schiedcnartigsten abnehmbaren Giiedmaben zu ver-
stürken, mit denen er die Felder von Grund aus zu
verheeren und uns wie allen andercn Tieren, )a sclbst
den eigenen Artgenossen die grauenhastesten Gefahren
zu bereiten vermag. Mancher von ghnen hat wohl
schon bei einer abendlichen Wanderung durch dustige
Kohlblätter so ein grünes vder graues Riesenmenschen-
exemplar zu Gesicht bekommen, wenn es mit dröhnen-
deni Huf die Hügel friedfertiger Maulwürfe, unsrer
treuen Verbündeten, zerstampfte und unter allem
Getier Furcht und Schrecken verbreitete, so daß alles
rings die Flucht ergrisf.
Angcsichts der unausgesetzten Gefahren, die uns
von den Menschen drohen, hat es sich die Wissenschaft
natürlich sehr angelegen sein lassen müssen, nun auch
über das Leben der Menschen unter sich und ihre Ve-
ziehungen zueinander gewisse wichtige Aufschlüsse zu
erlangen. Da ist es nun meinem verehrten Kollegen
Dr. Eusebius Kornferkcl gelungen, festzustellen, daß
diese Ungeheuer in ihrer Habgier nicht etwa wie andere
Tiere solidarisch zusammenhalten, sondern die ihrem
Fraß dienenden Vorräte voreinander verbergen, und
daß Wenige von ihneu ohne Rücksicht auf die Bedürf-
nisse der Allgemeinheit gewaltige Speicher mitLebens-
bedars anhäufen, während sie die grvße Mehrzahl der
Artgenossen darben lassen.
Uns Hamstern ist ein solches Vorgehen natürlich ganz
unbegreiflich, und wir müssen uns in eine ganz fremde
Vorstellungswelt begeben, um uns das als sittliches
Prinzip fassen zu lassen, was bei uns mit Recht als
Kriterium scheußlicher Entartung angesehen und ver-
urteilt wird. — Wir sammeln uns in unsre Speicher
genau so viel Korn oder Gemüse, wie jeder für die
Zeit vor dem Einschlafen und nach dem Erwachen in
seiner Kammer braucht. Die Felder — das wissen
wir alle — tragen reich genug, um uns zu erlauben,
unsre Scheuern offen zu lassen, ohne uns vor dem
Neide unsrer Mithamster fürchten zu müssen. So
kommt es denn auch fast nie vor, daß ein Hamster statt
vom allgemeinen Markt des Ackers seinen Bedars aus
dem Hause des Nächsten bezieht, wie es bei den Men-
schen allgemein der Brauch sein soll. Sie übervocteilen
also einander, wo sie irgend können, und diejenigen
unter ihnen, in deren Kellern und Speichern möglichst
große Vorräte für einen unberechenbaren Bedarf ge-
häuft sind, die sogenannten Reichen, genießen beson-
deresAnsehen unterden übrigen. DieMenschen nennen
diese Art des Wettkampfs, bei dem es für jeden darauf
ankommt, sich zum Schaden der andern vorzudrängen,
„das sreie Spiel der Kräfte". Uns mit unserm unvcr-
dorbenen gesunden Hamsterverstand scheint ein der-
artiges Verfahren mit einem Wort — menschlich, wie
seine wissenschaftliche Bezeichnung denn auch bei jenen
monströsen Wesen selbst die Menschesterlehre heißen
soll."
Der berühmte Nationalökonom wollte eben zu einer
heftigen Kontroverse gegen diese Theorie ausholen,
als am Eingang zu einer nahegelegenen Kolonie ein
Gedränge und ein Lärm entstand und eine Anzahl
erregterTicre einewohlhäbigeHamsterinherbeizerrten,
die sich heftig zur Wehr sehte.
„Was gibt's?" fragte alles durcheinander. „Was
hat sie getan?"
„Sie hat gemenscht!"rief ein solider Hamsterbürger,
der die Frevlerin mit der Klaue am Ohr festhielt.
Ein Sturm der Entrüstung erhob sich. Die Vor-
lesung wurde unterbrochen, und Professor Cricetus
begab sich mit seinem gesamten Auditorium in den
Eang, um die Art und den Umsang der Verfehlungen
selbst festzustellen.
