Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Das Buch f ü r A l l e

Heft iZ

weißen Rasse. Damit geschah etwas, das in seinen Folgen heute noch
nicht zu übersehen ist! Wenn einst die Söhne oder Enkel der Briten und
Franzosen unter den Händen der Schwarzen verbluten, dann wird die
furchtbare Katastrophe die Folge jenes Verbrechens sein.
Eine eigenartige Überraschung ist es, daß man kürzlich in Paris einen
Neger, Rene Maran, der einen Roman geschrieben hat, mit dem Goncourt-
preis für Literatur auszeichnete. Dieser farbige Dichter, der obendrein ein
französischer Kolonialbeamter in Nquatorialafrika ist, hat offenbar vor der
Zivilisation der Weißen nur geringe Achtung. Die Art, wie er seinen
schwarzen Helden, Mokundji Batonala, sprechen läßt, wirkt merkwürdig
genug: „Die Weißen taugen nichts!" geisert er. „Die Weißen können
uns nicht leiden! Sie sagen, daß wir Lügner sind, aber durch unsere Lügen
wird keiner betrogen. Wenn wir die Wahrheit etwas schöner machen, tun
wir das nur, weil sie häßlich ist, weil Maniokmehl ohne Salz nicht schmeckt.
Aber die Weißen! Die Weißen lügen für nichts. Sie lügen, wie sie atmen,
sie lügen methodisch und mit Absicht, sie lügen, weil sie besser lügen
können als wir, und das ist ihre ganze Überlegenheit." Das ist zwar nur
ein Urteil aus der Froschperspektive, aber es ist doch ein Zeichen der Zeit
und als solches symvtomatisch zu werten.
Anfang August 1921 ist in Neuyork ein Negerkongreß eröffnet worden.
Den Vorsitz führte Garey, der sogenannte „Präsident von Afrika". Im
Namen von vierhundert Millionen Negern forderte er „Afrika für die
Afrikaner". Er erklärte, der nächste Krieg werde ein Rassenkrieg sein, und
die Weißen würden von den Japanern, Chinesen, Ägyptern und Afrikanern
vernichtet werden.
Man mag sich zu dieser Verkündigung stellen, wie man will, sie ernst
nehmen oder nicht, es ist nicht möglich, zn leugnen, daß der Geist, dem sie
entstamm:, auf den Schlachtfeldern seit 1914 entbunden worden ist. Wenn
von den Menschen farbiger Nassen, die seit 1914 in Europa von Weißen
gegen Weiße in den Kampf geführt wurden, auch nicht einer die Heimat
wieder erblickt Hütte, auch dann wäre es um das Ansehen der Weißen nicht
besser gestellt. Aus dem Gedächtnis der fremdrassigen Menschen wird diese
Erinnerung für Geschlechter nicht mehr zu tilgen sein. Europäische Kultur-
nationen haben sich nicht nur mit Schmach bedeckt, man erkennt in ihnen
nicht mehr willenlos die „Herren der Erde".
Es ist selbstverständlich, daß hier weder die Inder noch arabische Völker-
stämme mit den Negern als Rasse gleichgesetzt werden sollen. Sind ja doch
auch unter den „Schwarzen" noch große Wesensverschiedenheiten nicht zu
verkennen, ünd auch Indien ist im Sinne von Rasse keiu einheitlich be-
völkertes Land. Die Verschiedenheit der Sprachen, die ja mit Rasse nichts
zn tun haben, und die Schwierigkeiten der Verständigung der Eingebore-
nen Indiens untereinander sind kaum geringer als unter den Völkern der
verschiedenen Staaten Europas. Dazu kommt noch der Mangel an Schul-
bildung und bei der geringen Beweglichkeit der Landbevölkerung die
mangelnde Kenntnis mehrerer Landessprachen. Hemmend wirkt auf das
Gemeinsamkeitsgefühl das unüberbrückbare Kastenwesen der sozial streng
voneinander geschiedenen Stände. England hat durch die Verwendung indi-
scher Soldaten auf europäischen Schlachtfeldern einen schlechten Schachzug
getan. Der Paria ist hellsichtig geworden, ünd er verlangt nun, mit dem
Weißen an einem Tisch zu sitzen. In Indien gürt es unter einein Volke,
das Hunderte von Millionen zählt. Eingeborene, die vor Jahren noch vor
den Briten in den Straßenkot auswichen, weigern nun den Gruß. Die
Autorität und das Ansehen haben einen schweren Schlag erlitten. Zur
Behauptung seiner Macht wird England alles aufbieten, wie dies in den
Feldzügen der Jahre 1824 bis 1826, 1839 bis 1842, 1845 bis 1849 und
1857 bis 1858 in Indien geschehen ist. Mag es auch jetzt wieder Herr werden,
die Bewegung ist da, und ein fallender Kiesel kann zur Lawine werden.
