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Stoffliche Hüllen der Reliquien,
(involucra reliquianan).
In den frühesten Zeiten des Mittelalters war es kirchlicher
Gebrauch, die Reliquien der Heiligen mit reichgemusterten Seiden-
stoffen zu umhüllen und dieselben zusammen vereinigt in beson-
dere Behälter zu hinter legen, so zwar dass die je einem Heiligen
zugehörenden irdischen Ueberreste gesondert in seidene Hüllen
eingewickelt wurden. In Folge dieses Gebrauches, die Ueber-
bleibsei _der Heiligen 'einzeln in kunstreich verzierte Seidenstoffe
einzuhüllen, auf welche an passender Stelle ein Pergamentstreifen
mit dem Namen des betreffenden Heiligen befestigt zu werden
pflegte, hat sich glücklicher Weise eine Menge prachtvoller orien-
talischer Seidenstoffe erhalten, welche als seltene Ueberbleibsel der
orientalischen und der von dieser beeinflussten abendländischen
Seidenmanufactur in den frühesten Zeiten des Mittelalters einen
hohen kunsthistorischen Werth besitzen. Auch finden sich darunter
manche Ueberreste der figurirten Seidenmanufactur aus den Tagen
der Kreuzzüge, welche als involucra sericea zum Schutze der ein-
gehüllten Reliquien aus dem Orient in das Abendland eingeführt
wurden. Wenn nun im Laufe des XIII. und XIV. Jahrhunderts
fromme Geschenkgeber für einzelne dieser in kostbare Seidenstoffe
ein gewickelten Reliquien besondere kunstreiche Gefässe und Fassun-
gen in Gold und Silber anfertigen liessen, so pflegte man entweder
die Reliquien sammt den stofflichen Umgebungen in diese Behälter
zu übertragen, oder aber man trennte die seidenen Umhüllungen
los und bewahrte dieselben, weil sie so lange Jahre mit den Ueber-
bleibseln berühmter Heiligen in nächster Verbindung gestanden
hatten, an einem geeigneten Orte würdig auf. Alsdann wurden die-
selben auch zuweilen in grösseren Reliquienschreinen gleichsam als
integrirende Theile der betreffenden Reliquien würdevoll aufbe-
wahrt. So fanden sich bei einer Eröffnung des Karlschreines zu
Aachen im Jahre 1846 eine Menge kostbarer Stoffe vor, die unserer
vollen Ueberzeugung nach ehemals jene Reliquien verhüllten, welche
später in jene reichen metallischen Behälter eingefasst worden
sind, die man heute noch im Münsterschatze zu Aachen bewundert
und welche der Reihe nach in unserm Werke »die Pfalzkapelle
Karl’s des Grossen zu Aachen« beschrieben und abgebildet worden
sind. Der gelehrte Jesuit Abbe Martin hat in seinen Melanges
d’Archeologie mehrere dieser interessanten Reliquienhüllen des
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Stoffliche Hüllen der Reliquien,
(involucra reliquianan).
In den frühesten Zeiten des Mittelalters war es kirchlicher
Gebrauch, die Reliquien der Heiligen mit reichgemusterten Seiden-
stoffen zu umhüllen und dieselben zusammen vereinigt in beson-
dere Behälter zu hinter legen, so zwar dass die je einem Heiligen
zugehörenden irdischen Ueberreste gesondert in seidene Hüllen
eingewickelt wurden. In Folge dieses Gebrauches, die Ueber-
bleibsei _der Heiligen 'einzeln in kunstreich verzierte Seidenstoffe
einzuhüllen, auf welche an passender Stelle ein Pergamentstreifen
mit dem Namen des betreffenden Heiligen befestigt zu werden
pflegte, hat sich glücklicher Weise eine Menge prachtvoller orien-
talischer Seidenstoffe erhalten, welche als seltene Ueberbleibsel der
orientalischen und der von dieser beeinflussten abendländischen
Seidenmanufactur in den frühesten Zeiten des Mittelalters einen
hohen kunsthistorischen Werth besitzen. Auch finden sich darunter
manche Ueberreste der figurirten Seidenmanufactur aus den Tagen
der Kreuzzüge, welche als involucra sericea zum Schutze der ein-
gehüllten Reliquien aus dem Orient in das Abendland eingeführt
wurden. Wenn nun im Laufe des XIII. und XIV. Jahrhunderts
fromme Geschenkgeber für einzelne dieser in kostbare Seidenstoffe
ein gewickelten Reliquien besondere kunstreiche Gefässe und Fassun-
gen in Gold und Silber anfertigen liessen, so pflegte man entweder
die Reliquien sammt den stofflichen Umgebungen in diese Behälter
zu übertragen, oder aber man trennte die seidenen Umhüllungen
los und bewahrte dieselben, weil sie so lange Jahre mit den Ueber-
bleibseln berühmter Heiligen in nächster Verbindung gestanden
hatten, an einem geeigneten Orte würdig auf. Alsdann wurden die-
selben auch zuweilen in grösseren Reliquienschreinen gleichsam als
integrirende Theile der betreffenden Reliquien würdevoll aufbe-
wahrt. So fanden sich bei einer Eröffnung des Karlschreines zu
Aachen im Jahre 1846 eine Menge kostbarer Stoffe vor, die unserer
vollen Ueberzeugung nach ehemals jene Reliquien verhüllten, welche
später in jene reichen metallischen Behälter eingefasst worden
sind, die man heute noch im Münsterschatze zu Aachen bewundert
und welche der Reihe nach in unserm Werke »die Pfalzkapelle
Karl’s des Grossen zu Aachen« beschrieben und abgebildet worden
sind. Der gelehrte Jesuit Abbe Martin hat in seinen Melanges
d’Archeologie mehrere dieser interessanten Reliquienhüllen des