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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 61.1929

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Heft 20
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https://doi.org/10.11588/diglit.52835#0514
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8 Das Buch
„Herr Doktor Vieler?" tönte es von allen Zeiten zurück.
„kann der denn reiten?" fragte Frau Lernstoff verwundert.
„Du hättest ihn sehen sollen!" erwiderte Karla.
Oie Dunkelheit war bereits eingetreten, das Licht auf der Veranda
eingeschaltet.
„Er ist immer noch nicht zurück?" wandte sich Frau Martha mit besorgter
Frage an ihre Tochter. „Es wird ihm etwas zugestoßen sein, wie konntest
du das auch nur zugeben und ihm die unzuverlässige Stute anvertrauen,
auf der der Vater dich nicht einmal gern reiten läßt? Ich fange an, mich
zu ängstigen."
„Ihm wird nichts zugestoßen sein, und du wirst keinen Grund haben,
dich zu ängstigen," antwortete Karla kühl.
Dann aber horchte sie auf.
Lautes wiehern drang an ihr Ohr, Eisen klapperten über das hofpslaster.
Sie hatte sich erhoben, war die Stufen hinuntergeeilt, zwang sich dann
aber, als sie in die Nähe des Stalles kam, zu einem gemessenen Schritt,
der ihre Gleichgültigkeit zeigen sollte.
Da stand er bereits, des Kutschers harrend, am Eingang, klopfte der
Stute den schlanken hals, fuhr liebkosend mit der Hand über ihren schweiß-
bedeckten Kücken, schien ganz eins mit ihr zu sein.
„Sie haben das schöne Tier aber tüchtig naß geritten, das muß man
sagen!" empfing sie ihn ohne jedes weitere Wort der Begrüßung.
„Das macht nichts! Tüchtig mit Stroh abreiben und nicht gleich saufen
lassen! Dann ist der Schaden bald geheilt. Übrigens ein kapitales Pferd
und jetzt so zugeritten, daß Sie im nächsten Nennen todsicher den ersten
Preis davontragen werden."
Und als sie, zum Scherz nicht aufgelegt, geringschätzig die Achseln zuckte:
„Ich werde im Totalisator auf Ihren Fuchs wetten. Sieg und Platz. Alle
Tickets werde ich aufkaufen und wetten abschließen. Es wird ein Bomben-
geschäft werden."
„Uber wenn ich Sie enttäuschte?"
„Das werden Sie nicht. Da bin ich ganz sicher."
„Und wenn ich es doch täte? wenn ich meine Stute zurückhielte-
vielleicht mit Ubsicht zurüähielte?"
„Sie und zurückhalten! Oder gar mit Ubsicht zurückhalten! Dazu haben
Sie viel zuviel Temperament! Und sind auch — wie soll ich mich aus-
drücken? — eine zu anständige Leiterin."
„Eine Strafe hätten Sie auf jeden Fall verdient," sagte sie nach kurzem
Schweigen. „Nir so ohne weiteres meine Stute zu entführen! Ich werde
es Ihrer Braut schreiben. Sie werden gegen kordels Nechtlichkeitsinn keinen
leichten Stand haben."
„Ia, wissen Sie denn gar nicht, was das war? Vergeltung. Wohl über-
legte, folgerecht durchgeführte Vergeltung!"
„Vergeltung? wofür?"
„Das soll ich Ihnen noch auseinandersetzen? Für Ihre reichlich egoistische
Handlungsweise, bei der Sie diesmal aber die Rechnung ohne den Wirt
machten."
Sie zog die Brauen in die höhe.
„wenn Sie die Ubsicht haben sollten, mir eine Strafpredigt zu halten
oder mich vielleicht ein wenig zu erziehen, so fürchte ich, daß Ihre Worte
auf nicht empfänglichen Boden fallen."
„Gut, ich bin undankbar, denn Sie haben mir zu einer seltenen Freude
verholfen —"
„hätte ich ahnen können —"
„Ia," lachte er fröhlich auf, „das haben Sie wohl, als Sie mir mit so
liebenswürdigem Scherz Ihren Fuchs zum Reiten anboten, nicht in Rech-
nung gezogen, daß ich von frühester Iugend an in dieser Kunst eine größere
Übung besaß, als Sie es dem Sozius Ihres Herrn Vaters zutrauten."'
Sie schritten auf dem Hofe auf und nieder. Tiefe Sonntagstille war um sie.
„Eins hat mich dieser Nachmittag jedenfalls gelehrt," sagte sie, „daß
man vor Ihnen auf der Hut sein muß."
„Daß man mich wenigstens nicht reizen darf!" entgegnete er.
Da rief der Gong zum Ubendessen.
s warten bereits einige Herrschaften," empfing der Bürovorsteher
Mathiessen den jungen Rechtsanwalt, als dieser am nächsten Morgen
etwas später, als es seine Gewohnheit war, in sein Büro trat. Er hatte
auch für ihn dieselbe diensteifrige Haltung, dieselben unterwürfigen Ma-
nieren bereit, wie er sie dem Iustizrat erzeigte.
„Für zehn Uhr ist Herr Lamprecht von der ü. E. G., für elf Uhr Herr
Studienrat Bontel vorgemerkt."
„Gut. Einer nach dem andern. Lassen Sie mir nun zuerst einmal eine
Viertelstunde Ruhe, damit ich die wichtigsten Eingänge durchsetze, und
dann schicken Sie mir Frau Miltis in ihrer Ehescheidungsache vor."
Er setzte sich an den Schreibtisch, zündete sich eine Zigarette an, blickte
über die vielen Schreiben, die noch vom Sonntag her ausgebreitet dalagen,