Ende Dezember 1921 tagte in Bombay der indische Nationalkongreß und
der Kongreß des allindischen Kalifats. Die Forderung war: Erhebung der
Hindus und Mohammedaner zur Gewinnung völliger Selbständigkeit In-
diens. Auch die indische Geistlichkeit hat den völligen Bruch mit der englisch-
indischen Regierung beschlossen. Solche Gedanken hegten sonst nur die
radikalen Geheimbündler des fernen Ostens. Gelang es auch, die Aufstände
zu unterdrücken, die Idee wird leben. Als kürzlich der Prinz von Wales,
Englands Thronfolger, in Bombay festlich einzog, begannen dort Straßen-
kämpfe, die drei Tage währten. In Kalkutta fanden sich zum „festlichen"
Empfang des künftigen Kaisers von Indien von mehr als einer Million
Einwohnern der Stadt kaum fünftausend auf deu Straßen. Auch in Ägyp-
ten, der englischen Eingangspforte Asiens, Afrikas und Australiens, brachen
Ende Dezember 1921 schwere Unruhen aus. Mahmud-Pascha erklärte,
Ägypten müsse volle Unabhängigkeit fordern und erhalten.
Das alles mag Zukunftsmusik sein, aber die Töne klingen einstweilen
übel genug in britischen Ohren. Die Völker sind erwacht, und man hat sie
zu ihren Forderungen auf den Schlachtfeldern des frevelhaft angezettelten
Weltkriegs erzogen. Die Geister, die man gerufen hat, lernten den weißen
Mann in diesen furchtbaren Jahren von einer neuen Seite kennen. Man
holte sie nur als Kanonenfutter zum Kampf herbei, uud wider Erwarten
erwachte in diesen Menschen das Bewußtsein vom Wert der eigenen Nasse

und die Idee der Nationalität. Auf Gedanken pflegen die Briten und offen-
sichtlich auch die Franzosen wenig Wert zu legen, nur wahrnehmbare Hand-
lungen und Tatsachen haben bei ihnen Geltung. Aber aus Gedanken ent-
stehen in aber Welt Taten. In der Geschichte der Völker zählen Jahre wie
Stunden, und einst wird es sich entsetzlich rächen, fremdrassige Völker aller
Hautfarben schmachvoll gegen Angehörige der eigenen Rasse gehetzt zu haben.
England werden die unerwarteten Kriegsfolgen noch viel zu sch affen mach en.
Der goldene Käfig
Erzählung von Fanny Eck / Schluß
ufder Straße verflog die Mißstimmung. Frau Hendersonwollte
^Aan Richard telephonieren, ein Zusammentreffen verabreden;
dort an der Ecke war eine kleine Konditorei, die sicher Fernsprech-
anschluß haben würde. Schnell kreuzte sie den Fahrweg, und erst,
als sie schon vor der Tür stand, fiel ihr ein, daß sie weder Richards
Telephonnummer wußte noch die genaue Adresse der Redaktion.
