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Boetticher, Ernst
... Sendschreiben über Troja (Teil 2) — 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4332#0001
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Zweites Siiiiibiftii

im Sinne einer persönlichen Bemerkung an den Anthropologischen Congress in Wien.

Hochgeehrte Versammlung!

Mein der hochgeehrten Versammlung am 6. c. übermitteltes Sendschreiben hat den Herrn Professor
Virchow veranlasst, meine Behauptungen „furchtbaren Unsinn" zu nennen und ausdrücklich
zu bemerken „er wähle diesen starken Ausdruck, weil Boetticher sich nicht genirt habe, einen Mann
wie Scliliemann in tactloser Weise anzugreifen" *).

Dies Auftreten entbindet mich jeder Rücksichtnahme. Mein Sendschreiben lässt, wenn es
Herrn Virchow nicht schon ohnedies bekannt wäre, keinen Zweifel, dass es sich nicht' um die Person
Schliemann's, mit dem ich nie in Verkehr gestanden, den ich nie gesehen habe, handelt, sondern um
streng wissenschaftlichen Nachweis wissenschaftlicher Wahrheit, ohne Ansehen der Person. Dieser
Nachweis ist die Pflicht jedes Forschers, der die Wahrheit erkannt zu haben glaubt, mag auch der
moderne, dem Deutschen doch sonst am wenigsten eigene Personenkultus dagegen toben. Ich habe
beiläufig nie gehört, dass Herr Virchow den Angreifern eines Mannes wie Fürst Bismarck Tactlosigkeiten
vorgeworfen hätte. Sollte es nur Schliemann's Person, nicht auch seine eigne sein, die Herrn Virchow
hier so nahe geht? Mein Buch, auf welches das Sendschreiben sich bezieht, führt streng wissenschaftlich
den Nachweis, dass das von Virchow und Schliemann-Üörpfeld entworfene Bild von Hissarlik-Troja
„grundfalsch" ist und dass man es mit dem objeetiven Thatbestand keineswegs genau genommen hat,
und dies Buch beansprucht als Ergebniss mühevoller und zeitraubender Arbeiten ein ehrliches und
eingehendes Studium. AVenn Herr Virchow, anstatt eine auf solchem Studium basirte Widerlegung
zu versuchen, mit „starken Ausdrücken" zu imponiren, und seine Autorität in die Wagschale zu
werfen vorzieht, indem er mein von Prof. de Harlez mit einer für ihn sehr interessanten Vorrede
beehrtes und von hervorragenden Forschem anerkanntes, der Versammlung vorgelegtes Werk, ignorirt,
so lässt dies die begründete Vernmthung zu, dass ihm die Unmöglichkeit einer Widerlegung
wohl bewusst sei. Dafür zeugt auch sein Bestreben, seine eigene, eigentlich am meisten an der
Unterdrückung meiner These interessirte Person aus dem Treffen zu ziehen und von, Tactlosigkeiten
gegen Schliemann zu reden. Das sind Fechterkünste. Prof. Virchow rechnet mit dem Gewicht
seiner Aussprüche, indem er, ohne sich auf Widerlegung einzulassen, meine Arbeiten auch diesmal,
wie schon seit fünf Jahren, durch das durch's Fenster hin ausgesprochene „Unsinn" zu discreditiren
sucht. Mit Recht erhebe ich also vor aller Welt die Klage, dass Prof. Virchow die Wahrheit über
Hissarlik zu unterdrücken sucht, weil dieselbe seine wissenschaftliche Autorität, welche er für
Schliemann's Trqja eingesetzt hat, schädigt und nicht in seine anthropologischen Theorien passt, und
ich fordere alle ehrlichen Forscher auf, das Material, welches ich beigebracht, gewissenhaft zu prüfen.
AVäre es möglich gewesen, so hätte Prof. Virchow gewiss nicht Anstand genommen, die Behauptungen
1 — G meines Sendschreibens Verleumdungen zu nennen. Es klingt im Grunde wie Verzweiflung,
wenn derselbe statt dessen ausdrücklich den ebenso trivialen wie ^parlamentarischen Ausdruck
..furchtbarer Unsinn" wählte, und es zeigt, wie erdrückend ihm selbst das Gewicht meiner Enthüllungen
ist. Das Sprichwort kennzeichnet ja den, der sich in solchen Fällen aufs Schimpfen legt. Wo
wirklich furchtbarer Unsinn zu finden ist, das will ich weiter noch, als es in meinem Buch bereits
geschehen, später darthun. Man wird sich wundern, wie oft das, von dem Prof. Virchow rühmt, „wir
wissen, was wir wissen, und machen keine Anleihen bei Hypothesen", lediglich aus dem äusseren
Schein der Dinge höchst oberflächlich abgeleitet ist.

MÜNCHEN, den 7. August 1889.

ERNST BOETTICHER

Hauptmann a. D.

Mitglied der Berliner Anthropologischen
\ Gesellschaft.

*) Diese Auslassung ist sofort In die Presse haucht worden. Ich fand sie in der „Wiener Neuen Fr. Pr." und in
den „Münchener N. Nachr." Sie geht natürlich in alle Welt. Es ist verwerflich, dass Diejenigen, welche mir die
Presse mit der Ausrede, solche Dinge eigneten sich nicht für Tageszeitungen, verschliessen, ihrerseits von derselben für
Verbreitung derartiger unqualifizirbarer Aeusserungeu den weitesten Gebrauch machen.

W. S.
 
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