Das Buch für Alle
Heft 2O
heil erledigt," schloß er nach einer Pause; „hoffentlich kommt Ähn-
liches nicht wieder vor."
„Nie, Herr Stammers." —
Als der Fabrikant allein war, dachte er über den Vorfall nach.
Das Erschrecken, das ihn beim Anblick der sungen Leute befallen
hatte, wich allmählich von ihm. Und nun nahm er zu seiner Ver-
wunderung wahr, daß er auch hier kein ehrliches Spiel getrieben
hatte. Er verwehrte zwei sungen Menschen ihr eigenstes Recht,
sich einander zu nähern. Dabei war das Mädchen aus gutem
Hause, wenn auch auf Erwerb angewiesen, und im Ruf ohne
leisesten Schatten. Beide waren sung, gesund, beide kämpften
tapfer im Leben — was sprach gegen ein stummes Dulden er-
wachender Gefühle? Ruhig geworden, legte er sich diese Frage
vor und fand bald die Antwort. Sie fiel wieder in einem Sinne
aus, der ihm nicht zur Ehre gereichte. Sein Sohn sollte höher hin-
aus; alle Erwägungen, daß er damit gegen sich selbst, der aus
bescheidenem Stande in höhere Lebensbahnen gehoben worden
war, entschied, konnten ihn nicht darüber Hinwegbringen. Für
diesen Sohn war das Beste und Köstlichste eben gut genug. Da-
mit trieb er seine väterlichen Gefühle auf die Spitze. Das war ein
Ergebnis innerer Unsicherheit. Aber die unter dem Spiegel der
Gleichgültigkeit wogenden Gefühle drängten in eine verkehrte
Richtung. Wann war es ihnen erlaubt, von teiner Schranke
behindert hervorzutreten?
Es war Ende November. Uber den Markt fegten kalte Regen-
schauer, und der Wind brauste gegen das freischwebende Schild
mit dem lebensgroßen Schwan. Ein Wetter, bei dem man sich in
der traulich erwärmten Gaststube zum „Silbernen Schwan"
doppelt wohl fühlte.
Da saßen die bekanntesten Männer der Stadt und tranken Grog.
Vorläufig zog sich das Gespräch noch schleppend hin. Neue Gäste
traten ein, unter ihnen der Oberbürgermeister. Dann wurde die
Tür aufgsstoßen, groß und schwer stand Schinkel da. Er warf
einen raschen Blick über das Gastzimmer uno rief: „Otto, wenn
Herr Stammers kommen sollte, sagen Sie mir Bescheid."
Vom Stammtisch begrüßten einige Herren den Gutsbesitzer
Schinkel, der sich zurückziehen wollte. Nachdem ihn der Ober-
bürgermeister liebenswürdig zum Bleiben aufgefordert hatte,
ließ er sich nieder.
„Sie erwarten Herrn Stammers?" fragte der Oberbürger-
meister.
Als Schinkel dies bestätigte, kam ein Gespräch über den Er-
warteten in Gang. Dem Stadtoberhaupt gefiel manches an
Stammers nicht, und er entwickelte seine Gründe. „Sehen Sie,
Herr Schinkel, wenn Sie in der Stadt wohnten, würden Sie dann
nicht auch einen Teil der Sorgen für das Gemeinwohl über-
nehmen?"
„Wer Sorgen hat, hat auch Likör — oder Grog," antwortete
Schinkel und warf einen bezeichnenden Blick über den großen Tisch.
„Ausruhen ist das Recht des Arbeitenden. Ich weiß, Sie neh-
men das Leben leicht, und das ist eine heitere Philosophie. Aber
bleiben wir bei der Sache. Ich bin überzeugt, daß Sie sich nicht
von den Pflichten eines gutgestellten Bürgers aus. Ziehen wür-
den. Sie würden vielleicht nicht bereit sein, in unser Kollegium
einzutreten..."
„Nie'."
„Aber davon bin ich überzeugt, Sie würden materielle Opfer
bringen, wenn es im Interesse der Stadt läge."
„Damit zielen Sie wohl auf Stammers, Herr Oberbürger-
meister. Bringt mein Freund denn keine materiellen Opfer? Ich
meine doch, der große Spielplatz ist mit dem Geld meines Freun-
des Konrad Stammers bezahlt worden."
„Reichtum verpflichtet," sagte der Oberbürgermeister. „DieFür-
sorge, die Herr Stammers unserer Jugend angedeihen ließ, wird
unvergessen bleiben. Aber haben Sie auch schon von dem neuen
Straßenprojekt gehört, Herr Schinkel?"
