vermochte nicht länger
stillzusitzen, sie begann im Zimmer umherzuwandern.
Merkwürdig, sie verspürte durchaus nicht die Befriedigung, die
ihr das Bewußtsein, so nahe am Ziel ihrer Wünsche zu sein, doch
hätte geben müssen. Aber das würde sicher kommen, sobald sie
das Haus und die Stadt verlassen hatte und die gewohnte Um-
gebung sich nicht mehr mit tausend Erinnerungen zwischen sie und
das neue Leben stellte. Sie preßte die Hand gegen die Brust, da
knisterte ein Brief; herauszunehmen brauchte sie ihn nicht, sie
wußte die Worte auswendig: „Wie stolz bin ich auf Dich, Thora,
daß Du den Mut zu dem entscheidenden Schritt gefunden hast;
stolz und glücklich, daß Du für mich so viel aufgeben willst, daß
Dich das bescheidene Los, das ich Dir nur bieten kann, nicht schreckt.
Ich wiederhole Dir aber nochmals, mein Kind: Hast Du Dir recht
überlegt, was Du verläßt und was Du dafür eintauschest?"
Sie hatte alles überlegt. O ja! Nicht einmal, nein, tausendmal!
Richard würde zufrieden mit ihr sein können, sie würde mit
frohem Mut alle Entbehrungen auf sich nehmen, würde sie doch
dafür die Kameradin Richards bei seiner Arbeit sein dürfen, nicht
mehr ein Lurusgegenstand wie jetzt, sondern ein Mensch, der
bewußt nut allen Sinnen das wahrhaft Schöne genoß.
Oft in der letzten Zeit hatte Frau Henderson sich an dem Klang
dieser Worte berauscht, ganz klar war es ihr freilich nicht, worin
die künftigen Schwierigkeiten und das Besondere des neuen
Lebens bestehen würden, aber schön würde es sein, müßte es
sein, wie wäre Richard sonst der Mensch geworden, der er war,
lebensfreudig, großzügig und alle Herzen bezwingend?
Der kleine gelbgrüne Zeisig hockte bekümmert auf der untersten
Stange des großen Messingkäfigs, er hackte, böse piepend, nach
Frau Hendersons Finger, als sie ihm ein Stückchen Zucker zwischen
die Stäbe schob. „Mätzchen!" lockte sie zärtlich, aber er saß teil-
nahmlos da und neigte das Köpfchen melancholisch zur Seite.
Seine Herrin betrachtete ihn nachdenklich, dann öffnete sie mit
schnellem Entschluß die Tür des Bauers und sah dem Tierchen
zu, wie es neugierig den Schnabel hervorstreckte, mit den Flügeln
schlug, noch unsicher, ob es sich wirklich der ungewohnten Freiheit
freuen dürfe, und sich dann rasch auf die Zweige der Linde, die
fast in das geöffnete Fenster hereinragten, schwang.
Frau Henderson hatte sich alle Ereignisse dieses Tages schon so
oft in Gedanken ausgemalt, jede Einzelheit erwogen und im vor-
aus bestimmt, daß sie nur zu handeln brauchte, ohne zu irgend-
welchen Überlegungen gezwungen zu sein. Wie oft hatte sie im
Geist nicht schon die Fahrt gemacht, selbstverständlich in der dritten
Klasse, denn mit dem Augenblick, wo sich die Tür des Hauses
Henderson hinter ihr schloß, hatte sie einen Strich unter die alten
Lebensbedingungen gemacht und sich vollkommen auf die neuen
eingestellt, hatte in die vorüberfliegende Landschaft hinausgeblickt
und mit einem unbeschreiblichen Gefühl der Erwartung und des
Glückes dem Rollen der Räder zugehört, das zu ihren Gedanken
eine frohe Zukunftsmusik gab.
Doch dieses Frohgefühl wollte nun nicht so recht aufkommen,
sie fühlte sich ungemütlich in dem überfüllten Abteil, das stunden-
lange Sitzen auf der harten Bank ermüdete sie, und trotzdem sie
sich kindisch schalt, so abhängig von Äußerlichkeiten zu sein, war
sie doch wie erlöst, als sie die ersten hohen Stadthäuser sah und
der Zug lärmend in die Bahuhofhalle einfuhr.
