Heft 26
Das Buchs ü r Alle
überhaupt
wurde, nie¬
der! seichten
nicht bilden
Ein Beispiel, wie
durch mangelhafte
astronomische In-
strumente, optische
Täuschungen und
voreingenommene
Ideen Beobachter
bei der Mondfor-
schung irregeleitet
wurden. Die erste
Abbildung zeigt
Die Polarlappen des
Mars vor und nach der
Schneeschmelze.DieAb-
bildungen sind so,Wieste
im astronomischen Fern-
rohr erscheinen, wieder-
gegeben. Es ist also Sü-
den oben, Osten links.
von Personen wurde nun
veranlaßt, nach diesen Mo-
dellen aus verschiedenen
Entfernungen Zeichnungen
anzufertigen. Voraussetzung
bei diesen Versuchen war,
daß keiner der Teilnehmer
wußte, es handle sich um
typische Fleckengebilde ans
dem Mars. Die Ergebnisse
waren überraschend. Auf
fast allen Zeichnungen fan-
den sich die gleichen „Ka-
näle", die auf dem Modell
gar nicht vorhanden waren !
Es liegt eben in der Art
des menschlichen Geistes, in
zweifelhaften Fällen zu er-
gänzen, wo auch nur der
leiseste Anhalt dazu geboten
erscheint.Um völlig sicher zn
gehen, wurden von Maun-
der die gleichen Versuche
auch mit Schulkindern unter-
nommen, die samt ihren
Lehrern nicht ahnten, nach
welchen Modellen sie zeich-
nen sollten. Auch in diesen
Fällen wiederholte sich auf
behauptet
auf andern Weltkörpern
Ucberbrückte „Wüstenspalte" auf Hawai, durch vulkanische Vorgänge entstanden.
Diese Klüfte, wenn sie auch kleiner als die Spalten auf dem Mars sind, wurden
vielfach zum Vergleich mit diesen herangezogen; ebenso gewisse Strecken in der
Tschcrtschen Wüste.
füllige Breite erklären zu können;
derartige Dämme brauchten nicht
mehr als einen halben bis einen
Meter hoch Zu sein. Die Gefahr
der Zerstörung solcher Dammbau-
ten durch Flut- oder Sturmwellen
der Meere sei gering, da es in der
niedrigen Atmosphäre des Pla-
neten wahrscheinlich keine wellen-
erzeugenden Winde gäbe und mäch-
tige Wellen sich in
Meeren
könnten.
Wenn
mals sei
denMarskanälenAhnliches entdeckt
worden, so beruht das auf Irr-
tum. Im siebzehnten und dem
folgenden Jahrhundert wollte man auf dem Mond Meere,
Ströme, Flüsse und Kanäle entdeckt haben. Franz Paula
von Eruithuisen, der Direktor der Münchener Sternwarte,
glaubte im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts die un-
widerleglichen Beweise gefunden zu haben. Auch er fand,
was er suchte: Kanäle, Flüsse, Landstraßen und sogar Bau-
werke von riesigen Ausmaßen, bis zu fünf Kilometern.
Wie stark bei gewissen Vergrößerungen und unter beson-
deren Beleuchtungen des Mondes dort gesehene Partien den
Marsfestländern, -meeren und -kanälen gleichen, läßt eine
unserer Abbildungen des Mondvulkans Eratosthenes erken-
nen. Um diesen Eindruck zu gewinnen, benützte ein ita-
lienischer Astronom ein so schwach vergrößerndes Instrument,
daß der Mond dadurch nur so weit genähert erschien wie
der Mars in den besten Beobachtungsmitteln. Der Anblick,
der sich nun bot, war überraschend, die Maar-Ebenen glichen
den „Meeren" auf dem Mars, hellere, gebirgige Gegenden
sah man als Marsfestländer an, und Reihen von schattenwer-
fenden Kratern vereinigten sich scheinba r Zu Linien-
systemen.
Die Mondkanäle haben sich indes längst als Täuschungen
der Beobachter erwiesen, und man darf sicher erwarten, daß
den phantasievollen Marskarten das gleiche Schicksal be-
schieden sein wird wie denen des Mondes aus älterer Zeit.
