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Boetticher, Adolf
Die Akropolis von Athen nach den Berichten der alten und den neuesten Erforschungen — Berlin, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.674#0183
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142 • Westgiebel.

der Aphrodite durch Pheidias in die grössten Schwierigkeiten verwickelt.
Löschke hält es aber nicht einmal für ausgemacht, dass Carrey eine
Frau zu zeichnen beabsichtigte und Reinach hat (in der Revue critique
1885 S. 348) festgestellt, dass in Carrey's Originalzeichnung offenbar ein
männlicher Charakter dargestellt sei.

Am meisten Anstoss hat man daran genommen, dass ein erwach-
sener Mann im Schooss einer Frau sitzen solle und doch lässt sich gerade
für diese Gruppirung aus den Schöpfungen der Pheidias zeitlich und per-
sönlich nächststehenden Künstler eine Parallele beibringen, wie sie für
die nackte Aphrodite auch nicht annähernd vorhanden ist: Alkibiades
im Schooss der Nemea auf dem Bilde von Polygnots Bruder oder Neffen
Aristophon.

Wie sich nach dem Yerhältniss, in dem Pheidias zu Polygnot steht,
kaum daran zweifeln lässt, dass die „Thausehwestern" im Ostgiebel des
Parthenon gearbeitet sind in Anlehnung an Polygnots Gruppe der auf
den Knien der Thyia ruhenden Chloris (Paus. X, 29, 5), so wird die
ebenso kühne wie anmuthige Gruppe des Westgiebels den jüngeren An-
verwandten des grossen Malers bei jenem Votivbild bestimmend angeregt
haben.

Die Parallele ist um so schlagender als sie sich über das formale
Gebiet hinaus auch auf den Inhalt der Darstellung auszudehnen scheint.

Nachdem sich, namentlich durch Brunn's Auseinandersetzungen, trotz
aller Unterschiede bei der Benennung der einzelnen Gestalten mehr und
mehr die Überzeugung befestigt hat, dass nur in Attika Altangesessene
mit Weib und Kind dem Streit der Götter theilnehmend zuschauen
können, fügt es sich diesem Gedankenkreis harmonisch ein, wenn Löschke
in T einen jugendlichen Helden zu sehen glaubt, der in irgend einem
Dorf zwischen Kephisos und Ilisos ansässig und von der Ortsnymphe
geliebt, desshalb auf deren Schooss sitzend dargestellt wurde.

Die Namen werden sich vielleicht ergeben,, wenn wir den Jüngling
nochmals ins Auge fassen. Nach der Zeichnung des Anonymus, die sich
uns bisher, um philologisch zu reden, als maassgebende Handschrift be-
währt hat und weiter bewähren wird, zeigt sein Körper kräftige Formen.
Sein Haar ist kurz geschnitten, der rechte Oberarm so weit erhalten,
dass man sieht, er war etwas gesenkt und zur Seite gestreckt. Die
Haltung des Unterarms lässt sich zunächst natürlich nicht bestimmen,
die Hand aber muss ein Attribut gehalten haben, das den Jüngling
deutlich charakterisirte. Ein ungezwungen Sitzender, der weder in Ge-
spräch begriffen ist, noch in irgend welchem Affect erscheint, wird aber
 
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