Wenn sie sonst in der Stadt gewesen, war es immer in des
Konsuls Begleitung, der für alles sorgte und ihr jede Mühe ab-
nahm; hilflos stand sie deshalb in der Menschenmenge, wurde
gepufft und gedrängt und bereute, nicht Richard die Zeit ihrer
Ankunft geschrieben zu haben; aber sie hatte es sich viel hübscher-
gedacht, ihn zu überraschen: „So, da bin ich, und für immer,"
und sich an seiner Freude mitzufreuen. Auf der obersten Stufe
der Bahnhoftreppe blieb sie eine Weile stehen. Auf dem großen
freien Platz bot sich ihr ein Bild, dessen Anblick die Kleinstädterin
zugleich fesselte und schreckte. Himmel, da würde sie sicher nie im
Leben bis zur anderen Seite gelangen, die Autos und Wagen
folgten ja unmittelbar aufeinander, und dies schreckliche Getöse!
Das beste würde sein, sich gleich einen Wagen zu nc Haren und
in Richards Wohnung hinauszufahren. Wie war doch die Adresse?
Sie wußte sie, aber um in der Eile nicht etwa die Nummer zu
verwechseln, kramte sie aus ihrem Handtäschchen das Notizbuch
hervor; da stand sie.
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Hauses entsprechend kleidete und nicht zu häufig und zu anhaltend
schlecht gelaunt war. Da war es ganz von selbst gekommen, daß
ihr Ehrgeiz sich darauf beschränkte, für die hübscheste und ele-
ganteste Frau der Stadt zu gelten. Mit wieviel Liebe, mit welch
unendlicher Sorgfalt hatte sie sich ihre Räume eingerichtet. Sie
ließ die Bürste sinken und betrachtete den behaglichen Raum, der
mit den Zierlichen weißen Lackmöbeln, den hohen geschliffenen
Spiegeln, dem über den ganzen Boden reichenden weichen
Teppich und den tausend ebenso kostbaren wie überflüssigen Nich-
tigkeiten, die ihn schmückten, so recht die passende Umgebung für
eine junge schöne, verwöhnte Frau war.
Auf der Platte des Toilettentisches lagen die Schmuckstücke, wie
sie sie am Abend abgelegt hatte; sie nahm jedes einzeln in die
Hand und betrachtete es nachdenklich. Gewiß, diese kostbaren
Ringe, die Ohrgehänge mit den mattschimmernden Perlen, der
in Platin gefaßte, wie ein Tautropfen blitzende Brillant waren
der Preis gewesen, für den sie weit kostbarere Jugendjahre ein-
getauscht, aber, wenn sie ehrlich sein wollte, mußte sie sich ein-
gestehen, daß ihr die Trennung von jedem Stück schwer wurde. Sie
begann, die Sachen sorgfältig in die Schatulle einzuräumen;
einen Augenblick zögerte sie, als sie den schmalen goldenen Arm-
reif, den sie besonders liebte und sonst täglich trug, in der Hand
hielt. Aber nein, wie sie das Haus ihres Mannes betreten hatte,
wollte sie es auch wieder verlassen. Sie legte den Reif schnell
entschlossen zu dem übrigen Schmuck in die Kassette, verschloß
diese mit einem Seufzer, den sie selbst sich kaum eingestanden
hätte, und noch unter dem Einfluß dieses Entschlusses kleidete sie
sich weiter an. Lange wählte sie unter ihren Kleidern. Sie hätte
noch so lange suchen können und hätte doch keines gefunden, das
den bescheidenen Fähnchen der kleinen Thora vergleichbar ge-
wesen wäre, aber wenigstens sollte es so schlicht und unauffällig
wie möglich sein, und so entschied sie sich endlich für ein einfaches
dunkelblaues Tuchkleid und einen kleinen dunklen Hut aus weichem
Wildleder.