Sie gehören beide in das Bereich der Geschichte menschlicher
Irrtümer. Unter den bedeutenden heutigen Astronomen tritt
die Mehrzahl dafür ein, daß die vermeintlichen Marskanäle
auf optischen Täuschungen beruhen. So habeu Evans, New-
comb und Maunder Marsmodelle mit ihren unregelmäßigen,
unklaren und unzusammenhängenden dunklen und helleren
Gebilden und Flecken hergestellt, soweit diese unzweifelhaft
vorhanden waren. Eine Reihe
einen Ausschnitt von der 1748 durch Tobias Meyer berqestellten Mond-
karte. Daneben befindet sich die gleiche Stelle auf dem Mond, Nure
Lerenitutis, nach einer Photographie von Prof. W. H. Pickering Dem
älteren Beobachter boten ein paar Punkte den Anlaß zu einer phantasie-
vollen Ergänzung.
Hunderten bis zu vielen Tausen¬
den von Kilometern, dabei schwan¬
ken die Breitenmaße zwischen drei¬
ßig und dreihundert Kilometern.
Vor fünfundvierig Jahren, als im
September der Mars der Sonne
zur Beobachtung günstig gegen¬
überstand, entdeckte Schiaparelli
diese wunderbaren Kanäle, ein Netz
von geradezu phantastischer Aus¬
dehnung. Beachtenswert ist, daß
sie falt überall gleich breit und
scharfrandig erscheinen ;nach Schia¬
parelli sehen sie aus, als seien sie
„mit dem Lineal gezogen". Sie
führen immer aus einem „Meer"
nach dem Festland; häufig kreu¬
zen sich mehrere Kanäle in einem
Punkt, der rundlich und dunkel erscheint, und der „offenbar
als kleiner See anzusehen ist". Die Breite wechselt in ver-
schiedenen Jahren; zu gewissen Zeiten sind sie nur schwer
und vereinzelt sichtbar, zu anderen Zeiten treten sie zahlreich
und deutlich hervor. Manchmal zeigten sie sich verdoppelt;
neben dem früher einfachen Kanal entdeckte man einen
zweiten, der dem ersten genau parallel lief. In einigen
Fällen wurde der Abstand dieser Doppelkanäle auf mehrere
hundert Kilometer berechnet; es kamen aber auch geringere
Entfernungen von unter fünfzig Kilometern vor. Über-
raschend war es, daß die Verdoppelung so gewaltiger Kanäle
oft in wenigen Tagen erfolgte, und man vermutete, daß Mil-
lionen intelligenter Wesen tätig sein müßten, solche Wunder
der Technik so rasch herzustellen. Da wir mit Maschinen
arbeiten, dürfte es auch auf dem Mars nicht an ähnlichen
Hilfsmitteln fehlen, ja, man glaubte sogar, die Technik sei dort
viel höher entwickelt als bei uns, und verstieg sich zu den
Worten: „Weder auf der Erde noch auf dem Mond oder
überhaupt auf irgend einem andern Planeten ist etwas den
Marskanälen Vergleichbares je gefunden worden." Anfangs
1920 gingen von Amerika aus wunderliche Nachrichten durch
die Zeitungen: man wollte auf den Funkenstationen für
drahtlose Telegraphie geheimnisvolle Signale aufgenommen
haben, die vermutlich vom Mars gekommen waren, dessen
Bewohner Verständigung mit den irdischen Genossen suchten.
Es blieb jedoch ein Märchen. Marconi und Graf Arco wollten
nichts davon wissen. Nun rückt der Mars der Erde wieder-
näher; vom 10. bis 19. Juni 1922 verringerte sich die Ent-
fernung bis auf etwa achtundsechzig Millionen Kilometer und
Mitte August 1924 wird er uns mit einem Abstand von etwa
dreiundfünfzig Millionen Kilometer näher stehen, als dies
während des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts möglich sein
kann. Die Marsprobleme
sind deshalb wieder einmal
in hohem Grade aktuell ge-
worden. Die günstigstenBe-
obachtungsgebiete bieten
sich in Südamerika, und so
werden von dort die inter¬
essantesten Nachrichten er-
wartet. Seit Schiaparellis
Entdeckung der Kanäle aus
unserem Nachbarplaneten,
die vom Schmelzwasser der
Polgebiete gefüllt werden
sollien, blieb die Behaup¬
tung, daß dies künstliche
Werke seien, durchaus nicht
unwidersprochen. Bei ihrer
kolossalen Ausdehnung nach
Länge und Breite suchte
man ych mit der geringen
Tiefe zu helfen, ja es wurde
behauptet, es handle sich
nur um Dammbauten, wie
sie aus Holland bekanntsind.