Wie dumm, daß sie sich nicht gleich bei der Wirtin erkundigt hatte;
nun würde nichts anderes übrigbleiben, als noch einmal hinauf-
zusteigen. Aber beim Anblick der appetitlichen Törtchen und Kuchen,
die da im Schaufenster ausgestellt waren, spürte sie herzhaften
Appetit und trat ein, um eine Tasse Kaffee zu trinken und ein
paar Süßigkeiten zu essen. Als das Bestellte auf dem Marmor-
tischchen vor ihr stand und sie den anregenden Kaffeeduft an-
genehm empfand, änderte sie ihre Pläne wieder.
Der bisherige Verlauf des Tages hatte sie schon gelehrt, daß
man auf die richtige Abwicklung von Programmen nicht immer
rechnen kann. Warum sollte sie Richard während der Büro-
stunden stören? Zwar sehnte sie sich danach, ihn, dessen Bild ihr
bei weitem nicht mehr so deutlich vor Augen stand wie noch
gestern und heute früh, zu sehen, aber anderseits lockte es sie auch,
sich einmal allein ein wenig in der Großstadt umzuschauen. Sie
kannte so wenig; denn bei früherem Aufenthalt war sie meist,
während der Konsul Geschäfte erledigte, nur bei der Schneiderin,
der Modistin, im Kaufhaus gewesen, dann abends einmal im
Theater. Es wurde Zeit, die Lokalkenntnis ein wenig zu erwei-
tern, sie fühlte sich unternehmungslustig, und abenteuerfreudig
vertiefte sie sich in die Vergnügungsanzeigen der Zeitung.
Der Zoologische Garten war zur Nachmittagstunde der „Treff-
punkt der eleganten Welt", die bei den Klängen der Kapelle vor
dem Musikpavillon hin und her wandelte. Die Fontäne schickte
ihren Strahl hoch in die Luft und ließ ihn mit leisem Geplätscher
wieder in das breite Bassin fallen. Damen in weißen und pastell-
farbenen Toiletten, kostbare Pelze um die Schultern, malerische
Hüte auf den apart frisierten Köpfen — o, wer hätte wohl bei
Thora daheim die Kühnheit besessen, unter blau sommerlichem
Himmel und bei Hellem Sommerkleid einen dunklen Samthut
aufzusetzen?—,trugen die gewagtesten Modeneuheiten mit Selbst-
verständlichkeit. Herren, denen gegenüber Thora unsicher war, ob
sie sie für Diplomaten oder Filmschauspieler halten sollte, be-
gleiteten sie. Frau Henderson war völlig benommen vom Anblick
der Großstadttypen,' die da auf dem Konzertplatz flanierten, flir-
teten, beobachteten, kritisierten. Sie hatte an einem der Tischchen
auf der Terrasse des Restaurants Platz gefunden und fühlte sich
ein bißchen geniert, wie sie da ganz allein in dem Menschengewoge
saß, auch ein bißchen eingeschüchtert durch die Eleganz um sie
herum.
„Gnädigste verzeihen, der Platz ist noch frei?" Ein Herr, der
schon einigemal an Thoras Platz vorübergeschritten war, lüftete
den Hut und setzte sich, als sie bejahte.
Er vertiefte sich zwar in eine Zeitschrift, aber Thora bemerkte,
daß über den Rand des Blattes hinweg seine Blicke sie in immer
kürzeren Abständen streiften, und unter diesen Blicken, die ihr
gerade kein Mißfallen auszudrücken schienen, wuchs ihr Selbst-
vertrauen. Wenn sie sich auch an Schick und Eleganz nicht mit den
meisten Frauen messen konnte, die da vorüberspazierten und an
den benachbarten Tischen saßen—was hübsch und was häßlich war,
konnte sie schließlich auch unterscheiden. Nicht zu Unrecht war sie
immer die schöne Frau Henderson genannt worden, das wußte
sie, und ebenso genau wußte sie, daß das dunkle Tuchkleid für
 
Annotationen