VI
Vorwort.
dem von Raffael beeinflußten Blatt der orgelspielenden Cäcilie. Durch alle Blätter
aber weht der Geist eines Künstlers, dem Kunst Sache des Herzens ist. Dieses
Moment erhebt Schwind, wenn er auch zuweilen die Mittel seiner Kunst vernach-
lässigt, über die Mehrzahl seiner Zeitgenossen. Man hat zu Zeiten mit dem Worte
„Empfindung" Mißbrauch getrieben und Manches von der deutschen Kunst zu retten
gesucht, was besser der Vergessenheit anheimfiele, bei Schwind. kann von Senti-
mentalität keine Rede sein. Freilich müssen seine Werke im Original, einzeln und
mit Liebe studiert werden, wenn sie ihren wahren Sinn und Wert offenbaren sollen.
Von Meister Schwind führt der Weg zu dem unvergleichlichen Schilderer der
deutschen Kinderwelt: Adrian Ludwig Richter. Die Stimmung, die ihn als Knaben
beschlich, wenn er das niedrige, von einer brennenden Öllampe und einem blanken
Messingmond „in einen Feenpalast" verwandelte Kramlädchen seines Großvaters be-
trat, hat ihn sein ganzes Leben lang begleitet. Er hat die Zeit der Eisenbahnen und
Dampfschiffe, erlebt, des beginnenden internationalen Verkehrs, aber er ist immer der
alte geblieben. Die Poesie leise geneigter mittelalterlicher Giebelhäuser, von Gestrüpp
umwucherter Stadtmauern und Türme, die behagliche Ruhe und Selbstgenügsamkeit
des kleinen Bürgers leihen seinen zuweilen leicht lavierten Zeichnungen ihren intimen
Reiz. Ihre Liebenswürdigkeit, nicht ihre Tiefe lädt zum Verweilen ein. Die Kopie
Richters nach einer italienischen Landschaft von Fohr, die sich heute im Städel-
schen Institut zu Frankfurt befindet, gibt einen wichtigen Beitrag zur Erklärung für
seine eigenen frühen nazarenisch stilisierten Landschaftsbilder. Eines der schönsten
Werke dieser Art besitzt die Dresdener Galerie. Mit der Erinnerung an Fohr, die
Ludwig Richter uns hier vermittelt, sind die Namen Cornelius, Veit und Over-
beck eng verknüpft, — sie alle sind durch charakteristische Blätter in der Sammlung
vertreten. Steinle glänzt durch Entwürfe zu religiösen Bildern und Fresken im
Treppenhaus des Kölner Wallraf-Richartz-Museums, Führich erregt Interesse durch
seine Komposition „Maria im Grabe Christi neben seiner Leiche knieend".
Auch die Gegner der Nazarener, die Klassizisten, kommen zu Wort. So Koch
mit einem großen Aquarell: „Diana und Akteon", seine Freunde Reinhardt und
Genelli mit einer stattlichen Reihe von Skizzen und Entwürfen. Die Zeichnung zu
seinem letzten Werke „Bacchus unter den Seeräubern" läßt es verstehen, daß Genelli
zu seinen Lebzeiten als einer der bedeutendsten deutschen Künstler angesehen wurde,
so sehr unser Auge für die Schwächen seiner Kunst geschärft ist. Von den Schultern
Kochs erhebt sich in diesem Blatt der fast Siebzigjährige zu einem bewunderungs-
würdigen Fluge. Das Bildnis, in dem Genelli seinen Lehrer Buri verewigte, fesselt
durch die Strenge und die Größe des Ausdrucks. Von den optischen und perspek-
tivischen Studien, die der Jüngling im Atelier des Berliner Akademieprofessors Erd-
mann Hummel betrieb, gibt das Interieur mit dem Parkettboden und den Spiegeln
Kunde.
Während die süddeutschen Realisten zurückbleiben, sind von den norddeutschen
fast alle besseren Namen vertreten. Nahezu vollzählig sind die Hamburger zur Stelle
und meist mit Arbeiten von Rang. Reiche Gelegenheit bietet sich für das Studium
der Zusammenhänge zwischen der Hamburgischen und der niederländischen, anderer-
seits der Hamburgischen und der nordischen, der dänischen und skandinavischen
Kunst. So läßt sich z. B. verfolgen, wie auf C. Morgenstern der Norweger J. C. C.
Dahl und durch ihn Everdingen einwirkte, wie Martin Gensler von Adrian Ostade
Auktions-Katalog CXXIII von C. G. Boerner. Sammlung A. O. Meyer I.