Damit glaubte man die
Schwierigkeiten der Aus¬
führung so gewaltigerWerke
und insbesondere die auf-
Das Buchs ü r Alle
überhaupt
wurde, nie¬
der! seichten
nicht bilden
Ein Beispiel, wie
durch mangelhafte
astronomische In-
strumente, optische
Täuschungen und
voreingenommene
Ideen Beobachter
bei der Mondfor-
schung irregeleitet
wurden. Die erste
Abbildung zeigt
Die Polarlappen des
Mars vor und nach der
Schneeschmelze.DieAb-
bildungen sind so,Wieste
im astronomischen Fern-
rohr erscheinen, wieder-
gegeben. Es ist also Sü-
den oben, Osten links.
von Personen wurde nun
veranlaßt, nach diesen Mo-
dellen aus verschiedenen
Entfernungen Zeichnungen
anzufertigen. Voraussetzung
bei diesen Versuchen war,
daß keiner der Teilnehmer
wußte, es handle sich um
typische Fleckengebilde ans
dem Mars. Die Ergebnisse
waren überraschend. Auf
fast allen Zeichnungen fan-
den sich die gleichen „Ka-
näle", die auf dem Modell
gar nicht vorhanden waren !
Es liegt eben in der Art
des menschlichen Geistes, in
zweifelhaften Fällen zu er-
gänzen, wo auch nur der
leiseste Anhalt dazu geboten
erscheint.Um völlig sicher zn
gehen, wurden von Maun-
der die gleichen Versuche
auch mit Schulkindern unter-
nommen, die samt ihren
Lehrern nicht ahnten, nach
welchen Modellen sie zeich-
nen sollten. Auch in diesen
Fällen wiederholte sich auf
behauptet
auf andern Weltkörpern
Ucberbrückte „Wüstenspalte" auf Hawai, durch vulkanische Vorgänge entstanden.
Diese Klüfte, wenn sie auch kleiner als die Spalten auf dem Mars sind, wurden
vielfach zum Vergleich mit diesen herangezogen; ebenso gewisse Strecken in der
Tschcrtschen Wüste.
füllige Breite erklären zu können;
derartige Dämme brauchten nicht
mehr als einen halben bis einen
Meter hoch Zu sein. Die Gefahr
der Zerstörung solcher Dammbau-
ten durch Flut- oder Sturmwellen
der Meere sei gering, da es in der
niedrigen Atmosphäre des Pla-
neten wahrscheinlich keine wellen-
erzeugenden Winde gäbe und mäch-
tige Wellen sich in
Meeren
könnten.
Wenn
mals sei
denMarskanälenAhnliches entdeckt
worden, so beruht das auf Irr-
tum. Im siebzehnten und dem
folgenden Jahrhundert wollte man auf dem Mond Meere,
Ströme, Flüsse und Kanäle entdeckt haben. Franz Paula
von Eruithuisen, der Direktor der Münchener Sternwarte,
glaubte im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts die un-
widerleglichen Beweise gefunden zu haben. Auch er fand,
was er suchte: Kanäle, Flüsse, Landstraßen und sogar Bau-
werke von riesigen Ausmaßen, bis zu fünf Kilometern.
Wie stark bei gewissen Vergrößerungen und unter beson-
deren Beleuchtungen des Mondes dort gesehene Partien den
Marsfestländern, -meeren und -kanälen gleichen, läßt eine
unserer Abbildungen des Mondvulkans Eratosthenes erken-
nen. Um diesen Eindruck zu gewinnen, benützte ein ita-
lienischer Astronom ein so schwach vergrößerndes Instrument,
daß der Mond dadurch nur so weit genähert erschien wie
der Mars in den besten Beobachtungsmitteln. Der Anblick,
der sich nun bot, war überraschend, die Maar-Ebenen glichen
den „Meeren" auf dem Mars, hellere, gebirgige Gegenden
sah man als Marsfestländer an, und Reihen von schattenwer-
fenden Kratern vereinigten sich scheinba r Zu Linien-
systemen.
Die Mondkanäle haben sich indes längst als Täuschungen
der Beobachter erwiesen, und man darf sicher erwarten, daß
den phantasievollen Marskarten das gleiche Schicksal be-
schieden sein wird wie denen des Mondes aus älterer Zeit.
