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Frimmel, Theodor von [Hrsg.]
Blätter für Gemäldekunde — 3.1907

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Heft 10
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Natursinn und Landschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.27900#0224

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196

Nr. io.

BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.

anders als die gewohnten Promenaden. Man
spürt es: die Pfade fern von der Stadt in den
Bergen sind oft gar rauh, steil und steinicht. Nur
der eigentliche Tourist bewältigt sie. Aber auch
im milderen Mittelgebirge tritt durchschnitt-
lieh der großstädtische Besucher als Fremd'
ling auf. Eine unschuldige Blindschleiche wird
in aller Eile als Kreuzotter erschlagen. Man
rauft Blumen aus und schleppt sie in Massen
nach der Stadt. Die Wiesen werden zerstampft,
durch Lagern geschädigt. Man wirft zerbro-
chene Glasflaschen, geleerte Blechbüchsen ge-
dankenlos zur Seite. Fettbefleckte Umhüllungs-
papiere bleiben an den Stellen liegen, wo
Mahlzeit gehalten wurde, und so geht es weiter
lieblos, ohne feines Rechtsgefühl, ohne Sinn
für die freie Natur. Wie wenige, vielleicht
sind es nur die künstlerisch begabten Men-
schen, erbauen sich andächtig an den uner-
schöpflich mannigfaltigen Linien und Formen
der Landschaft, an dem Schwung des Berg-
konturs, an der Modellierung des Hügellandes.
Feiner Farbensinn, der die Tönungen alle
unterscheidet und nachfühlt, ist nicht allzu
häufig, und wie selten kommt einer hinaus,
der Form und Farbe zugleich auffaßt, genießt
und im treuen Gedächtnis behält. Wahrer
Natursinn entwickelt sich nur bei täglicher
Betrachtung der freien Pflanzenwelt, des Tier-
lebens, der Witterungserscheinungen und der
damit verbundenen Farbenstimmungen. Der
enge, dächerbegrenzte physische Horizont des
Großstädters bildet für solches Betrachten und
Fühlen eine schlechte Vorschule. Rauch, Staub,
Kulturgestank, verdorbene Luft trüben noch
dazu bei den meisten allmählich die Sinne.
Der reine Großstädter hat sich an diese Mängel
gewöhnt, er fühlt nicht mehr das langsame,
physische Ersticken und ist sich seiner Ver-
ständnislosigkeit für die große Mutter Natur
gar nicht mehr bewußt, ja er meint mit einer
gewissen Überlegenheit auf das geistige Ver-
hungern des reinen, kulturfernen Landbe-
wohners herabsehen zu dürfen. Dies die
äußersten Gegensätze. Viele finden einen Mittel-
weg, leben in der Großstadt, aber genießen
dabei dennoch nach Möglichkeit das Freie,
und ich darf wohl auf eine gewisse Teilnahme
vieler Leser rechnen, wenn ich ein wenig auf
die Erhaltung von Naturwerten, zumal
von landschaftlichen Bildern zu sprechen
komme. Ein jüngst ausgegebenes Buch*) bringt
mich auf derlei Gedanken. Der Kern des neuen
Buches steckt in den Erörterungen über die
Erhaltung einer durch Jahrzehnte berühmt
gewesenen landschaftlichen Schönheit im Sa-

*) „Hundert Jahre deutsch-römischer Land-
schaftsmalerei“ von Prof. Dr. Reinhold Freiherr von
Lichtenberg und Dr. phil. Ernst Jaffe (Berlin,
Oesterheld & Cie., 1907).

binergebirge. Es handelt sich um die Serpen-
tara, unfern Olevano, ein Eichengehölz, das
seit den Tagen des alten Jos. Ant. Koch gar
vielen deutschen Maleraugen Anregung und
Vorbild für bedeutungsvolle landschaftliche
Gründe geboten hat. Die Geschichte von der
Erhaltung der Serpentara liegt ziemlich weit
zurück, sie gewinnt aber neuerliches Interesse
dadurch, daß es sich ja gegenwärtig an vielen
Orten rührt mit ernstlichen Bestrebungen,
landschaftliche Reize zu erhalten. Jüngst im
Mai ist z. B. beim Wiener landwirtschaftlichen
Kongreß Beherzigenswertes über die Erhaltung
der natürlichen Landschaft gesprochen worden.
Man bemüht sich um den Wiener Wald,
spricht und schreibt über deutsche Landschafts-
bilder. Frankreich hat seine „Societe pour la
Protection des Paysages de France“, um nur
einiges anzudeuten. Die, nicht immer genau
erzählte, Geschichte von der Rettung der Ser-
pentara ist folgende: Der Maler E. Kanoldt,
ein begeisterter Verehrer der italienischen
Landschaft, ein künstlerischer Abkömmling
des älteren Preller, arbeitete 1873 in Terracina.
Dort erreichte ihn ein Brief des Malers Karl
Schuch, der Kanoldt nach Olevano ruft, um
dort die Serpentara zum letzten Male zu sehen.
„Es soll das ganze Wäldchen geschlagen und
an die Bahn abgeführt werden mit 1000
Franken ist's zu haben— sagt man!“ Kanoldt
war darüber außer sich, schrieb „Tag und
Nacht“, wie er sich selbst ausdrückte, Briefe
an Freunde und Bekannte, um Geld für den
Ankauf des Haines aufzutreiben. Manche
nennenswerte Spende lief ein und man konnte
sich endlich auf 2350 Lire einigen. Am 25. Sep-
tember 1873 wurde der Kaufvertrag abge-
schlossen und die Serpentara ging zu Nutz
und Frommen der Künstler in deutschen Be-
sitz über. Aus dem Vertrag erfährt man, daß
der Kunsthain damals, 1873, aus achtund-
neunzig alten Eichen bestand, die sich auf eine
Fläche von 28.040 Quadratmetern verteilten.
Auf ändere Einzelheiten dieses Kaufes gehe
ich nicht ein. Baron Lichtenberg teilt sie nach
den Akten ziemlich ausführlich mit und er-
zählt auch, daß Kanoldt die Absicht [gehabt
hat, ein Serpentara-Album herauszugeben.
Dieses kam nicht zustande, aber der Plan
wurde zur Anregung, nach Kanoldts Tod (der
Künstler starb am 27. Juni 1904) ein ähnliches
illustriertes Werk herauszugeben. Dieses liegt
nun vor. Es greift weiter aus, als Kanoldt
ursprünglich wollte und nimmt auf die Land-
schaft in der Umgebung der ewigen Stadt
überhaupt Bezug. Das Albanergebirge, Tivoli,
die Villa d'Este und anderes wird mit einbe-
zogen. Kunstgeschichtliche Rückblicke und
kurze Ausführungen über die Lebensgeschichte
der deutschen Landschaftsmaler, die vorwie-
 
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