Befriedigt sah sie in den Spiegel. Die zehn Jahre ihrer Ehe
waren fast spurlos an ihr vorübergegangen, Kinn und Hals waren
wohl ein wenig stärker geworden und gaben dem Gesicht ein
frauenhaftes Aussehen, aber die Haut war straff und frisch und
die Augen strahlender, als die Thora Krogs es je gewesen.
Mina war erstaunt, als ihre Herrin fertig angekleidet ins Wohn-
zimmer trat, während sie sich noch mit dem Decken des Frühstücks-
tisches beschäftigte. Sie diente schon einige Jahre im Hause, aber
das war noch nie vorgekommen. Ob die Gnädige verreisen wollte?
Das war doch nicht denkbar, dann hätte sie sicher die Koffer packen
müssen. Es konnte sich aho höchstens um eine Fahrt in die Residenz
handeln. Mina war gekränkt, denn sie betrachtete sich als Ver-
traute ihrer Herrin und schätzte es nicht, wenn im Hause Dinge
vorgingen, über die sie nicht genau unterrichtet war. Schmollend
trug sie das Kännchen mit der dampfenden Schokolade und das
knusprige Röstbrot auf.
Frau Henderson betrachtete sie unauffällig und verstand die
Gedankengünge des Mädchens; wie erstaunt würde Mina erst
sein, wenn sie erfuhr, daß ihre Herrin nicht mehr zurückkehren
würde. Sie hatte das Mädchen durch Mitteilsamkeit verwöhnt,
aber es war auch immer aufmerksam und willig gewesen, und
sie fühlte das Bedürfnis, ihr noch etwas Freundliches zu sagen.
„Ich fahre in die Stadt, Mina, und es ist möglich, es ist sogar
wahrscheinlich, daß ich erst heute abend ganz spät oder morgen
zurückkomme. Da können Sie den freien Tag benützen und ein-
mal zu Ihrer Mutter hinausfahren; man weiß nicht, wie lange
das gute Wetter noch anhült. Hier ist Fahrgeld, und lassen Sie
sich von der Köchin noch etwas Gutes einpacken für die kleinen
Geschwister."
Kaum fünf Minuten saß Frau Henderson am Frühstückstisch,
nippte nur an der Schokolade und zerbröckelte ein Stückchen
Kuchen. Es war noch zu früh, um an den Bahnhof zu gehen, sie
wollte langes Warten auf dem Bahnsteig und Begegnungen mit
Bekannten möglichst vermeiden; doch sie vermochte nicht länger
stillzusitzen, sie begann im Zimmer umherzuwandern.
Merkwürdig, sie verspürte durchaus nicht die Befriedigung, die
ihr das Bewußtsein, so nahe am Ziel ihrer Wünsche zu sein, doch
hätte geben müssen. Aber das würde sicher kommen, sobald sie
das Haus und die Stadt verlassen hatte und die gewohnte Um-
gebung sich nicht mehr mit tausend Erinnerungen zwischen sie und
das neue Leben stellte. Sie preßte die Hand gegen die Brust, da
knisterte ein Brief; herauszunehmen brauchte sie ihn nicht, sie
wußte die Worte auswendig: „Wie stolz bin ich auf Dich, Thora,
daß Du den Mut zu dem entscheidenden Schritt gefunden hast;
stolz und glücklich, daß Du für mich so viel aufgeben willst, daß
Dich das bescheidene Los, das ich Dir nur bieten kann, nicht schreckt.
Ich wiederhole Dir aber nochmals, mein Kind: Hast Du Dir recht
überlegt, was Du verläßt und was Du dafür eintauschest?"
Sie hatte alles überlegt. O ja! Nicht einmal, nein, tausendmal!
Richard würde zufrieden mit ihr sein können, sie würde mit
frohem Mut alle Entbehrungen auf sich nehmen, würde sie doch
dafür die Kameradin Richards bei seiner Arbeit sein dürfen, nicht
mehr ein Lurusgegenstand wie jetzt, sondern ein Mensch, der
bewußt nut allen Sinnen das wahrhaft Schöne genoß.
