Eine Strafvollstreckung auf dem Marienplatz in München am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts.
Nach einer Zeichnung von K. Weigand.
Das fünfzehnte Jahrhundert kam den Frauen nicht fo zart entgegen wie die heutige Zeit. Es kannte die Hexenprozeduren und -Verbrennungen, denen viele Zehntaufende zum
Opfer fielen. Auch geringe Verfehlungen wurden in der derben Weise jener Zeit geahndet. So gab man Lästermäuler durch den Pranger auf offenem Markt dem allgemeinen
Gespött preis. Andere setzte man rücklings auf ein hölzernes Maultier und führte sie in Begleitung eines Trommlers, der ihre Missetat und ihren Namen verkündete, durch die
Stadt. Das heutige Recht ist ritterlicher, obwohl angeblich die Ritterlichkeit im Aussterben begriffen ist. Und weibliche Lästermäuler gibt es doch wohl überhaupt nicht mehr?
zwang sie ihr Schluchzen hinab. Dann schlang sie die Hände
ineinander, trat verlegen von einem Fuß auf den andern, stumm
nach Worten suchend.
„Vater," preßte das Mädchen dann hervor, „ich hab* eine
Bitte — eine große Bitte."
„Was denn, Kind?"
„Ich — ich möcht* aus dem Haus."
„Aus dem Haus? — Wie denn? Warum denn?"
Melber war ganz verwirrt. Wer hatte dem Kind solche Ge-
danken in den Kopf gesetzt?
Der Damm der Scheu in Annies Seele aber war durch-
brochen. Hastig sprudelten die Worte jetzt über ihre Lippen.
„Du brauchst mich nicht, wenn die Ros deinem Geschäft vor-
steht, deinen Haushalt führt. Sie ist so geschickt, so umsichtig, so
fleißig, — du brauchst mich nicht. Ich kann gut abkommen. Und
da möcht* ich mich nach einer Stellung umtun. Ich bitte dich:
erlaub* es mir! Um unser aller willen — erlaub* es mir!"
„Aber, Kind, dein Vaterhaus hat doch wahrlich Raum für
dich. Und die Ros ist eine verständige Frau. Wenn du sie nur
ein bißchen liebhaben kannst-"
„Das — kann ich nicht, Vater."
„Was?"
„Ich kann sie nicht liebhaben, — hab*s nie gekonnt. Ich will
höflich und freundlich gegen sie sein, weil sie deine Frau ist. Ich
will ihr gewiß nichts in den Weg legen. Aber — laß mich aus
dem Haus gehen! Es tut nicht gut, wenn wir zwei zusammen-
bleiben, — es tut nicht gut."
Die mageren Hände des Mädchens hatten sich geballt, die Lider
hatten sich von den Augen gehoben, und ein Strahl so heißer
Leidenschaft blitzte dem Bäcker daraus entgegen, daß er erschrak.
Vor Minuten noch hatte er seinen Lebensweg glatt und eben vor
sich gesehen, — nun wälzte sich unerwartet dieser Stein ihm vor
die Füße.
„Kind, Kind!" murmelte er ratlos, „was schaffst du mir für
Sorgen! — Daß du das Herz hättest, mir solchen Kummer an-
zutun an diesem frohen Tage, — ich hätte es nicht von dir er-
wartet."
„Laß mich aus dem Haus gehen, Vater," wiederholte Annie.
„Du tust nicht gut, wenn du mich hältst."
„Ich muß mir*s überlegen," sagte Melber. „Dein Verlangen
kommt ja über mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Was nur
die Ros dazu sagen wird? — Ich hab* mir geträumt, daß nun ein
gesegnetes Leben zu dreien bei uns anheben würd*. Statt dessen
will mein einziges Kind sich von mir trennen!"
„Weil ich dich liebhab*, Vater, so lieb! — Und weil ich*s nicht
mit ansehen kann — — Ach, versteh doch!"
Er schob der Tochter Hand von sich zurück.
„Geh. Geh jetzt. Ich muß dein Ansinnen mit mir allein aus-
fechten. Geh."
Gehorsam wandte sich Annie, verschwand in der Backhaustür.
Melber stand schwerfällig auf. Uber seine Herzensfreude war ein
grauer Schleier gefallen. Sein Kind mißbilligte seine neue Heirat!
— Ach, was wußte solch ungares Gebäck von dem heißen Ver-
langen der Seele, der Sinne des Mannes? Nicht nur sein Ge-
schäft, — er selbst brauchte eine Frau, er brauchte die Ros. Es
ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. —