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Heft 28

Das Buch für Alle

Als er einmal mit Frau Stammers allein war — alle übrigen
hatten sich auf den Hof begeben, wo ein junger Knecht Tauben
fütterte —sagte Schinkel mit einem Blick durchs Fenster: „Ist
mein junger Hausgenosse nicht ein prächtiger Mensch, Frau
Stammers?"
Sie nickte ernst,- sie konnte die Frage nicht verneinend beant-
worten, selbst wenn Grund dazu vorgelegen hätte.
Schinkel sprach weiter: „Er ist mir so ans Herz gewachsen, daß
ich . . . nun, Ihnen kann ich es ja sagen, Frau Stammers." Er
zögerte einen Augenblick. „Das Verhalten Konrads hat mich
lange beschäftigt. Und das Mitgefühl mit dem jungen Manne
hat mich ... na, kurz und gut: was Konrad nicht tun kann, will
ich wagen. Ich will ihn adoptieren, sobald ich das gesetzlich vor-
geschriebene Alter erreicht habe. Aber man darf ihn schon jetzt
als ,gute Partie' einschätzen, das darf ich wohl versichern."

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mal was Weibliches ins Haus bekomme. Wie denken Sie — sehen
Sie, bitte, Frau Stammers," er zeigte auf die Gruppe auf dem
Hof, „neben Lübbert steht Fräulein Lisa, der er das Taubenfutter
reicht. Finden Sie nicht, daß er sie eben recht merkwürdig an-
guckt? . . . Das wäre so ein Vogel, den ich für mein Haus ein-
fangen möchte."
Frau Stammers sah ihn betroffen an. Das gab ja eine Ent-
hüllung nach der anderen. Lisa . . .? Ein Widerstand regte sich in
ihr; der alte Hochmut erhob sich für einenAugenblick.Eine Brunner
und . . .? Aber der junge Mann war ja ein Stammers, der in
einigen Jahren Schinkel hieß und später über Reichtümer ver-
fügte. Wie mußte diese Wendung Stammers berühren! Mußte
ein Abglanz seines Vaterglücks nicht auch in das eigene Haus, in
die eigene Ehe fallen und so ein ersehntes Ziel schneller verwirk-
lichen? In ihrer Hand lag es, die Fäden zwischen sich und ihrem

Überraschung beim Bad. Nach einem Gemälde von Fr. Mock.


Frau Stammers blickte den vergnügt Lächelnden überrascht, fast
betroffen an. „Ist das wahr, Herr Schinkel?"
Er lachte befriedigt. „Warum soll ich denn nicht auch einen Sohn
haben, der mich mal beerbt? Es wird ja kein Mensch dadurch ge-
schädigt. Und dann ist auch etwas Dank dabei." Er trat lebhaft auf
Frau Stammers zu. ,Menn ich jetzt Freude an meinem Geld und
Gut, an meinem Haus und allem habe, so ist mein künftiger
Adoptivsohn die Ursache! Er hält mich, ohne daß er es will. Vor-
schriften würde ich mir sicher nicht gefallen lassen," schloß er ent-
schieden.
Frau Stammers kam langsam zu sich.
„Herr Schinkel — das ist großherzig. Weiß Konrad davon?"
Er sah sie triumphierend an.
„Nein, er weiß es noch nicht. Ich wollte es ihm heute sagen,
aber nun Sie nur auch die Ehre geschenkt haben, und ich hoffen
darf, auch einmal von Ihnen empfangen zu werden — Frau
Stammers, ich bitte, oder, wenn ich wagen darf: ich wünsche, daß
Sie es Konrad mitteilen."
Sie war rot geworden vor Freude. Wre ritterlich und fein dieser
ungeschlachte Mann sein konnte.
„Sehen Sie, Frau Stammers," redete Schinkel rasch weiter,
„es kommt auch noch ein anderes hinzu. Von seinem Vater soll
und will Lübbert nichts annehmen; aber er >oll sich dennoch un-
abhängig fühlen, wenn er auf die Freite geht, damit ich endlich

Mann enger zu ziehen. Sie wollte es tun, heute noch. — Sie
sprach mit ihrem Mann, als die mit lauter Freude angetretene
Heimfahrt ihr Ende gefunden hatte. Beim Anfahren des Wagens
stand Edgar Stammers auf der Terrasse; er wußte, wo seine
Angehörigen gewesen waren. Der muntere Ton, der unter
ihnen herrschte, und von dem sogar die ernste Schwester angesteckt
zu sein schien, überraschte ihn.
Stammers begrüßte seinen Sohn voll Wärme. Noch stand Edgar
abseits. Aber vielleicht kam mit den Jahren auch die Einsicht bei
ihm; man durfte da nicht vorgreifen — das war Gefühlssache.
Das Ehepaar folgte langsam der vorausgeeilten Jugend. Bevor
sie ins Haus schritten, sagte Frau Stammers: „Ich habe dir etwas
mitzuteilen, Konrad."
Sie erzählte. Nicht ganz zusammenhängend, aber doch ver-
ständlich genug. Stammers glaubte zu träumen. Das Glück
schüttete fast zu viel seiner Gaben auf ihn herab.
„Schinkel hat dich gebeten, mir das zu sagen?" fragte er endlich.
„Ja, Konrad."
Er ergriff ihre Hand und drückte sie.
„Dann weiß ich auch warum," sagte er, „ich ahne es wenig-
stens, Klara." Er sah sie lange wortlos an. Und dann öffnete er
die Tür und ließ seine Frau vorangehen. Er spürte noch eine
weiche Welle des Märzwindes, die über die Terrasse flutete; sie
erwärmte den Mann bis ins Innerste. Es wurde Frühling.
 
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