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Die künstlerische Entwicklung

Greifswald, die Vaterstadt Friedrichs, war im ausgehenden
18. Jahrhundert eine unbedeutende Hafenstadt mit rund 5000
Einwohnern. Die Universität besuchten 1795 nur n°ch 60 Stu-
denten. Das einzige ansehnliche Gewerbe der Stadt war die Salz-
siederei1. Sonst gab es keine nennenswerte Industrie, auf der sich
ein Wohlstand hätte gründen können. Seit 1651 war Greifswald
schwedisch und fiel erst 1815 an Preußen. Das Gesicht der Stadt
wurde weitgehend durch die mittelalterliche Architektur be-
stimmt. Die neuere Zeit hatte hier keine hervorragenden künst-
lerischen Leistungen hervorgebracht. So kam es, daß die Stadt im
Schatten ihrer Vergangenheit lebte und eine zukunftweisende
Aktivität sich nur schwer entfalten konnte.
Der Vater Caspar David Friedrichs war Seifensieder und Licht-
gießer und seit 1763 in Greifswald ansässig2. Er stammte ebenso
wie die Mutter aus dem im Herzogtum Mecklenburg-Strelitz ge-
legenen Neubrandenburg, das der Maler ebenso wie Greifswald
als seine Heimat betrachtete. Atterbom berichtet 1817, Friedrich
fühle sich als »halber Schwede«3, wogegen Carus betont, Fried-
rich sei durch und durch deutsch gesinnt gewesen4, was durch die
Betonung des Deutschen in den späten Aufzeichnungen Fried-
richs bestätigt wird5. Diese Hervorhebung ist dort jedoch zumeist
mit einer Ablehnung des Südländischen verbunden. In der Spät-
zeit gibt es andererseits Bilder, die eine Anteilnahme an der
schwedischen Geschichte, insbesondere an der Gestalt König Gu-
stav Adolfs bekunden6. Der Name Gustav Adolf, den Friedrich
seinem 1824 geborenen Sohn gab, unterstreicht diese Sympathie.
Sie mag jedoch auch im Protestantismus Friedrichs begründet
sein, wie überhaupt das Interesse an Schweden seiner im Religiö-
sen wurzelnden Bewertung des Nordens entstammen könnte.
Nach den romanhaft geschriebenen Aufzeichnungen der Lotte
Sponholz7, einer Nichte des Malers, sollen die Friedrichs von
einem schwedischen Grafengeschlecht abstammen. Nach den
»Thronfolgewirren« - gemeint sind wohl die Unruhen nach dem
Nordischen Krieg - soll ein Angehöriger dieses Geschlechtes aus-
gewandert sein, seinen Grafentitel abgelegt und den Vornamen
als den Zunamen angenommen haben. Obgleich diese Überliefe-
rung in der von Lotte Sponholz dargestellten Form durch Ur-
kunden zu widerlegen ist, mag sie dennoch einen wahren Kern
besitzen. Eine andere Tradition will von der Abstammung von
einem schlesischen Grafengeschlecht wissen8.
Die Aufzeichnungen der Lotte Sponholz gestatten einen Einblick
in die häuslichen Verhältnisse des Vaterhauses von Friedrich und
geben daneben eine Vorstellung von den strengen moralischen
Grundsätzen des Vaters, die sich auf die Kinder übertrugen. Nach
dem Tod der Mutter 1781 wurde der Haushalt von einer Haus-
hälterin, der »Mutter Heiden«, geführt. Den sechs Söhnen und
zwei Töchtern erteilte ein Hauslehrer Unterricht, vor allem in
Latein. Auch der Sinn für Dichtung und Musik wurde geweckt.
Ein bescheidener Wohlstand scheint durch den Betrieb des Va-
ters gesichert gewesen zu sein.
Der schon früh in allen Biographien Friedrichs hervorgehobene
und unterschiedlich dargestellte Tod des Bruders Christoffer,
der den ins Wasser gefallenen dreizehnjährigen Caspar David

