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Bohn, Richard
Die Propylaeen der Akropolis zu Athen — Berlin u.a., 1882

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https://doi.org/10.11588/diglit.675#0011
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das Burgplateau, so zeigten sich die Hauptheiligtümer der Burg in ihrer
ganzen Schönheit, gerade von diesem Standpunkt aus sich höchst vor-
teilhaft präsentierend; in der Mitte die mächtige Statue der Athena pro-
machos, links das Erechtheion, rechts der Parthenon. Von hier aus teilte
sich dann der Weg.

Die vorerwähnten Felsvorsprünge wurden durch Flügelbauten ge-
krönt, die, mit dem Mittelbau verbunden, sich in ihren kleineren Ver-
hältnissen jenem harmonisch unterordneten; der nördliche vollständig aus-
klingend, ein durch Tür und Fenster erleuchtetes Gemach mit einer Halle
davor, der südliche nur ein Raum, durch ältere Reste und sonstige Be-
dingungen in seiner symmetrischen Entwickelung beschränkt. Vor dem
letzteren auf der äussersten Spitze des südlichen Pyrgos der zierliche
ionische Tempel der Athena Nike apteros. Das Ganze ist aus dem weiss-
schimmernden Marmor des Pentelicon errichtet; aber in einer Mässigung,
die von einem vollendeten Kunstsinn zeugt, war die Plastik an den
Propyläen selbst vollständig vermieden; sie sollten durch einfache Gross-
artigkeit nur vorbereiten auf die Kunstwerke der Burg.

Zwei Dinge sind es, welche den Propyläen nicht nur bei den Zeit-
genossen, sondern für ewige Zeit ihre hohe Bedeutung sichern werden,
das ist erstens die Eigenartigkeit ihrer Erfindung, zweitens die Kühnheit
ihrer Konstruktion. Es war nicht eine schematische Verwendung der
überlieferten Tempelformen, sondern mit kühnem Geist wurde die Formen-
sprache der Antike in freier selbständiger Komposition zu einer neuen
Idee bürgerlicher Baukunst verwertet und zu einem harmonischen Ganzen
verschmolzen. Andererseits sind es die schlanken Verhältnisse der Säulen,
die Weiträumigkeit der Interkolumnien, die Spannung der Architrave und
noch mehr der Felderdecke, eine Leistung, wie sie in dieser Ausdehnung
nicht zum zweiten Mal in dem Altertum vorkommt; war doch äsT&? jrpoiu&Xaios
sprichwörtlich geworden.

So waren die Propyläen schon für die Zeitgenossen ein Gegenstand
hoher Bewunderung, und werden nicht allein mit dem Parthenon zu-
sammen genannt, zuweilen sogar diesem vorgezogen, wie Epaminondas
einst den Thebanern erklärte, die Propyläen Athens müssten an den Auf-
gang der Kadmea versetzt werden. Wir kennen den Ausdruck des
Demosthenes, indem er von der Pnyx herüberwies: irpcräXaia raöra *,

Auch über die Geldmittel, aus denen der Bau errichtet wurde,
haben wir nähere Kenntniss; sichere über die Quellen, aus denen sie
genommen, unsichere über die Höhe der Summe. Erstere kennen wir
aus der Abrechnung der Baukommission während ihrer fünfjährigen Tätig-
keit2. Darnach setzen sich die verfügbaren Mittel aus Verschiedenem
zusammen. Wir erfahren dort von der Verpachtung eines der Göttin
gehörigen Grundstücks, vom Verkauf verschiedener Gegenstände, von
Zinsen ausgeliehener Gelder, von Geldbussen, welche für Entziehung vom
Kriegsdienst eingetrieben wurden; ferner aber auch von Beiträgen aus
der Bundeskasse, doch letztere sind verhältnissmässig nur gering zu dem
Übrigen3.

