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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 61.1929

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Heft 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.52835#0604
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^Rätselhafte Menschen, die zuweilen aus dem Dunkel auftauchen, haben
z/>/durch die Art ihrer Erscheinung nicht selten die Welt in Unruhe ver-
setzt, Wie etwa jener Kaspar Hauser, der bekanntlich am 26. Mai 1828 auf
dem Markt in Nürnberg erschien. Die Möglichkeit, daß Hauser ein Be-
trüger war, ist nicht von der Hand zu weisen. Seit dem Tode des letzten
Großherzogs von Baden mehren sich jedoch gewisse Anzeichen, daß es sich
bei Hauser um den im Jahre 1812 geborenen Sohn des Großherzogs Karl
Friedrich von Baden und seiner Gemahlin Stephanie Beauharnais han-
deln könne. In Baden ist diese Überzeugung ein Jahrhundert lang lebendig
geblieben. Die Bevölkerung glaubt, daß der Erbprinz auf Befehl der Gräfin
Hochberg ausgesetzt und später von dem Adjutanten des Großherzogs
Leopold ermordet worden ist.
Während das Schicksal Hausers im Laufe der Zeit eine geradezu unüber-
sehbare Flut von Veröffentlichungen hervorgerufen hat, ist eine nicht weniger
rätselhafte Persönlichkeit, die bereits vor Hauser die Gemüter lebhaft be-
schäftigt hatte, längst in Vergessenheit geraten. Es handelt sich dabei um
den sogenannten Baron Frank, der im Jahre 1788 unter aufsehenerregenden
Umständen seinen Einzug in die damals geruhige Stadt Offenbach am
Main hielt. Es war nämlich an einem freundlichen Tage im März des
genannten Jahres, als eine von vier herrlichen Isabellen gezogene Karosse,
von einem kostbar gekleideten Kutscher gelenkt, über das holprige Pflaster
von Offenbach rasselte. Eine reichuniformierte Leibgarde begleitete das
Gefährt. Grüne Vorhänge verhinderten jeden Blick ins Innere. Jedoch
betraf die Karosse auf dem Wege nach dem Palais des Fürsten von Jsen-
burg-Birstein ein Unfall. Eine Scheibe zerbrach, der Vorhang wurde zurück-
geschoben, und die neugierige Menge, die den Wagen alsbald umringte,
gewahrte einen hochgewachsenen Greis mit einem fahlen Antlitz, das Ehr-
furcht einflößte. Er trug einen mit Pelz verbrämten Rock aus roter Seide
und nach russischer Art eine runde Mütze von gleicher Farbe. Sogleich
schloß sich der Verhäng wieder, die
Leibgarde drängte das Volk zurück,
und weiter ging die Fahrt durch
die Allee nach dem Palais. Der
Baron hatte vorher in Wien ge-
wohnt und zuletzt in Brünn,- von
dorther kam er. Der Ruf eines
Wohltäters der Armen war ihm be-
reits vorausgegangen, und kaum
hatte er im Palais des Fürsten von
Jsenburg-Birstein Wohnung ge-
nommen, da begann für die Be-
drängten der Stadt Offenbach eine
goldene Zeit. An drei Tagen in der
Woche fanden die Armen sich in
Scharen vor dem Palais ein, um zu
einer bestimmten Stunde Einlaß zu
finden. Dann öffneten die Wachen
das Portal, und in einer großen
Halle verteilte der Sekretär des
Barons reiche Gaben und linderte
dadurch manche Not. Regelmäßig
trafen für Frank aus allen Teilen
Europas, insbesondere aber aus
Polen und den Ländern des Bal-
kans, ganze Fässer mit Gold in
Offenbach ein. Seltsame Legenden
rankten sich alsbald um den Spen-
der sowie um die unerschöpfliche
Quelle seines Reichtums.
Sehr zum Leidwesen der Bevöl-
kerung währte die Herrlichkeit jedoch
nicht lange. Im Jahre 1791 erlag
der rätselhafte Fremde, den die
Menge für unsterblich gehalten hatte,
einem Schlaganfall. Mit großem
Pomp wurde er zu Grabe getragen,
betrauert von seinem Gefolge und
von den vielen, denen er Gutes ge-
tan. Wider Erwarten befand sich in