retten wollte und dabei ertrank9, ist von Lotte Sponholz in einer
neuen Version erzählt worden. Sie schildert auch die tragischen
Umstände des Todes der Schwester Maria, den Caspar David als
Sechzehnjähriger miterlebt hat. Beide Todesfälle, besonders der
erste, müssen einen tiefen Schatten auf die Jugend Friedrichs ge-
worfen haben. Seine Melancholie aus einem Gefühl der Mit-
schuld am Tod des Bruders zu erklären, wie es seit einer Ausstel-
lungsbesprechung im »Freimüthigen« von 1804 ein Topos wurde,
kann dem Bestreben entstammen, eine schwer verständliche
Kunst durch eine biographische Einzelheit zu erklären und sich
dem Anspruch durch eine psychologische Deutung zu entziehen.
Man wird Caroline Bardua Recht geben müssen, daß seine Me-
lancholie eine Mitgift der Natur war10. Die Sepia »Mein Begräb-
nis« von 1804 (Kat. 112) ist, soweit wir sehen, das einzige Werk,
in dem auf den Tod des Bruders angespielt ist, jedoch in gleicher
Weise wie auf den Tod der Mutter und anderer Geschwister.
Friedrich sieht die Verstorbenen in einer besseren Welt und sehnt
sich selbst dorthin.
Carus erwähnt einen Selbstmordversuch Friedrichs11. Eine wenig
glaubwürdige Quelle berichtet dazu, Friedrich habe sich seinen
Bart wachsen lassen, um die daher rührende Narbe am Hals zu
verdecken12. Das Zeugnis von Carus ist wohl kaum zu bestreiten.
Die Narbe als Erklärung der auffälligen Barttracht mag eine
jener phantasievollen Anekdoten sein, an denen die biographische
Überlieferung bei Friedrich so reich ist; es läßt sich jedoch fest-
stellen, daß in der Zeitspanne von etwa 1803 bis 1806, in der sich
Friedrich seinen charakteristischen Bart wachsen ließ, durch Ge-
staltungen wie »Mein Begräbnis« eine besonders tiefe Depression
offenkundig wird.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch eine Verände-
rung in Friedrichs Verhältnis zu seiner Umwelt im ersten Jahr-
zehnt des 19. Jahrhunderts. Helene von Kügelgen nennt ihn 1809
den »Unpaarsten aller Unpaaren«, und berichtet, daß er sehr zu-
rückgezogen lebt13, wogegen die um 1800 verfaßten Briefe an
seinen Freund Johan Ludwig Gebhard Lund ein ganz anderes
Bild von ihm entwerfen14. Er pflegte Verkehr mit anderen Künst-
lern, unternahm mit ihnen gemeinsam Ausflüge in die Umgebung
Dresdens, war zu übermütigen Scherzen fähig, und bevorzugte
offenbar einen derben Wortschatz, der mit der allgemein ver-
breiteten Vorstellung von der Persönlichkeit Friedrichs schwer
in Einklang zu bringen ist. Diese Briefe bezeugen jedoch die
Spannweite von Humor und schwermütigem Ernst, der den Aus-
druck des Kopenhagener Selbstbildnisses von 1800 (Kat. 36) bei-
spielsweise über den Verdacht einer kränklichen Affektiertheit
erhebt.
Auffällig ist auch bei einem Vergleich dieser frühesten erhalte-
nen Briefe mit den nächstfolgenden seit 1808, wie sich die Sprache
Friedrichs vermutlich unter dem Einfluß gebildeter Dresdener
Freunde wie Gotthilf Heinrich von Schubert, Adam Müller und
anderen von einem unbekümmerten, von Grammatik und Ortho-
graphie kaum eingeengten Mitteilungsfluß zu einer korrekten
Ausdrucksweise entwickelte, die indes ihre Treffsicherheit und
Originalität nicht einbüßte.
 
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