Leider geben uns aber die Angaben über die Höhe der Bausumme
keinen sicheren Anhalt. Denn die scheinbar ganz zuverlässige Notiz des
Periegeten Heliodoros', dass der Propyläenbau 2012 Talente gekostet
habe, mit dem auch Diodoros5 übereinzustimmen scheint, wenn er an-
giebt, dass für die Belagerung von Potidäa und die Propyläen 4000
Talente verausgabt seien — denn 2000 verschlang nach Thukydides die
Belagerung —, ergiebt doch eine Höhe, die gegenüber dem Tatsächlichen
unmöglich erscheint. Die bebaute Grundfläche der Propyläen beträgt circa
820 Quadratmeter, und dieses ergiebt bei 2012 Talenten pro Quadrat-
meter die Summe von 11040 Mark". Und rechnen wir selbst noch die
Herstellung des Nikepyrgos und seines Tempels ab, so muss die Summe

1 Die verschiedenen Stellen, welche von der Bewunderung der Propyläen im
Altertum handeln, sind zusammengestellt bei Leake a. a. O., pag. 228, Anmkg. 1, und
bei Beule a. a. O., pag. 165 f.

2 Siehe C. i. Att. I, Nr. 314, 315, sowie auch Nr. 312, 313.

3 Vgl. auch C. Wachsmuth a. a. O. pag. 528, Anmkg. 3.

1 Harpocrat. a. a. O. u. d. W. jrpoKÖXaia xajixa.: räXavta §s ävTjXwilvj Sia^iXux [[3'.

5 XII, 40. xoivwv 31 övtwv T(ijv [M)pUov TaXdvttov aftavvjXwTO itpäe rfyv xaraaxsu}]v twv jupo-
itoXa&üiv v.ai rf)v üotiSaEas iroXiopulav TeTpa'/.w/iXia idXavta.

ü Zu demselben Resultat kommt auch R. Schöne im „Neuen Reich". 1871.
pag. 293. Dagegen wendet sich A. Kirchhoff „Zur Geschichte des Athenischen Staats-
schatzes im fünften Jahrhundert" in den Abhandl. d. Königl. Akademie d. Wissenschaften
zu Berlin. 1876.

doch immer noch viel zu übertrieben erscheinen, wenn man sie mit den
Kosten anderer ausgeführter Gebäude vergleicht, namentlich, da wir hier
doch voraussetzen dürfen, dass das Material selbst nichts gekostet hat.
So stehen wir vor einem schwer zu lösenden Konflikt zwischen schrift-
licher Überlieferung und vorhandenen Tatsachen '.

Die Bautätigkeit erstreckte sich über fünf Jahre; eine vollständige
Vollendung erfuhr jedoch der Bau nicht, zwar im Innern, aber im
Äusseren begegnen wir allerorts Spuren, die noch der letzten Feile
harren. So war auch im Nordosten anschliessend eine grössere Anlage
geplant, welche in ihrem Beginn nur vorbereitet, aber nie zur Ausführung
gekommen ist [vgl. II, pag. 31 ]. Der ausbrechende Krieg mag auch
dem Propyläenbau eine Grenze gesetzt haben.