„Nein."
„Ja, dies Projekt macht uns viel Sorge. Sie kennen doch die
Magoalenenstraße?"
„Die muß verlängert werden; der nördliche Stadtteil ist vom
Zentrum wie abgeschnitten und kann nur auf Umwegen erreicht
werden. Die Entwicklung dieses Viertels würde gehemmt, wenn
hier nicht Wandel geschaffen wird. Zwischen dem Ende der Magda-
lenenstraße und dem nördlichen Teil unserer Stadt aber liegt nun
das. . ."
„Terrain, das Konrad Stammers gehört," ergänzte Schinkel.
,,Was verlangt Stammers dafür?"
„Eine unmögliche Summe, er sagt, ihm sei es eine halbe Million
wert. Unsere Finanzlage ist schlecht! Die Brunners sind reich.
Wenn der alte Herr noch lebte ..."
„Er ist nun mal tot, Herr Oberbürgermeister," sagte Schinkel
trocken.
„Leider. Ich hätte Herrn Stammers für großmütiger ge-
halten. Vielleicht machen Sie das Ihrem Freund mal llar, Herr
Schinkel."
„Da kommt ja der zukünftige Ehrenbürger dieser Weltstadt.
Guten Abend, Stammers."
Stammers begrüßte die Herren, und bald saß Stammers neben
dem Freunde. Nach einer Weile fragte Schinkel: „Hör' mal,
die Stadt verlangt ein Opfer von dir, und du willst es nicht
bringen."
„Hat der Herr Oberbürgermeister dir sein Leid geklagt, Schin-
kel?" erwiderte Stammers lächelnd.
„Wenn du es wissen willst — ja."
„Und wie denkst du darüber?"
„Ich verurteile deine Raffigkeit."
„So. Hast du das dem Herrn Oberbürgermeister auch gesagt?"
„Das geht dich nichts an."
„Hand aufs Herz, Herr Oberbürgermeister!"
„Nun, Herr Stammers, darüber möchte ich mich nicht auslassen.
Aber Sie hören doch, daß Herrn Schinkel Ihre Forderung zu
hoch ist."
„Wirklich? Ist das dein Ernst, Schinkel?"
„Ja. Eine halbe Million ist ein schweres Stück Geld."
„Eine halbe Million — unmöglich!" murmelte der Ober-
bürgermeister.
„Habe ich denn die Summe schon verlangt?" fragte Stammers.
„Wie — Sie wollten, Herr Stammers. . .?"
„Hier am Stammtisch will ich gar nichts, Herr Oberbürger-
meister, nur ein bißchen ausspannen."
„Die Frage beschäftigt mich unausgesetzt, Herr Stammers, in
der nächsten Kollegiensitzung werden wir uns damit befassen.
Es werden Stimmen laut, die eine Enteignung verlangen."
Stammers spielte den Überraschten. „Man weiß offenbar nichts
davon, daß mein Unternehmen hier die höchsten Steuern zahlt,
und daß unsere Nachbarstadt beide Arme ausbreiten würde, wenn
ich mit Sack und Pack zu ihr käme."
„Sie können doch Ihre Fabrik hier nicht aufgeben und dort
neu bauen lassen!"
„Man kann alles, was man will — oder wozu man gezwungen
wird."
Schinkel folgte dieser Auseinandersetzung mit unnennbarem
Vergnügen.
„Ein solcher Ortswechsel würde allerdings manche Schwierig-
keiten für mich haben," fuhr Stammers fort, „Zeit würde vergehen,
bis die Fabrik das neue Heim beziehen könnte. Aber das würde
mich nicht abhalten, diesen Entschluß zu fassen, wenn man hier-
versuchen sollte, mir meinen Grund und Boden zu enteignen."
„So weit würde ich es nie kommen lassen, und ein großer Teil
unserer Mitbürger auch nicht," begütigte der Oberbürgermeister.
„Sie wollen ja auch nur einen Schreckschuß abgeben, Herr Stam-
mers. Aber eine halbe Million . . .!"
„So viel ist mir das Grundstück wert, weil meine Fabrik zu
eng wird; verlangt habe ich den Preis noch nicht. Ich bin be-
reit, der Stadt entgegenzukommen; niemand soll mir nachsagen
können, daß ich mit unbebautem Grund und Boden Wucher-
getrieben hätte; aber ich tue das aus freien Stücken, nie unter
Zwang." ^Fortsetzung folgt)
Heft 2O
heil erledigt," schloß er nach einer Pause; „hoffentlich kommt Ähn-
liches nicht wieder vor."
