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Biller, Thomas
Die Adelsburg in Deutschland: Entstehung, Form und Bedeutung — München, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.4980#0211
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Die klassische Adelsburg als kulturelle Ausdrucks forin des Adels

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nischen Verbcsserungen führen, sowie zu einer gewissen Modernisierung der Proportio-
nen, nicht aber zu Änderungen des Typus. Dieser bleibt vielmehr im gesamten Spätmittel-
alter, bis ins 15. Jahrhundert verbindlich, auch wenn die Zahl der Neubauten spätestens
nach 1300 erheblich sinkt. In diesem Rückgang der Zahl, aber auch im Festhalten an der
einmal gefundenen, symbolhaften Form spiegelt sich die Rolle des Adels im Spätmittelalter.
Die Masse der Adeligen ist nicht nur rechtlich und politisch in weitgehende Abhängigkeit
von den fürstlichen Territorien geraten, sondern auch die wirtschaftliche Konkurrenz mit
dem städtischen Bürgertum schwächt ihre Überlebenschance. Mit den Gewinnmöglichkei-
ten aus Handwerk, Fernhandel und Bankenwesen, wie sie nun in den Städten konzentriert
sind und sich ständig weiterentwickeln, konnte die Masse des Adels, der weiterhin im
wesentlichen von seinem Landbesitz lebte, auf die Dauer nicht mithalten.

Die bauliche Entwicklung der Burgen, die sich nun fast immer in der Form des Um- und
Ausbaues vollzog, führte in dieser Spätphase einerseits verstärkt zu wohnlicher Ausstat-
tung, andererseits zur Verlagerung der Verteidigung nach außen, d. h. zur Entstehung von
Zwingeranlagen. Beide Aspekte müssen in kausaler Verbindung gesehen werden. Die
bequemere Ausstattung der Wohnbauten verminderte ihre Verteidigungsfähigkeit - die
freilich von Anfang an eher passiv war: dicke Wände, kleine und hochliegende Öffnungen -
und ließ so eine vorgelagerte Verteidigungslinie unverzichtbar scheinen. Sowohl umlau-
fende Zwinger als auch Torzwinger haben ihre Ursprünge als sehr einfache Anlagen wohl
in der Zeit um 1300; ihre Blütezeit fällt jedoch in die Zeit der frühen Feuerwaffen, insbeson-
dere ins 15. Jahrhundert, als sie Flankierungstürme und Schützengalerien erhalten, die für
Handfeuerwaffen oder leichte Geschütze geeignet waren. Die mehrteiligen Torzwinger
jener Phase sollten vor allem Überraschungs- und Massenangriffe verlangsamen und bre-
chen.

Erst in einer letzten Phase, ab der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, ändern sich die
architektonischen Konzepte in Reaktion auf die mauerbrechende Wirkung der Geschütze -
den Faktor des Befestigungswesens, der die nächsten vier Jahrhunderte bestimmen wird.
Mauerstarke Rondelle oder anders geformte Schutzbauten erdrücken letztlich den wohnli-
chen und repräsentativen Charakter der Adelsburg, so wie sie die Finanzen des nicht-
fürstlichen Adels überfordern - obwohl sie kaum je zu einer konsequent verteidigungsfähi-
gen Anlage führen. Manche Burg gewinnt schon in der Spätgotik schloßartig unbefestigten
Charakter, d. h. die Modernisierung der Befestigungen wird unterlassen oder auf symboli-
sche Elemente reduziert. Den letzten Versuch einer Weiterentwicklung der Adelsburg, den
sich nur noch wenige fürstliche Dynastien leisten können, bilden die »bastionierten Schlös-
ser« der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Unter italienischem Einfluß werden um großzügige
Schlösser aufwendige Bastionsgürtel gelegt. Es entstehen Nachfolger zwingerumgebener
spätmittelalterlicher Burgen, bei denen jedoch die Gewichte umgekehrt sind: Der massive
Bastionsgürtel läßt dem repräsentativen Wohnen keine Luft mehr. Damit ist das Ende der
Einheit von Herrschaftssitz und Befestigung erreicht - das Nebeneinander von Festung und
Schloß charakterisiert die Neuzeit.
 
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