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Bickell, Ludwig [Hrsg.]
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Band 1): Kreis Gelnhausen: Textband — Marburg, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.13326#0062

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Die Marienkirche.

schuf, und da der thatsäehlich für die äussere Erscheinung der Kirche erzielte grosse Gewinn durch die völlige
Entstellung des Innern, besonders der schönen Mittelschiffarkaden aufgehoben, durch die Verdunkelung der
Seitenschiffe in das Gregentheil verkehrt wurde. Man war deshalb schon sehr bald genöthigt, einige der
kleinen Rundbogenfenster der zweiten Periode durch grössere zweitheilige Masswerkfenster in den Axen der
Arkaden zu ersetzen, die Abschlusswände der zu beiden Seiten des Westthurmes liegenden Capellen, an denen
bereits die obere Fensterreihe fortgesetzt war, niederzulegen und die westlichen Griebelwände mit möglichst
grossen, schönen, dreitheiligen Fenstern zu durchbrechen.

Die Emporen haben m. E. nur dazu dienen können, bei Wallfahrten und ähnlichen Gelegenheiten den
zahlreichen fremden Kirchenbesuchern so gut es ohne kostspieligen Umbau (der ganzen Kirche) gehen wollte,
nothdürftige Unterkunft zu gewähren. Die erwähnten Massnahmen gegen die Verdunkelung des Innern schliessen
die Annahme aus, dass der Oberstock ursprünglich blos als Lichtgaden und zur Erzielung einer angemessenen
Höhe der Seitenschiffmauern (ca. l/3 des Mittelschiffes) angelegt sei. und man die Balkenlage der Emporen
erst nach der Reformation eingezogen habe. An sich würden die Formen der vorderen Brüstungen bei der
zähen Lebensdauer der Gothik in unserer Gegend, dem nicht widersprechen.

Die Iiis zum Jahre 1877 auch im Querschiff bestandene Empore gehörte der Renovation von 1761 an.

Einem ähnlichen Bedürfniss wie die Emporen verdankt auch die Processions-, vielleicht Frohn-
leichnamskapelle ihre Entstehung, welche östlich zwischen ('bor und Sacristei eingefügt ist. Die beiden
breiten und hohen Thore können nur zum Durchzug einer zahlreichen, Fahnen mitführenden Menge bestimmt
gewesen sein. Urkundlich ist über die Bestimmung der Capelle nichts überliefert. Aehnlich wie die vorzüglich
schöne Capelle an der Marienkirche zu Frankjenberg (an der Eder) wird sie beim Frohnleichnahmsfest benutzt
worden sein, vielleicht auch bei Exequien.

Die Ausstattung.

Wenn die junge Stadt in dem ersten Jahrhundert ihres Bestehens zu mehreren malen ihre Pfarrkirche
erweitern und schlieslieh in kurzer Zeit in so glänzender Weise vollenden konnte, darf man annehmen, dass
auch die Ausstattung derselben schon im Anfang des 13. Jahrh. eine entsprechend reiche gewesen ist. Es
wird nicht an kostbaren, wohl metallenen Retabeln und an Antependien für die Altäre, an Reliquiaren und Altar-
geräthen, an Paramenten und Schmuckstücken aller Art gefehlt haben. Leider ist von alledem nichts, nicht
einmal die Kunde — etwa in einem Schatzverzeichniss — auf uns gekommen, da zunächst die veränderte Ge-
schmacksrichtung am Schluss des Mittelalters mit den alten Altären aufräumte, und dann die Reformation alles
mit dem alten Cultus zusammenhängende beseitigte. Nur wenige Gebrauchsgegenstände: zwei Glocken, ein
Weihwasserbecken und die Altannensen der vier Hauptaltäre haben sich aus dem 13. Jahrhundert erhalten.
Das Wandtabernakel, die Chorstühle stammen aus dem 14., zwei gewirkte Teppiche und der Levitensitz aus
dem 15. und die sämmtlichen Flügelaltäre aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts. Auch diese Schätze wären
zum Thcil vernichtet, wenn nicht die Bürgerschaft sich den bilderstürmerschen Bestrebungen der Hanauer
Grafen, der Pfandherren, welche in ihrem eigentlichen Gebiet auch den kleinsten Pest mittelalterlicher Aus-
stattung der Kirchen vernichtet haben, erfolgreich widersetzt hätte. Noch im vorigen Jahrhundert lief der
Hochaltar Gefahr, zerstört zu werden, denn der Graf von Hanau hatte sich die Flügelgemälde für seine Kunst-
sammlung ausgebeten, und nur weil er eine frühere Dedication der Bürger (eine Nachbildung des Schloss-
thurms zu Hanau in Silben schnöder Weise verschenkt hatte, entsprach die darüber aufgebrachte Bürgerschaft
nicht seinem Wunsch.

Die Altäre.

Nach Vollendung der Chorparthie bosass die Kirche augenscheinlich nur vier Altäre: den Hochaltar
- wohl Marienaltar —, den Laienaltar — Kreuzaltar — und die beiden Seitenaltäre in den Nebenchören.
Urkundliche Nachrichten über Stillung und Titel von Altären fehlen aus dem 13. Jahrhundert, und die aus
dem 14. und 15. überlieferten beziehen sich grösstenteils nicht auf die jetzigen spätmittelalterlichen Flügel-
altäre. Ks hat entweder ein W echsel der Titel stattgefunden, oder es haben noch andere, nie urkundlich ge-
nannte Altäre bestanden, da das Bildwerk der vorhandenen nur in wenigen Fällen mit den überlieferten Be-
zeichnungen in Beziehung zu bringen ist.
 
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