Vorwort.
dem von Raffael beeinflußten Blatt der orgelspielenden Cäcilie. Durch alle Blätter
aber weht der Geist eines Künstlers, dem Kunst Sache des Herzens ist. Dieses
Moment erhebt Schwind, wenn er auch zuweilen die Mittel seiner Kunst vernach-
lässigt, über die Mehrzahl seiner Zeitgenossen. Man hat zu Zeiten mit dem Worte
„Empfindung" Mißbrauch getrieben und Manches von der deutschen Kunst zu retten
gesucht, was besser der Vergessenheit anheimfiele, bei Schwind. kann von Senti-
mentalität keine Rede sein. Freilich müssen seine Werke im Original, einzeln und
mit Liebe studiert werden, wenn sie ihren wahren Sinn und Wert offenbaren sollen.
Von Meister Schwind führt der Weg zu dem unvergleichlichen Schilderer der
deutschen Kinderwelt: Adrian Ludwig Richter. Die Stimmung, die ihn als Knaben
beschlich, wenn er das niedrige, von einer brennenden Öllampe und einem blanken
Messingmond „in einen Feenpalast" verwandelte Kramlädchen seines Großvaters be-
trat, hat ihn sein ganzes Leben lang begleitet. Er hat die Zeit der Eisenbahnen und
Dampfschiffe, erlebt, des beginnenden internationalen Verkehrs, aber er ist immer der
alte geblieben. Die Poesie leise geneigter mittelalterlicher Giebelhäuser, von Gestrüpp
umwucherter Stadtmauern und Türme, die behagliche Ruhe und Selbstgenügsamkeit
des kleinen Bürgers leihen seinen zuweilen leicht lavierten Zeichnungen ihren intimen
Reiz. Ihre Liebenswürdigkeit, nicht ihre Tiefe lädt zum Verweilen ein. Die Kopie
Richters nach einer italienischen Landschaft von Fohr, die sich heute im Städel-
schen Institut zu Frankfurt befindet, gibt einen wichtigen Beitrag zur Erklärung für
seine eigenen frühen nazarenisch stilisierten Landschaftsbilder. Eines der schönsten
Werke dieser Art besitzt die Dresdener Galerie. Mit der Erinnerung an Fohr, die
Ludwig Richter uns hier vermittelt, sind die Namen Cornelius, Veit und Over-
beck eng verknüpft, — sie alle sind durch charakteristische Blätter in der Sammlung
vertreten. Steinle glänzt durch Entwürfe zu religiösen Bildern und Fresken im
Treppenhaus des Kölner Wallraf-Richartz-Museums, Führich erregt Interesse durch
seine Komposition „Maria im Grabe Christi neben seiner Leiche knieend".
Auch die Gegner der Nazarener, die Klassizisten, kommen zu Wort. So Koch
mit einem großen Aquarell: „Diana und Akteon", seine Freunde Reinhardt und
Genelli mit einer stattlichen Reihe von Skizzen und Entwürfen. Die Zeichnung zu
seinem letzten Werke „Bacchus unter den Seeräubern" läßt es verstehen, daß Genelli
zu seinen Lebzeiten als einer der bedeutendsten deutschen Künstler angesehen wurde,
so sehr unser Auge für die Schwächen seiner Kunst geschärft ist. Von den Schultern
Kochs erhebt sich in diesem Blatt der fast Siebzigjährige zu einem bewunderungs-
würdigen Fluge. Das Bildnis, in dem Genelli seinen Lehrer Buri verewigte, fesselt
durch die Strenge und die Größe des Ausdrucks. Von den optischen und perspek-
tivischen Studien, die der Jüngling im Atelier des Berliner Akademieprofessors Erd-
mann Hummel betrieb, gibt das Interieur mit dem Parkettboden und den Spiegeln
Kunde.
Während die süddeutschen Realisten zurückbleiben, sind von den norddeutschen
fast alle besseren Namen vertreten. Nahezu vollzählig sind die Hamburger zur Stelle
und meist mit Arbeiten von Rang. Reiche Gelegenheit bietet sich für das Studium
der Zusammenhänge zwischen der Hamburgischen und der niederländischen, anderer-
seits der Hamburgischen und der nordischen, der dänischen und skandinavischen
Kunst. So läßt sich z. B. verfolgen, wie auf C. Morgenstern der Norweger J. C. C.
Dahl und durch ihn Everdingen einwirkte, wie Martin Gensler von Adrian Ostade
Auktions-Katalog CXXIII von C. G. Boerner. Sammlung A. O. Meyer I.