„Nie, Herr Stammers." —
Als der Fabrikant allein war, dachte er über den Vorfall nach.
Das Erschrecken, das ihn beim Anblick der sungen Leute befallen
hatte, wich allmählich von ihm. Und nun nahm er zu seiner Ver-
wunderung wahr, daß er auch hier kein ehrliches Spiel getrieben
hatte. Er verwehrte zwei sungen Menschen ihr eigenstes Recht,
sich einander zu nähern. Dabei war das Mädchen aus gutem
Hause, wenn auch auf Erwerb angewiesen, und im Ruf ohne
leisesten Schatten. Beide waren sung, gesund, beide kämpften
tapfer im Leben — was sprach gegen ein stummes Dulden er-
wachender Gefühle? Ruhig geworden, legte er sich diese Frage
vor und fand bald die Antwort. Sie fiel wieder in einem Sinne
aus, der ihm nicht zur Ehre gereichte. Sein Sohn sollte höher hin-
aus; alle Erwägungen, daß er damit gegen sich selbst, der aus
bescheidenem Stande in höhere Lebensbahnen gehoben worden
war, entschied, konnten ihn nicht darüber Hinwegbringen. Für
diesen Sohn war das Beste und Köstlichste eben gut genug. Da-
mit trieb er seine väterlichen Gefühle auf die Spitze. Das war ein
Ergebnis innerer Unsicherheit. Aber die unter dem Spiegel der
Gleichgültigkeit wogenden Gefühle drängten in eine verkehrte
Richtung. Wann war es ihnen erlaubt, von teiner Schranke
behindert hervorzutreten?
Es war Ende November. Uber den Markt fegten kalte Regen-
schauer, und der Wind brauste gegen das freischwebende Schild
mit dem lebensgroßen Schwan. Ein Wetter, bei dem man sich in
der traulich erwärmten Gaststube zum „Silbernen Schwan"
doppelt wohl fühlte.
Da saßen die bekanntesten Männer der Stadt und tranken Grog.
Vorläufig zog sich das Gespräch noch schleppend hin. Neue Gäste
traten ein, unter ihnen der Oberbürgermeister. Dann wurde die
Tür aufgsstoßen, groß und schwer stand Schinkel da. Er warf
einen raschen Blick über das Gastzimmer uno rief: „Otto, wenn
Herr Stammers kommen sollte, sagen Sie mir Bescheid."
Vom Stammtisch begrüßten einige Herren den Gutsbesitzer
Schinkel, der sich zurückziehen wollte. Nachdem ihn der Ober-
bürgermeister liebenswürdig zum Bleiben aufgefordert hatte,
ließ er sich nieder.
„Sie erwarten Herrn Stammers?" fragte der Oberbürger-
meister.
Als Schinkel dies bestätigte, kam ein Gespräch über den Er-
warteten in Gang. Dem Stadtoberhaupt gefiel manches an
Stammers nicht, und er entwickelte seine Gründe. „Sehen Sie,
Herr Schinkel, wenn Sie in der Stadt wohnten, würden Sie dann
nicht auch einen Teil der Sorgen für das Gemeinwohl über-
nehmen?"
„Wer Sorgen hat, hat auch Likör — oder Grog," antwortete
Schinkel und warf einen bezeichnenden Blick über den großen Tisch.
„Ausruhen ist das Recht des Arbeitenden. Ich weiß, Sie neh-
men das Leben leicht, und das ist eine heitere Philosophie. Aber
bleiben wir bei der Sache. Ich bin überzeugt, daß Sie sich nicht
von den Pflichten eines gutgestellten Bürgers aus. Ziehen wür-
den. Sie würden vielleicht nicht bereit sein, in unser Kollegium
einzutreten..."
„Nie'."
„Aber davon bin ich überzeugt, Sie würden materielle Opfer
bringen, wenn es im Interesse der Stadt läge."
„Damit zielen Sie wohl auf Stammers, Herr Oberbürger-
meister. Bringt mein Freund denn keine materiellen Opfer? Ich
meine doch, der große Spielplatz ist mit dem Geld meines Freun-
des Konrad Stammers bezahlt worden."
„Reichtum verpflichtet," sagte der Oberbürgermeister. „DieFür-
sorge, die Herr Stammers unserer Jugend angedeihen ließ, wird
unvergessen bleiben. Aber haben Sie auch schon von dem neuen
Straßenprojekt gehört, Herr Schinkel?"