Oft in der letzten Zeit hatte Frau Henderson sich an dem Klang
dieser Worte berauscht, ganz klar war es ihr freilich nicht, worin
die künftigen Schwierigkeiten und das Besondere des neuen
Lebens bestehen würden, aber schön würde es sein, müßte es
sein, wie wäre Richard sonst der Mensch geworden, der er war,
lebensfreudig, großzügig und alle Herzen bezwingend?
Der kleine gelbgrüne Zeisig hockte bekümmert auf der untersten
Stange des großen Messingkäfigs, er hackte, böse piepend, nach
Frau Hendersons Finger, als sie ihm ein Stückchen Zucker zwischen
die Stäbe schob. „Mätzchen!" lockte sie zärtlich, aber er saß teil-
nahmlos da und neigte das Köpfchen melancholisch zur Seite.
Seine Herrin betrachtete ihn nachdenklich, dann öffnete sie mit
schnellem Entschluß die Tür des Bauers und sah dem Tierchen
zu, wie es neugierig den Schnabel hervorstreckte, mit den Flügeln
schlug, noch unsicher, ob es sich wirklich der ungewohnten Freiheit
freuen dürfe, und sich dann rasch auf die Zweige der Linde, die
fast in das geöffnete Fenster hereinragten, schwang.
Frau Henderson hatte sich alle Ereignisse dieses Tages schon so
oft in Gedanken ausgemalt, jede Einzelheit erwogen und im vor-
aus bestimmt, daß sie nur zu handeln brauchte, ohne zu irgend-
welchen Überlegungen gezwungen zu sein. Wie oft hatte sie im
Geist nicht schon die Fahrt gemacht, selbstverständlich in der dritten
Klasse, denn mit dem Augenblick, wo sich die Tür des Hauses
Henderson hinter ihr schloß, hatte sie einen Strich unter die alten
Lebensbedingungen gemacht und sich vollkommen auf die neuen
eingestellt, hatte in die vorüberfliegende Landschaft hinausgeblickt
und mit einem unbeschreiblichen Gefühl der Erwartung und des
Glückes dem Rollen der Räder zugehört, das zu ihren Gedanken
eine frohe Zukunftsmusik gab.
Doch dieses Frohgefühl wollte nun nicht so recht aufkommen,
sie fühlte sich ungemütlich in dem überfüllten Abteil, das stunden-
lange Sitzen auf der harten Bank ermüdete sie, und trotzdem sie
sich kindisch schalt, so abhängig von Äußerlichkeiten zu sein, war
sie doch wie erlöst, als sie die ersten hohen Stadthäuser sah und
der Zug lärmend in die Bahuhofhalle einfuhr.
Wenn sie sonst in der Stadt gewesen, war es immer in des
Konsuls Begleitung, der für alles sorgte und ihr jede Mühe ab-
nahm; hilflos stand sie deshalb in der Menschenmenge, wurde
gepufft und gedrängt und bereute, nicht Richard die Zeit ihrer
Ankunft geschrieben zu haben; aber sie hatte es sich viel hübscher-
gedacht, ihn zu überraschen: „So, da bin ich, und für immer,"
und sich an seiner Freude mitzufreuen. Auf der obersten Stufe
der Bahnhoftreppe blieb sie eine Weile stehen. Auf dem großen
freien Platz bot sich ihr ein Bild, dessen Anblick die Kleinstädterin
zugleich fesselte und schreckte. Himmel, da würde sie sicher nie im
Leben bis zur anderen Seite gelangen, die Autos und Wagen
folgten ja unmittelbar aufeinander, und dies schreckliche Getöse!
Das beste würde sein, sich gleich einen Wagen zu nc Haren und
in Richards Wohnung hinauszufahren. Wie war doch die Adresse?
Sie wußte sie, aber um in der Eile nicht etwa die Nummer zu
verwechseln, kramte sie aus ihrem Handtäschchen das Notizbuch
hervor; da stand sie.