für Alle ..Heft 2O
hinweg und folgte, ein Liedchen vor sich hinsummend, den aus seiner
Zigarette bläulich aufsteigenden Wolkengebilden.
Seine Gedanken waren bei dem gestrigen übend und dem wunderlichen
Erlebnis, das er ihm gebracht. Er lächelte vor sich hin und steckte eine neue
Zigarette an.
über die Aktenstücke und Eingänge lagen immer noch unberührt auf
dem Schreibtisch. Nur einen Brief öffnete er,- er trug den Poststempel
Pontresina und kam vom Iustizrat.
Es war das erstemal, daß dieser an ihn schrieb. Dieselbe Entfernung,
die er bisher im amtlichen wie gesellschaftlichen Verkehr zwischen sich und
seinem Sozius mit merkbarer Beflissenheit errichtet hatte, schien er auch
jetzt aufrechterhalten zu wollen, obwohl er ihn zu seinem Vertreter gewählt
hatte.
„Ein wunderbarer Mann!" spann er seine Gedanken fort. „Es gibt so
vieles, was mich zu ihm zieht, und dann ist wieder das andere da und
hält mich mit derselben Scheu von ihm fern, die er auch mir gegenüber an
den Tag legt!"
Er wurde in seinen Betrachtungen unterbrochen. Die Viertelstunde war
vorüber, und Frau Miltis trat bei ihm ein.
Er besprach ihre Ehescheidungsache nach allen Richtungen, er beriet dann
Herrn Lamprecht von der ü. E. G. mit derselben Gründlichkeit und Klug-
heit in einer verwickelten üktienangelegenheit, zeigte dem auf dem Fuß
folgenden Studienrat Bontel Mittel und Wege in einem Beleidigungs-
prozeß, empfing noch einige Klienten, die mit ihm persönlich verhandeln
wollten, diktierte Briese und Erkenntnisse, erledigte eine Anzahl telephoni-
scher Gespräche und wollte sich eben zu einer Besprechung in das Zimmer
von Werner Froböse begeben, als der Bürovorsteher in ängstlicher Er-
regung zu ihm trat: Herr Kriminalkommissar Lauterbrunn wäre da und
wünschte, den Herrn Doktor in einer wichtigen Sache zu sprechen.
„Es ist ein eigenartiger Fall, der meinen heutigen Besuch veranlaßt,"
begann Kommissar Lauterbrunn, ein wohlbeleibter Herr mit jovial gut-
mütigem Gesicht und freundlichen üugen, dem man alles andere eher als
den gewiegten Kriminalisten ansah, „und Sie gestatten mir wohl, statt
jeder weiteren Einführung eine Frage an Sie zu richten: kennen Sie dies
hier?"
Er nahm ein kleines,' orgsam in Seidenpapier gehülltes Päckchen aus
seiner Brusttasche, wickelte es aus und hielt dem Rechtsanwalt einen breiten
Reif von mattem Gold unter die üugen, aus dessen Mitte ein kostbarer
Saphir wie ein großes dunkelblaues üuge leuchtete.
Und als er merkte, daß sein Gegenüber die Farbe wechselte und wieder
und immer wieder auf den Stein starrte: „können Sie sich vielleicht be-
sinnen, diesen Reif jemals an dem ürm oder im Besitz des Herrn Iustizrat
Lernstoff gesehen zu haben?"
„Niemals," erwiderte ürnim Bieler mit Bestimmtheit. „Das ist völlig
ausgeschlossen—"
„Sie kennen den Reis überhaupt nicht?"
„Doch. Ich kenne ihn und erinnere mich, ihn des öfteren gesehen zu
haben."
„Bei wem, wenn ich fragen darf?"
Einen Augenblick zauderte ürnim Bieler, denn ein unbestimmbares Ge-
fühl warnte ihn, den Namen preiszugeben. Dann aber siegte sein Recht-
lichkeitsgefühl : „Bei einer Dame, die im Hause des Herrn Iustizrats verkehrt."
„Darf ich um ihren Namen bitten?"
„Ob es ihr eigener oder nur ein angenommener ist, entzieht sich meiner
Kenntnis. Es handelt sich um die bekannte Hellseherin Fee varena, von
der Sie sicher schon gehört haben."
„wie gelangte Herr Iustizrat Lernstoff in den Besitz dieses Reifes?
Bestanden vielleicht — doch ich will nicht indiskret sein, solange es mir
mein ümt nicht notwendig macht."
„Ich sagte bereits, daß hier ein Irrtum vorliegen oder mir ganz unbe-
greifliche Dinge im Spiel sein müssen, wollen Sie mich, bitte, aufklären,
welche Bewandtnis es mit diesem Reif hat, aus welchem Grunde Sie ihn
in Beziehung zum Iustizrat Lernstoff bringen und was ich mit der ganzen
Angelegenheit zu tun habe."
„Gewiß werde ich Ihnen die nötige Erklärung geben. Deshalb bin ich
ja zu Ihnen gekommen, vor ungefähr acht Tagen verhaftete die Ham-
burger Hafenpolizei ein stark verdächtiges Individuum in demselben Augen-
blick, als es sich auf ein üuswandererschiff begeben wollte. Bei näherer
Untersuchung ergab sich, daß es sich um einen Inder handelte, der lange
Zeit in Deutschland gelebt, allerlei magische Künste getrieben, auch mit
Polizei und Gefängnis in Berührung gekommen war. Da sein Paß und
seine Papiere in Ordnung waren, konnte man ihm nichts Bestimmtes
nachweisen. Bis man bei einer Leibesuntersuchung unter seiner Mütze,
raffiniert in seinem dichten, grauen Kraushaar versteckt, diesen kostbaren
Schmuck fand. Es war zweifellos, daß er gestohlen war, zumal sein auf
mehrere Tausend abgeschätzter Wert in krassem Gegensatz zu der zerschlisse-
 
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