den Gemächern, die er bewohnt hatte, nichts von Wert, und auch sonst wur-
den nirgends Schätze gefunden. Die geheimnisvollen Goldsendungen blieben
mit einem Schlage aus. Die Frage, wer jener Frank eigentlich war, harrt
bis auf den heutigen Tag der Erklärung. Wahrscheinlich war er ein reli-
giöser Schwärmer, dem es gelungen war, irgendwo in Podolien eine Sekte
zu begründen und als ihr Führer auf Kosten der. leichtgläubigen Menge
ein glänzendes Leben zu führen. Gewisse, aber durchaus nicht sichere Spuren
deuten darauf hin, daß sein richtiger Name Dobrusky war und daß er in
seiner Jugend eine Branntweinbrennerei betrieben hatte, wenn die Quellen
nicht lügen, irgendwo in Rußland.
Im Jahre 1836 tauchte in Sibirien ein Mönch auf, der vorgab, Feodor
Kusmitsch zu heißen, seinen wahren Namen und seine wirkliche Herkunft
aber verschwieg. Das Volk hielt ihn für den Zaren Alexander I. von
Rußland. Grund zu Gerüchten dieser Art gab die Tatsache, daß Kusmitsch
eine geradezu überraschende Ähnlichkeit mit dem angeblich am 19. No-
vember 1825 in Taganorg plötzlich gestorbenen Zaren Alexander I. hatte.
Zu damaliger Zeit schenkte man dem Gerücht, Kusmitsch sei der Zar,
nicht nur im Volke, sondern auch in der Gesellschaft Glauben.
Der Tod Alexanders I. war unter Umständen erfolgt, die solchen Ge-
rüchten reichliche Nahrung gaben. Alexander I. hatte nämlich in den letzten
Jahren seiner Regierung wiederholt mündlich und schriftlich geäußert, daß
er keinen sehnlicheren Wunsch habe, als die Regierung niederzulegen und
sich in die Einsamkeit zurückzuziehen. Ohne vorangegangene Krankheit war
er völlig unerwartet in dem weltabgelegenen Taganrog gestorben. In
einem Protokoll über seinen Tod heißt es, sein Aussehen sei eigenartig
verändert und sein Rücken, wie von Schlägen, blaurot unterlaufen ge-
wesen, ein Befund, der mit der sorgsamen Pflege, die der Körper des
Zaren genoß, nicht gut in Einklang zu bringen ist. So konnte das Gerücht
entstehen, daß die Leiche nicht die des Zaren gewesen sei. Hören wir
dazu folgenden Bericht.
Zu derselben Zeit, da AlexanderI.
sich in Taganrog aufhielt, befand sich
in der dortigen Garnison ein Unter-
offizier namens Strumenskij, der
wegen seiner großen Ähnlichkeit mit
dem Zaren im Scherz Alexander II.
genannt wurde. Dieser Strumenskij,
der sich ein Vergehen gegen die Diszi-
plin zuschulden kommen ließ, hatte
einen Fluchtversuch unternommen,
war aber seinen Verfolgern wieder
in die Hände gefallen, zu Spieß-
rutenlaufen verurteilt und dabei zu
Tode gepeitscht worden. Die Mög-
lichkeit, daß mit Hilfe bezahlter Arzte
die Leiche des Strumenskij für die
des Zaren ausgegeben wurde, ist
nach Lage der Dinge nicht von der
Hand zu weisen.
Der Mönch Feodor Kusmitsch, der
am 20. Januar 1864 auf einem Gute
bei Tomsk starb, hat sein Geheimnis
mit ins Grab genommen. Dieser
Mönch, der angab, von geringer Her-
kunft zu sein, zeichnete sich durch
gründliche Kenntnis fremder Spra-
chen aus. Leute, die dem Zaren
Alexander I. nahegestanden hatten,
erkannten ihn mit Sicherheit in Kus-
mitsch wieder. Obwohl Kusmitsch
ein frommer Mensch war, weigerte
er sich doch, die Beichte abzulegen.
Einmal ermahnt, diese Pflicht nicht
zu versäumen, erwiderte er: „Wenn
ich in der Beichte nicht die Wahrheit
über michZage, so wird sich der Him-
mel wundern. Sage ich aber, wer ich
bin, so wird sich die Welt wundern."
Ein seltsames Wort.


Oer Mönch / Nach einer künstlerischen Aufnahme von Franz Fiedler.
 
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