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Bickell, Ludwig [Hrsg.]
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Band 1): Kreis Gelnhausen: Textband — Marburg, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.13326#0087

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Die Marienkirche.

69

Es ist sein- zu bedauern, dass damals niemand die so nahe liegende Lösung der Frage fand: die
Empore auf eine schmale, unter den Seitenfenstern herlaufende Galerie zu reduciren. Damit wäre die doppelte
Fensterreihe im Innern motivirt gewesen. Die werthröllen und zierlichen Brüstungen hätten dann die jetzt
störend kahlen Seitenwände in angemessener Weise organisch belebt, und sehr wenig Licht weggenommen,
welches durch die beizubehaltenden unteren Fenster reichlich ersetzt worden wäre.

Eine zweite Frage, die der Bemalung des Innern, rief ebenfalls mehrfache Controversen und ofticielle
Verhandlungen hervor. Nach dem Bericht Schäfers war die Wandfläche mit Quaderlinien in rothem Ocker
belebt, die Gliederungen mit ebensolchen Kehlen. Die sculpirten Theile waren mit weiss, gelb, grün, braun,
roth mid schieferblau bemalt und zwar die oberen reicher als die unteren. In den oberen Blenden des Chor-
quadrats waren grosse figürliche Darstellungen in Kesten zu erkennen, von denen besonders die Heiligenscheine
sich gut gehalten hatten.

Später wurden durch Maler Job. Höffmann aus Werl weitere Untersuchungen angestellt. Nach dem
Bericht desselben vom Januar 1877 ]) waren zwei Schichten figürlichen Malereien aus dem 13. und 15. Jahr-
hundert vorhanden, jedoch so zerstört, dass die Reste nicht einmal für eine völlige Neubemalung ausreichenden
Anhalt gegeben hätten. Nur die in Tab. 95 Fig. 4 nach einer Scizze Hoffmann's wiedergegebenen Darstel-
lungen waren einigermassen deutlich erkennbar. Man hat deshalb von jeder Neubemalung abgesehen, leider •
aber auch alle alten Reste durch Abschlagen der Tünche resp. Abwaschen mit Säure so weit beseitigt, dass
nur auf der Nordseite in den Zwickeln der unteren Arkaden ein kleines Kreisornament schwach erkennbar
geblieben ist.

Vielfache Ausbesserungen und Ergänzungen sculpirter Theile mussten trotz guter Gesammterhaltung
vorgenommen werden. An dem Westthurm waren fast alle (elf) Fenster vermauert, der Säulchen, zum
Theil auch der Gewände beraubt, und wurden nach dem Vorbild der erhaltenen ergänzt, ebenso die Giebel-
kreuze. Das Westportal erhielt völlig neuc Fäulen, und auch die meisten Basen mussten ergänzt werden. Die
westliche Wendeltreppe erhielt neue Fenster nach dem nördlichen Seitenschiff hin.

Am Vierungsthurm waren vier Säulchen der Giebelfenster und zwei Ecksäulen zu erneuern, die Giebel
erhielten neue krönende Engelfiguren. Ueber diese entstanden längere Verhandlungen. Schon Schäfer hatte
sie projektirt, da er zwei Fuss im Quadrat grosse Sockelplatten mit centralem Dübel gefunden hatte, welche
nur zum Tragen solcher Standbilder gedient haben könnten. Für die Gestaltung derselben ermittelte Baurath
Lichtenberg, nach Angaben des Bauaufsehers Stock, dass die beiden am Lambertusbrunnen eingemauerten
Figuren Reste solcher seien. (!) Nachdem durch einen Sturm ein Theil der Figuren herabgestürzt seien, habe
man auch die beiden letzten herabgenominen. Leider sind (cf. Abschnitt Lambertusbrunnen) diese Figuren jetzt
vernichtet. Aus der guten Abbildung von Rubi (Tab. 179) ergiebt sich jedoch, was Verfasser auch aus eigener
Wahrnehmung bestätigen kann, dass es flache Reliefs waren, die unmöglich einem solchen Zweck gedient haben
können; auch sagt Rubi bereits, dass sie aus der Kreuzcapelle stammen, die er Gandocapelle nennt. Es ist
deshalb unbegreiflich, wie Lichtenberg finden konnte, dass die Angaben Stocks „innere Wahrscheinlichkeit"
hätten, dass „die Sculptur der Bildsäulen nicht nur für ihr hohes Alter, sondern auch die summarische, fast
glatte Bearbeitung der Vorderseite und der Gewandung für ihren einstigen hohen Standpunkt und die Rück-
sichtnahme auf einen beschränkten Prospekt zeuge". In der Ausführung wurden die Sockelplatten leider durch
Knäufe ersetzt.

An den Streben des Chores und Kreuzschiffes wurden zwölf Endknäufe erneuert, von denen also nur
zwei alt sind. Der Adler des Südportals erhielt Kopf und Flügel. An den Giebeln der Grabkapelle wurden
die Kreuze nach vorhandenen defekten Exemplaren erneuert. Wichtiger waren die Veränderungen an der
Sacristei. Sie erhielt statt einfacher rechteckiger Spitzbogenfenster und statt des Ostfensters eine Thüre, auch
zum Theil neue Gewölbeanfänger.

An den Arkaden des Mittelschiffs wurden die von dem Gebälk der Emporen verdorbenen Deckplatten
ergänzt. Ein Capital wurde ganz neu hergestellt, ebenso drei Basen und drei Schaftringe.

Im Innern des Chores wurde eine freie Säule der Blendarkaden mit Capital erneuert, ebenso eine an-
gelehnte, sowie viele Theile (sieben Basen, Knollen und Blätter) solcher. Die Enden der grossen Consolen
des Chorquadrats waren wegen der Chorstühle abgeschlagen und wurden ergänzt. Am Lettner wurden die

>) Eine Copie des ausführlichen Berichts ist auf kgl. Staatsarchiv in Marburg deponirt.
 
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