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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 62.1930

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.52836#0100
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Wo niemand wandert
Von Vudolf de Haas
Der Verfasser, einer der glänzendsten Reiseschriststeller, weilte vor kur-
zem in Palästina und Syrien, jetzt durchquert er Afrika vom Suez-
kanal bis zur Südspitze. Sein Artikel wird darum bcfonderem Interesse
begegnen, weil er einen Teil des Gebiets behandelt, in dem sich zur-
zeit die blutigen mohammedanisch-jüdischen Glaubenskämpse abspielen.
einer starken Macht kein unbedingtes Erfordernis, und so ist alles beim alten
geblieben. Immerhin sorgen Patrouillen für die Aufrechterhaltung der Ord-
nung auch an dieser entlegenen Grenze, soweit sie es vermögen.
Ein junger Amerikaner hat sich mir angeschlossen. Im Morast der weiten Nie-
derung vor Julias ist er nicht viel glücklicher gewesen als ich. Die teilweise recht
breiten Wasserläufe, die folgten, hat er besser überwunden; von mehr als
einem der mächtigen Blöcke, die den Übergang über die Bäche und Flüsse
erleichtern sollten, glitt ich unversehens in den Wirbel. Hart zusammengebackene
und dann in der Sonnenglut geplatzte Schlammschollen gestalteten den Weiter-
marsch nicht überall zu einer reinen Freude.
Doch nun ist das Ärgste überwunden. Das Reich der Sümpfe tritt zurück. Ein
wilder Blumengarten öffnet seine Pforten. Blaue Kelche, die auf langen
Stengeln schaukeln, bilden links und rechts vom Pfade Spalier. Je weiter ich
vordringe, umso mehr staune ich über die Triebkraft, die die Erde hier entfaltet.
Ein Meer von Blüten umwogt mich. Mit dem Triumphgefühl des Knaben, der
selig einst in das Lenzeswunder der niederrheinischen Wiesen hineinstürmte,
schreite ich dahin. Bis an die Brust tauche ich in das Azur des syrischen Früh-
lings ein.
Weiter vorn wechselt das Bild. Die unbekannten blauen Blumen verab-
schieden sich. In dichtem Schwarme umdrängen sie mich zum letzten Male und
nicken mit den Köpfen ein freundliches Lebewohl. Doch ich soll nicht verlassen
und einsam meine Straste ziehen. Sie haben ihren Schwestern Botschaft gesandt.
Andere Kinder dieser sonnenfrohen Fluren übernehmen das weitere Geleit. In

Ein Araber.

allen Farben prangen sie. Unübersehbar wogt das Gewimmel, zumal nach rechts
hinunter, dem Spiegel des Sees entgegen. Das Galiläische Meer sorgt dafür,
dast ich die Farbe nicht vergesse, mit der diese Erde bisher mein Ange erfreute,

Bethsaida Julias kam ich. Noch einmal wendete ich mich
^nach dem weltverlassenen Hügel um, der einst den Palast
> des Tetrarchen Philipp trug, eines der Söhne des Jdumäers
Herodes. Nur noch den Zauberteppich sehe ich, den die gelben Marge-
riten um die blauschwarzen Basaltblöcke gewoben haben. In puren:
Eolde glitzert er. Wer ahnt das Geheimnis entschwundener Kultur,
das unter den Blumen schlummert, wer das weite Reich von Sumpf
und Schlamm, durch das der zögernde Fust sich den Weg dorthin
erkämpfen mustte! Versunken sind die Zinnen der Burg, die ihren

denn hier überwiegen das Gold der Margeriten und Weitz und Lila mir noch
unbekannter Schöpsungswunder.
-i- *
*
Die Wildnis hat ihr Reich zurückgewonnen. Das Blütenmeer ist in: Norden
versunken. Die Erde ist arm geworden. Nur die Distel hat sich hier angesiedelt,
allerdings in ihrer ganzen, offenbar reichverzweigten Sippe. Doch auch sie hat
eiuen gewissen Stolz in all ihrer Dürftigkeit bewahrt. In sicherer Haltung trügt
sie die Gaben, die ihr die Mutter alles Lebens verlieh. Sind die Blüten auch nur
bescheiden, so tun sie doch hier, wo alle andern Farben fehlen, dem Auge wohl.

Namen nach der Tochter des Augustus trug.
Zerstoben aber auch die Segel der Fischer, die
hier einst ihre Heimat hatten, des Petrus und
Andreas und Philippus; nur mit dem Unter-
schiede, datz fern an der Tiber, wo die Herrlich-
keit des ersten Römerkaisers genau so versank
wie hier die des Vierfürsten von Augustus'
Gnaden, das grötzte Heiligtum der Christenheit
Roms den Namen des armseligen Fischers aus
diesem untergegangenen Bethsaida am Galilä-
ischen Meere trägt!
* *
*
Es ist eine Wildnis, die ich durchwandere,
hier am syrischen Ufer des Sees Genezareth,
Palästina gerade gegenüber. Daran ändert auch
die Tatsache nichts, datz einige wenige Fellachen
im Dienste des arabischen Großgrundbesitzers
in Damaskus vereinzelte Felder und Hänge
pflügen und weiter drunten im Süden die
Perser ihren Garten angelegt haben. Selten
verirrt sich ein Reisender hierher. Zur Türken-
zeit empfahlen die Handbücher wegen der Be-
duinen die Mitnahme einer Eskorte. Heute ge-
bietet Frankreich an dieser Seite des Sees, doch
in der menschenleeren Einöde ist das Auftreten
Blick auf den See Genezareth und die
jenseitigen Ufer. (Lehnert L Landrock)
 
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