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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 61.1929

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Heft 24
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16 Das Buch f ü r 2l l l e Heft 24

Nacht-
Gespenster
Von
Or. Johannes Lergner


em Europäer, der zum erstenmal nach Java oder einer andern
Sundainsel kommt, wird bald ein großer Baum auffallen, der Hun-
derte von birnenförmigen schwarzen Früchten trägt. Beim Näherkommen
aber merkt er mit Erstaunen, wie es sich droben regt und leise piepst.
Fliegende Hunde sind es, riesige Fledermäuse mit dem Gesicht und den
klugen Augen eines Spitzes, die dort in Ungeheuern Scharen kopfunter an
den Asten hängen und, in die Flughaut eingehüllt, den Tag verschlafen.
Erst wenn die Sonne untergeht, erwachen sie und schweben nun in langem
Zug, eines hinter dem andern, oft weit entfernten Gärten zu. Die un-
ersättliche Gefräßigkeit zwingt nämlich die zahllosen Schwärme, sich über
weite Strecken zu verteilen, so daß selbst Meeresarme überflogen werden,
um Nachbarinseln Heimzusuchen. Auch sind es Feinschmecker, die nur süße,
reife Früchte, vor allem Feigen, Datteln, Trauben und Bananen, schätzen.
Selbst gärendem Palmwein sprechen sie derart zu, daß sie morgens be-
rauscht neben den leeren Gefäßen liegen. Sie richten also großen Schaden
an, zumal sie mehr verwüsten als verzehren und hauptsächlich den Saft
der Frucht genießen, die sie mit den Krallen des langen Daumens und des
kurzen Zeigefingers halten, lassen sich kaum vertreiben und fressen lärmend
die ganze Nacht hindurch. Erst in der Frühe wird der Nückzug zum Schlaf-

baum angetreten. Immer wieder fliegt der Schwarm dorthin, obwohl er
durch sein rücksichtsloses Verhalten den Stamm meist entblättert hat, so daß
er keinen Schutz mehr vor dem Sonnenbrand bietet. Doch erst nach stun-
denlangem Kämpfen um die hochgelegenen Plätze, die einen guten Ab-
flug sichern, verstummt das wütende Gekreisch und wilderregte Zischen.
An einem Fuße aufgehängt, die Flatterhaut so um den Leib geschlagen,
daß sie die Augen deckt und nur die Ohren freiläßt, verträumt die zänkische
Gesellschaft nun den lieben langen Tag. Kein Nachttier gab ja mehr Anlaß
zu schauerlichen Sagen als die Fledermaus, deren dunkle Schwingen Sinn-
bild verworfener Dämonen sind. Doch eben diese Flatterhaut ist ein Wun-
derwerk der Schöpfung, denn es gibt kaum etwas Kunstvolleres als das
von langen, stützenden Fingerstrahlen durchzogene Gebilde. Nur der scharf-
bekrallte Daumen ist frei, denn damit hält das eigenartige Geschöpf zu
kurzer Rast sich an den Zweigen fest oder klettert, von den gleichfalls
bekrallten Füßen unterstützt, am Stamm empor. Man kennt rund siebzig
Arten dieser Fruchtfresser, die in der Jugend freilich auch Insekten und
kleine Wirbeltiere, selbst Fische nicht verschmähen und erst später sich nur
von Pflanzen nähren. Südasien mit seiner reichen Inselwelt, dazu Austra-
lien und das heiße Afrika sind die Heimat dieser „Satansvögel", wie der



Araber solche Flattertiere nennt. Der Riese unter ihnen und damit das
größte aller fliegenden Säugetiere ist der Flughund oder Kalong, dessen Schwingen
fast anderthalb Meter klaftern, während der dunkelbraun behaarte Körper kaum ein
halbes Nieter mißt. Dieser Flughund hat den Beinamen „der eßbare", denn sein
zeitweise ganz in Fett gehülltes Fleisch wird von den Eingeborenen verzehrt. Gut
zubereitet soll es wie Kaninchen schmecken, der Europäer jedoch verschmäht es wegen
seines Moschusgeruches. Den Papua auf Neuguinea aber sind die jungen Tiere,
die sie lebend im Feuer schmoren, ein wahrer Leckerbissen. Sie fangen sie in trichter-
förmigen Fischreusen, die aus den Stachelranken einer Schlingpflanze gefertigt wer-
den. Mit diesen eigenartigen, an langen Bambusstäben festgebundenen Fallen
berühren sie der Reihe nach die schlafenden Flughunde, deren Flügel sich alsbald fest-
haken. Die Malaien dagegen schießen die fliegenden Tiere mit ihren langen Blasrohren
massenweise ab, denn wird die nervenreiche Flughaut getroffen oder gar eine der sie
stützenden Spangen verletzt, so verlieren sie das Gleichgewicht und stürzen ab. Die
am Baum hängenden Tiere aber klammern sich verwundet derart fest, daß sie mit
Blasrohren nicht herunterzuholen sind. Ein hübscher Zug ist ihr kameradschaftlicher
Sinn, denn wenn einer von ihnen gefangen ist, so kommen die Genossen von über-
all herbei und stürmen wütend gegen den Käfig an, um den Insassen womöglich
zu befreien. Selbst diese Geschöpfe empfinden Mitgefühl mit der Not der Ihrigen.

Bild oben:
Der in ganz Indien häu-
fige Flugfuchs mit ausge-
spannter Flatterhaut, die
von den langen Armen
mit ihren strahlenförmi-
gen Fingern und dem von
der Ferse ausgehenden
Spornbein gestützt wird.
(Phot. Scherl)

Bild links:
Ein Schwarm riesiger
Fledermäuse, der sich auf
einen Baum niederge-
lassen und ihn abgefressen
hat. Hier ruhen die Tiere,
mit dem Kopf nach unten
hängend. (Phot. Scherl)

Bild rechts:
Skelett des Fliegenden
Hundes, der größten
Fledermausart.
(Phot. Dr. Vergner)
 
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