Achtzehn Jahrhunderte gingen über die Propyläen dahin, ohne dem
Hauptbau selbst wesentliche uns bekannte Veränderungen zu bringen,
bis die Florentiner Bankiers darin ihren Wohnsitz aufschlugen. Desto
mannigfachere Wandlungen und Zusätze erfuhr aber der Aufgang; prun-
kende Festanlagen wechselten mit dürftigen Verteidigungswerken, je den
Zeitverhältnissen entsprechend. Doch stehen wir hier vor einer Frage,
über die uns sichere litterarische Zeugnisse fast gänzlich fehlen, und deren
Prüfung in technischer Hinsicht durch die bedeutenden Umwälzungen,
welche die Jahrhunderte gebracht, jetzt sehr erschwert ist. Wenn auch
durch die in den letzten 50 Jahren unternommenen Aufräumungen einige
Aufschlüsse gewonnen sind, so genügen diese, namentlich für den unteren
Teil, noch bei weitem nicht. Bisher knüpfen denn auch die Untersuchungen
vorzugsweise an die Resultate an, welche uns Ross und später Beule
durch ihre Arbeiten gegeben. Diese bilden aber einen weiten Tummel-
platz berufener und unberufener Forscher, und es erscheint fast unglaub-
lich, wie neben ernsten und scharfen Beobachtungen sich platte Ober-
flächlichkeit breit zu machen sucht. Die Erbauer der beiden unteren
turmartigen Vorsprünge [vgl. II, pag. 36 ff.] hat man in allen Jahr-
hunderten zwischen Perikles bezüglich Conon und Justinian gesucht, und
um die grosse Marmortreppe, welche von diesen zum Hexastyl führt,
streiten sich gar achtzehn Jahrhunderte, von den Zeiten des Mnesikles,
der sie geplant, von den Römern, die sie restauriert, bis hinunter zu den
florentinischen Herzögen2.

Ich will versuchen, in dem Wirrwarr der Meinungen durch Zu-
sammenstellung der historischen Zeugnisse und vorhandenen Merkmale
einige Anhaltspunkte zu gewinnen. Wir werden sehen, dass die tech-
nische Untersuchung uns, abgesehen von dem vorpersischen Zeitalter, vier
Perioden in der Gestaltung des Burghanges klar unterscheiden lässt: den
perikleischen Aufgang, die römische Restauration, die Bauten des Mittel-
alters und die türkischen Verteidigungswerke; sie macht es aber nur
möglich, die Reihenfolge dieser verschiedenen Phasen festzustellen, ohne
ihnen jedoch innerhalb der allgemein gegebenen Grenzen stets einen spe-
ziellen Platz anweisen zu können. Die vergleichende Untersuchung
namentlich der mittelalterlichen Denkmäler Griechenlands ist noch lange
nicht genügend vorgeschritten, um sichere Ausgangspunkte zu bieten.
Versuchen wir deshalb an der Hand der Geschichte und der wenigen
Inschriften, welche wir darüber haben, eine genauere Fixierung.

Wir wissen in dem ganzen Zeitraum bis zu Justinian nur von
einer Belagerung und Einnahme, die die Burg auszuhalten hatte und
zwar im Jahre 86 v. Chr. Sulla war am 1. März mit stürmender Hand
durch eine Bresche der Mauer in die Stadt eingedrungen, vermochte aber
die Akropolis, welche Aristion besetzt hielt, nicht sofort zu nehmen; jedoch
musste sich dieser schon nach kurzer Zeit dem von Sulla zurückgelassenen

1 Vgl. hierzu auch M. Leake a. a. O. „Über die Kosten der perikleischen Bauten"
und ausführlicher C. Wachsmuth a. a. O., pag. 524, Anmkg. 2.

2 Die Hauptveranlassung zu dieser ausgedehnten Polemik bildet das Werk von
E. Beule: l'acropole d'Athenes, Paris 1853, ein Resultat der von ihm im Jahre 1852
geleiteten Abbruchsarbeiten. Es ist hier nicht notwendig, auf eine Kritik der daselbst
entwickelten Anschauungen über das Alter jener Bauten einzugehen; sie haben schon
ihr Urteil erfahren, auch von den eigenen Landsleuten des Autors, obwol sich diese doch
anfangs sehr von den prunkenden Berichten berauschen Hessen.

Vgl. E. Curtius in der Archäolog. Zeitung 1854, pag. 198.

Bursian im Rhein. Museum 1856.

S. Ivanof, sulla grande scalinata de' Propilei: annali dell' instituto 1861, pag. 275 ff.

E. Burnouf, la ville et l'acropole d'Athenes. Paris 1877.
Auf die Unhaltbarkeit seiner sogenannten technischen Gründe komme ich bei der Detail-
besprechung derselben zurück.


 
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