Sie gehören beide in das Bereich der Geschichte menschlicher
Irrtümer. Unter den bedeutenden heutigen Astronomen tritt
die Mehrzahl dafür ein, daß die vermeintlichen Marskanäle
auf optischen Täuschungen beruhen. So habeu Evans, New-
comb und Maunder Marsmodelle mit ihren unregelmäßigen,
unklaren und unzusammenhängenden dunklen und helleren
Gebilden und Flecken hergestellt, soweit diese unzweifelhaft
vorhanden waren. Eine Reihe
einen Ausschnitt von der 1748 durch Tobias Meyer berqestellten Mond-
karte. Daneben befindet sich die gleiche Stelle auf dem Mond, Nure
Lerenitutis, nach einer Photographie von Prof. W. H. Pickering Dem
älteren Beobachter boten ein paar Punkte den Anlaß zu einer phantasie-
vollen Ergänzung.
Hunderten bis zu vielen Tausen¬
den von Kilometern, dabei schwan¬
ken die Breitenmaße zwischen drei¬
ßig und dreihundert Kilometern.
Vor fünfundvierig Jahren, als im
September der Mars der Sonne
zur Beobachtung günstig gegen¬
überstand, entdeckte Schiaparelli
diese wunderbaren Kanäle, ein Netz
von geradezu phantastischer Aus¬
dehnung. Beachtenswert ist, daß
sie falt überall gleich breit und
scharfrandig erscheinen ;nach Schia¬
parelli sehen sie aus, als seien sie
„mit dem Lineal gezogen". Sie
führen immer aus einem „Meer"
nach dem Festland; häufig kreu¬
zen sich mehrere Kanäle in einem
Punkt, der rundlich und dunkel erscheint, und der „offenbar
als kleiner See anzusehen ist". Die Breite wechselt in ver-
schiedenen Jahren; zu gewissen Zeiten sind sie nur schwer
und vereinzelt sichtbar, zu anderen Zeiten treten sie zahlreich
und deutlich hervor. Manchmal zeigten sie sich verdoppelt;
neben dem früher einfachen Kanal entdeckte man einen
zweiten, der dem ersten genau parallel lief. In einigen
Fällen wurde der Abstand dieser Doppelkanäle auf mehrere
hundert Kilometer berechnet; es kamen aber auch geringere
Entfernungen von unter fünfzig Kilometern vor. Über-
raschend war es, daß die Verdoppelung so gewaltiger Kanäle
oft in wenigen Tagen erfolgte, und man vermutete, daß Mil-
lionen intelligenter Wesen tätig sein müßten, solche Wunder
der Technik so rasch herzustellen. Da wir mit Maschinen
arbeiten, dürfte es auch auf dem Mars nicht an ähnlichen
Hilfsmitteln fehlen, ja, man glaubte sogar, die Technik sei dort
viel höher entwickelt als bei uns, und verstieg sich zu den
Worten: „Weder auf der Erde noch auf dem Mond oder
überhaupt auf irgend einem andern Planeten ist etwas den
Marskanälen Vergleichbares je gefunden worden." Anfangs
1920 gingen von Amerika aus wunderliche Nachrichten durch
die Zeitungen: man wollte auf den Funkenstationen für
drahtlose Telegraphie geheimnisvolle Signale aufgenommen
haben, die vermutlich vom Mars gekommen waren, dessen
Bewohner Verständigung mit den irdischen Genossen suchten.
Es blieb jedoch ein Märchen. Marconi und Graf Arco wollten
nichts davon wissen. Nun rückt der Mars der Erde wieder-
näher; vom 10. bis 19. Juni 1922 verringerte sich die Ent-
fernung bis auf etwa achtundsechzig Millionen Kilometer und
Mitte August 1924 wird er uns mit einem Abstand von etwa
dreiundfünfzig Millionen Kilometer näher stehen, als dies
während des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts möglich sein
kann. Die Marsprobleme
sind deshalb wieder einmal
in hohem Grade aktuell ge-
worden. Die günstigstenBe-
obachtungsgebiete bieten
sich in Südamerika, und so
werden von dort die inter¬
essantesten Nachrichten er-
wartet. Seit Schiaparellis
Entdeckung der Kanäle aus
unserem Nachbarplaneten,
die vom Schmelzwasser der
Polgebiete gefüllt werden
sollien, blieb die Behaup¬
tung, daß dies künstliche
Werke seien, durchaus nicht
unwidersprochen. Bei ihrer
kolossalen Ausdehnung nach
Länge und Breite suchte
man ych mit der geringen
Tiefe zu helfen, ja es wurde
behauptet, es handle sich
nur um Dammbauten, wie
sie aus Holland bekanntsind.
Damit glaubte man die
Schwierigkeiten der Aus¬
führung so gewaltigerWerke
und insbesondere die auf-