„Nein."
„Ja, dies Projekt macht uns viel Sorge. Sie kennen doch die
Magoalenenstraße?"
„Die muß verlängert werden; der nördliche Stadtteil ist vom
Zentrum wie abgeschnitten und kann nur auf Umwegen erreicht
werden. Die Entwicklung dieses Viertels würde gehemmt, wenn
hier nicht Wandel geschaffen wird. Zwischen dem Ende der Magda-
lenenstraße und dem nördlichen Teil unserer Stadt aber liegt nun
das. . ."
„Terrain, das Konrad Stammers gehört," ergänzte Schinkel.
,,Was verlangt Stammers dafür?"
„Eine unmögliche Summe, er sagt, ihm sei es eine halbe Million
wert. Unsere Finanzlage ist schlecht! Die Brunners sind reich.
Wenn der alte Herr noch lebte ..."
„Er ist nun mal tot, Herr Oberbürgermeister," sagte Schinkel
trocken.
„Leider. Ich hätte Herrn Stammers für großmütiger ge-
halten. Vielleicht machen Sie das Ihrem Freund mal llar, Herr
Schinkel."
„Da kommt ja der zukünftige Ehrenbürger dieser Weltstadt.
Guten Abend, Stammers."
Stammers begrüßte die Herren, und bald saß Stammers neben
dem Freunde. Nach einer Weile fragte Schinkel: „Hör' mal,
die Stadt verlangt ein Opfer von dir, und du willst es nicht
bringen."
„Hat der Herr Oberbürgermeister dir sein Leid geklagt, Schin-
kel?" erwiderte Stammers lächelnd.
„Wenn du es wissen willst — ja."
„Und wie denkst du darüber?"
„Ich verurteile deine Raffigkeit."
„So. Hast du das dem Herrn Oberbürgermeister auch gesagt?"
„Das geht dich nichts an."
„Hand aufs Herz, Herr Oberbürgermeister!"
„Nun, Herr Stammers, darüber möchte ich mich nicht auslassen.
Aber Sie hören doch, daß Herrn Schinkel Ihre Forderung zu
hoch ist."
„Wirklich? Ist das dein Ernst, Schinkel?"
„Ja. Eine halbe Million ist ein schweres Stück Geld."
„Eine halbe Million — unmöglich!" murmelte der Ober-
bürgermeister.
„Habe ich denn die Summe schon verlangt?" fragte Stammers.
„Wie — Sie wollten, Herr Stammers. . .?"
„Hier am Stammtisch will ich gar nichts, Herr Oberbürger-
meister, nur ein bißchen ausspannen."
„Die Frage beschäftigt mich unausgesetzt, Herr Stammers, in
der nächsten Kollegiensitzung werden wir uns damit befassen.
Es werden Stimmen laut, die eine Enteignung verlangen."
Stammers spielte den Überraschten. „Man weiß offenbar nichts
davon, daß mein Unternehmen hier die höchsten Steuern zahlt,
und daß unsere Nachbarstadt beide Arme ausbreiten würde, wenn
ich mit Sack und Pack zu ihr käme."
„Sie können doch Ihre Fabrik hier nicht aufgeben und dort
neu bauen lassen!"
„Man kann alles, was man will — oder wozu man gezwungen
wird."
Schinkel folgte dieser Auseinandersetzung mit unnennbarem
Vergnügen.
„Ein solcher Ortswechsel würde allerdings manche Schwierig-
keiten für mich haben," fuhr Stammers fort, „Zeit würde vergehen,
bis die Fabrik das neue Heim beziehen könnte. Aber das würde
mich nicht abhalten, diesen Entschluß zu fassen, wenn man hier-
versuchen sollte, mir meinen Grund und Boden zu enteignen."
„So weit würde ich es nie kommen lassen, und ein großer Teil
unserer Mitbürger auch nicht," begütigte der Oberbürgermeister.
„Sie wollen ja auch nur einen Schreckschuß abgeben, Herr Stam-
mers. Aber eine halbe Million . . .!"
„So viel ist mir das Grundstück wert, weil meine Fabrik zu
eng wird; verlangt habe ich den Preis noch nicht. Ich bin be-
reit, der Stadt entgegenzukommen; niemand soll mir nachsagen
können, daß ich mit unbebautem Grund und Boden Wucher-
getrieben hätte; aber ich tue das aus freien Stücken, nie unter
Zwang." ^Fortsetzung folgt)