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Der Handelsmann

von

Robert Walser

1 ^ nser Vater, der du bist ini Himmel, geheiligt sei dein
Name, gib uns heute unser tägliches Brot. Eriöse
uns von dem Bösen. Führe uns nicht in Versuchung.
Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben
unseren Schuldnern. Fu uns komme dein Reich. Dein
ist die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Amen."
So betete ein Knabe im Bett. Er hörte seine Mutter
laut weinen, und da kam er auf den Gedanken, laut das
Vaterunser zu beten. „Das ist schön, dah du betest",
sagte die Mutter, indem sie weiter weinte. Sie war in
Verzweiflung. Sie hoffte nichts mehr auf der Erde.
Das Schicksal hatte sie geschlagen, und sie hosfte nichts
mehr. Am das Haus herum, es war ein schlecht gebautes
Vorstadthaue, sauste und pfiff der Wind. In einiger
Entfernung brannte in der Dezembernacht ein Haus.
Der Feuerschein rötete die Gegend. Der Knabe lag in
seinem Bett mit gefalteten Händen, und er freute sich
über das Wort, das dis arme verzweifelte Mutter zu
ihm gesprochen hatte. Es war in dem jungen Gemüt
in diesem Augenblick etwas wie eine feierliche Begeiste-
rung. Er hatte mit seinem Gebet, das er absichtlich laut

unddeutlichgesprochen hatte, seinerMutter einenTrostim
wildrn Seelenschmerz gegeben. Das Zimmer war
schwarz, wir meinen dasSchlafzimmer. Im anstoßenden
Zimmer satz beim Schein der Lampe der ältere Sohn.
Der Vater war in seinem Kontor, das heißt in dem
Zimmer, das ihm als Kontor diente. Diesen Handelsmann
hatte fortgesetztes geschäftliches Mihgeschick arg verfolgt.

Schlag auf Schlag waren die Mitzerfolge auf ihn und
damit auch auf seine Familie herabgefallen und hatten
das Familienleben zerrüttet. Die arme Frau, stolz und
feinfühlend von Natur, war darüber krank geworden.
Für sie schien es keinen Trost mehr zu geben. „Du bist
an allem Schuld", hatte sie oft schon unterZornestränen
zu dem Mann gesagt, aber sie wußte im Innern wohl,
daß sie Anrecht tat, so zu sprechen. Die Leidenschaft des
Grames hieß sie so reden, aber sie wußte wohl, daß der
Mann gut und treu war. Der Mann hatte eben einfach
nur keinen Erfolg, und damit kam die Not in das Haus,
und unter der Not muhten Eltern und Kinder unge-
rechterweise leiden, und mit der Not wurde das Fa-
milienleben verwüstet. Die Mutter wußte wohl, wi«
 
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