Es war allerdings ein widerwärtiger Anblick, der
sich den Hamstern beim Eintritt in die Behausung der
Überführten bot. Da lagen Bohnen und Mohnkapseln,
Getreidesorten jeder Art und geschlachtete Insekten in
ungeheurer Menge gehäuft, so viel, daß das entham-
sterte Weibchen über vier bis fünf Winterschlafe hin-
aus versorgt war. Bei näherer Antersuchung fand man
sogar noch eine Wochenration Erbsen und Mais in
ihrer linken Backentasche.
Da es unmöglich schien, daß die Verbrecherin diese
ganzen Vorräte allein vom Felde hereingeschleppt
haben sollte, ging man daran, Fehlbeständen in den
Kammern der Nachbarinnen nachzuforschen, und, er-
drückt von der Last der Beweise, gestand die Habgierige
endlich unter Tränen ein, die Arbeit fleißiger Mit-
hamster für ihre eignen selbstischen Zwecke mihbraucht
zu haben.
Sie wurde verurteilt, binnen 24 Stunden alle ge-
menschten Vorräte dahin zurückzubringen, woher sie sie
entnommen hatte und eineBuße von dreiWeizenkörnern
zu erlegcn zum Anlocken einer Feldmaus, die zu einem
großen Festschmaus hergerichtet werden sollte. Nur die
beim Menschen ertappte Hamsterin durfte an diesem
Mahl nicht teilnehmen.
Nachdem das Urteil gefällt war, verließ Professor
Franz Raver Cricetus mit seinen Verehrern den Gang
und begab sich langsam ins Freie. Die Sonne senkte
sich über das Haferfeld. In der Ferne erhoben sich graue
hohe Menschenbauten. Der Gelehrte wies mit einer
Kralle hinüber und meinte schmerzlich lächelnd:
„Sie sind unsre Feinde und trachten uns nach dem
Leben. Aber bedauern müssen wir sie doch."
Der „Bildermann" erscheint Anfang und Mitte jcdcn Monats im Vcrlage dcs Herausgebers, Berlin IV lo, Bictoriastr. Z5. Leitungi Leo
Kestenberg, Berlin-Halensee MücÖsterreich: Hcrausgeber u. verantwortl. LeiterHugoHeller,WienI, BauernmarktZ). Druck: M. W. Lassalln
und Amberg S- Lefsvn.
stürken, mit denen er die Felder von Grund aus zu
verheeren und uns wie allen andercn Tieren, )a sclbst
den eigenen Artgenossen die grauenhastesten Gefahren
zu bereiten vermag. Mancher von ghnen hat wohl
schon bei einer abendlichen Wanderung durch dustige
Kohlblätter so ein grünes vder graues Riesenmenschen-
exemplar zu Gesicht bekommen, wenn es mit dröhnen-
deni Huf die Hügel friedfertiger Maulwürfe, unsrer
treuen Verbündeten, zerstampfte und unter allem
Getier Furcht und Schrecken verbreitete, so daß alles
rings die Flucht ergrisf.
Angcsichts der unausgesetzten Gefahren, die uns
von den Menschen drohen, hat es sich die Wissenschaft
natürlich sehr angelegen sein lassen müssen, nun auch
über das Leben der Menschen unter sich und ihre Ve-
ziehungen zueinander gewisse wichtige Aufschlüsse zu
erlangen. Da ist es nun meinem verehrten Kollegen
Dr. Eusebius Kornferkcl gelungen, festzustellen, daß
diese Ungeheuer in ihrer Habgier nicht etwa wie andere
Tiere solidarisch zusammenhalten, sondern die ihrem
Fraß dienenden Vorräte voreinander verbergen, und
daß Wenige von ihneu ohne Rücksicht auf die Bedürf-
nisse der Allgemeinheit gewaltige Speicher mitLebens-
bedars anhäufen, während sie die grvße Mehrzahl der
Artgenossen darben lassen.
