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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 61.1929

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Heft 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.52835#0031
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Ungeheuer des Meeres / Von Or.Kmt NoeM

/^r ist in der Tat ein un-
^^heimlicher Geselle, der im
Indischen Ozean und an den
Küsten Australiens lebende
Tigerhai, der uns in über-
wältigtem Zustande auf un-
serem Bilde entgegentritt. Der
wenigstens scheinbar plumpe
Körper mit dem mächtigen
Dickkopf, das entsetzlich breite
Geniestermaul mit dem gäh-
nenden Rachen, das geradezu
fürchterliche Gebist und der
tückische Katzenblick der starren
Augen geben diesen Riesen-
fischen wirklich etwas Graus-
liches. Kein Tier ist dem See-
fahrer verhaßter als der Hai,
kein Fisch hat in solchem Maste
seine Einbildungskraft ange-
regt, zu so vielen Märchen
und Legenden Veranlassung
gegeben wie diese fürchterliche
„Hyäne des Meeres". Wer da
freilich weist, wie abergläubisch
die Matrosen sind und wie
gern sie ein gut Stückchen Jä-
gerlatein mit einweben, wenn
sie „ein Garn spinnen", der
wird von all diesen Schauer-
geschichten von vornherein die
gute Hälfte in Abzug bringen.
Baden und fischen doch die
schwimmkundigenSüdseeinsu-
laner unbesorgt inmitten gan-
zer Rudel von Haifischen, ohne
daß man etwas über stattge-
habte Unglücksfälle hört. Aber
auch in den westafrikanischen
Gewässern, die als besonders
haigefährlich gelten, ist deren
Zahl lange nicht so groß, wie
man nach den übertriebenen
Berichten gewisser Reisender
annehmen möchte, und in den
europäischen Meeren vollends
braucht sich niemand die Bade-
lust durch die Furcht vor die-
sen verrufenen Tieren trüben
zu lassen, denn die bei uns
vorkommenden Haie sind nur
ein halbes bis ein Meter lang,
wie die Stern-, Katzen- und
Dornhaie, also zu klein, als
daß sie dem Menschen gefähr-
lich werden könnten, oder sie
sind zwar groß, aber ihrer gan-
zen Lebensweise nach völlig
harmlos, wie der Herings- und
der bis zwölf Meter messende
Riesenhai. Gerade dieser un-
geschlachte Koloß ist ebenso
wie die Bartwale hinsichtlich
seiner Ernährung ganz auf
das Kleingetier des Meeres
angewiesen und dazu in sei-
nen Kiemenspalten mit einem
Seihapparat ausgerüstet. Selt-
sam, daß gerade die Giganten
des Meeres ausschließlich von


Ein erbeuteter Tigerhai, der eine Länge von acht Meter erreicht.

dessen kleinsten Geschöpfen sich
ernähren, und man muß nur
immer wieder staunen über
die unendliche Fruchtbarkeit
der Salzflut, die aus winzigen
Nahrungsteilen solche gewal-
tige Tierleiber aufzubauen
und zu erhalten vermag.
Als „Menschenfresser" be-
sonders bekannt und gefürchtet
ist dagegen der häufige und
flinke Blauhai, der so gerne
den Schiffen folgt, um allerlei
genießbare Abfälle zu ergat-
tern, und als noch gefährlicher
gilt der größere Weißhai, des-
sen Zähne fünfzehn Zenti-
meter lang sind, also ein Kerl,
mit dem wahrlich nicht zu
spaßen ist. Eine große Art ist
auch der in den arktischen Mee-
ren heimische Polarhai, der
nicht nur Fische frißt, sondern
auch den Walen bei lebendi-
gem Leibe kopfgroße Stücke
Fleisch herausreißt. Haben
Walfänger B eute gemacht und
neben ihrem Schiffe festgelegt,
so bearbeiten die Haifische den
toten Wal von unten und die
Menschen von oben. Gleitet
dabei einmal ein Mann aus
und rutscht ins Wasser, so kann
er doch unbesorgt sein, denn
der Polarhai tut dem Men-
schen nichts zuleide.
Niemals hört man kräftigere
und saftigere Flüche von bär-
tigen Seemannslippen, als
wenn einerderverhaßtenHaie
gefangen und an Bord empor-
gezogen wird. Dann ergreift
alle eine maßlose Wut, und
jederbeeifert sich nachKräften,
dem zählebigen Ungetüm den
Garaus zu machen, hält sich
dabei aber in achtungsvoller
Entfernung von dem schnap-
pend en,zähnestarrend en Maul
und noch mehr von der mit
polternden Schlägen das Deck
peitschenden Schwanzflosse.
Das Fleisch der großen Arten
(das der kleineren wird hie und
da von der ärmeren Bevölke-
rung gegessen) gilt als unge-
nießbar, zumal es einen höchst
widerlichen Geruch an sich hat,
fast wie Katzenurin. Die über-
aus große Leber wird zur
Trangewinnung benutzt, und
aus einem einzigen Riesenhai
gewinnt man oft mehrere tau-
send Liter von diesem „flüssi-
gen Gold" des Meeres. Im
Gegensatz zur Leber sind Herz
und Hirn der Haie verblüffend
klein. Die körnelige Haut
liefert das sogenannte Cha-
grinleder.
 
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