Uns Hamstern ist ein solches Vorgehen natürlich ganz
unbegreiflich, und wir müssen uns in eine ganz fremde
Vorstellungswelt begeben, um uns das als sittliches
Prinzip fassen zu lassen, was bei uns mit Recht als
Kriterium scheußlicher Entartung angesehen und ver-
urteilt wird. — Wir sammeln uns in unsre Speicher
genau so viel Korn oder Gemüse, wie jeder für die
Zeit vor dem Einschlafen und nach dem Erwachen in
seiner Kammer braucht. Die Felder — das wissen
wir alle — tragen reich genug, um uns zu erlauben,
unsre Scheuern offen zu lassen, ohne uns vor dem
Neide unsrer Mithamster fürchten zu müssen. So
kommt es denn auch fast nie vor, daß ein Hamster statt
vom allgemeinen Markt des Ackers seinen Bedars aus
dem Hause des Nächsten bezieht, wie es bei den Men-
schen allgemein der Brauch sein soll. Sie übervocteilen
also einander, wo sie irgend können, und diejenigen
unter ihnen, in deren Kellern und Speichern möglichst
große Vorräte für einen unberechenbaren Bedarf ge-
häuft sind, die sogenannten Reichen, genießen beson-
deresAnsehen unterden übrigen. DieMenschen nennen
diese Art des Wettkampfs, bei dem es für jeden darauf
ankommt, sich zum Schaden der andern vorzudrängen,
„das sreie Spiel der Kräfte". Uns mit unserm unvcr-
dorbenen gesunden Hamsterverstand scheint ein der-
artiges Verfahren mit einem Wort — menschlich, wie
seine wissenschaftliche Bezeichnung denn auch bei jenen
monströsen Wesen selbst die Menschesterlehre heißen
soll."
Der berühmte Nationalökonom wollte eben zu einer
heftigen Kontroverse gegen diese Theorie ausholen,
als am Eingang zu einer nahegelegenen Kolonie ein
Gedränge und ein Lärm entstand und eine Anzahl
erregterTicre einewohlhäbigeHamsterinherbeizerrten,
die sich heftig zur Wehr sehte.
„Was gibt's?" fragte alles durcheinander. „Was
hat sie getan?"
„Sie hat gemenscht!"rief ein solider Hamsterbürger,
der die Frevlerin mit der Klaue am Ohr festhielt.
Ein Sturm der Entrüstung erhob sich. Die Vor-
lesung wurde unterbrochen, und Professor Cricetus
begab sich mit seinem gesamten Auditorium in den
Eang, um die Art und den Umsang der Verfehlungen
selbst festzustellen.
Es war allerdings ein widerwärtiger Anblick, der
sich den Hamstern beim Eintritt in die Behausung der
Überführten bot. Da lagen Bohnen und Mohnkapseln,
Getreidesorten jeder Art und geschlachtete Insekten in
ungeheurer Menge gehäuft, so viel, daß das entham-
sterte Weibchen über vier bis fünf Winterschlafe hin-
aus versorgt war. Bei näherer Antersuchung fand man
sogar noch eine Wochenration Erbsen und Mais in
ihrer linken Backentasche.
Da es unmöglich schien, daß die Verbrecherin diese
ganzen Vorräte allein vom Felde hereingeschleppt
haben sollte, ging man daran, Fehlbeständen in den
Kammern der Nachbarinnen nachzuforschen, und, er-
drückt von der Last der Beweise, gestand die Habgierige
endlich unter Tränen ein, die Arbeit fleißiger Mit-
hamster für ihre eignen selbstischen Zwecke mihbraucht
zu haben.
Sie wurde verurteilt, binnen 24 Stunden alle ge-
menschten Vorräte dahin zurückzubringen, woher sie sie
entnommen hatte und eineBuße von dreiWeizenkörnern
zu erlegcn zum Anlocken einer Feldmaus, die zu einem
großen Festschmaus hergerichtet werden sollte. Nur die
beim Menschen ertappte Hamsterin durfte an diesem
Mahl nicht teilnehmen.
Nachdem das Urteil gefällt war, verließ Professor
Franz Raver Cricetus mit seinen Verehrern den Gang
und begab sich langsam ins Freie. Die Sonne senkte
sich über das Haferfeld. In der Ferne erhoben sich graue
hohe Menschenbauten. Der Gelehrte wies mit einer
Kralle hinüber und meinte schmerzlich lächelnd:
„Sie sind unsre Feinde und trachten uns nach dem
Leben. Aber bedauern müssen wir sie doch."
Der „Bildermann" erscheint Anfang und Mitte jcdcn Monats im Vcrlage dcs Herausgebers, Berlin IV lo, Bictoriastr. Z5. Leitungi Leo
Kestenberg, Berlin-Halensee MücÖsterreich: Hcrausgeber u. verantwortl. LeiterHugoHeller,WienI, BauernmarktZ). Druck: M. W. Lassalln
und Amberg S- Lefsvn.